Jahresempfang 2016


Begrüßungsrede beim Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen am 12. April 2016 in der Katholischen Akademie, Berlin

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB

Meine Damen und Herren,

zum Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen begrüße ich Sie ganz, ganz herzlich hier in den Räumen der Katholischen Akademie.

Ich freue mich ganz besonders, dass Sie, verehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Frau Merkel, unsere Einladung angenommen haben und mit weiteren Vertretern der Bundesregierung auch heute an unserer Seite stehen. Verlässlichkeit haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, durch konkrete Entscheidungen klar bewiesen. Ich nennen nur beispielhaft unsere dringendste Forderung – nach der Schaffung des nationalen Gedenktages im letzten Jahr: Die Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter. Sie ist beschlossen, die Mittel dafür stehen bereit. Dankeschön! Ich freue mich natürlich für die Betroffenen, von denen zwar nur noch wenige leben, dass diese nun endlich, wenn auch sehr spät – deswegen war es dringend –, eine offizielle Anerkennung erfahren.

Eine maßgebliche Rolle bei der Zwangsarbeiterentschädigung kommt nun dem Bundesinnenminister zu. In seinem Haus wird gerade die Richtlinie zur Umsetzung der Entschädigung vorbereitet. Lieber Hartmut Koschyk, als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten hast auch Du maßgeblichen Anteil an diesem Erfolg. Dafür danke ich Dir ganz persönlich und bitte Dich, lieber Hartmut, unserem Bundesinnenminister Thomas de Maizière herzlichste Grüße auszurichten.

Bedanken möchte ich mich auch bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Viele sind heute hier. Diese haben die Mittel bereitgestellt und deren Aufgabe wird es sein, die Richtlinie zu verabschieden, damit Anträge gestellt und endlich auch Entschädigungen ausgezahlt werden können. Der BdV bringt sich hierbei gerne mit seiner Expertise und seinen Erfahrungen konstruktiv ein.

Ich begrüße seitens der Bundesregierung auch den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt. Herzlich willkommen, lieber Christian.

Ich sehe zahlreiche Vertreter der Bundesländer unter den Gästen. Stellvertretend für alle begrüße ich ganz, ganz herzlich den Senator für Inneres und Sport des Landes Berlin, Herrn Bürgermeister Frank Henkel, den Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Reinhold Gall, sowie die Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Hessen, Lucia Puttrich, die zusammen mit der Landesbeauftragten der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Frau Margarete Ziegler-Raschdorf zu uns gekommen ist. Herzlich willkommen Ihnen allen.

Der Bund der Vertriebenen war, ist und bleibt überparteilich. Meine Damen und Herren, er sucht den Dialog mit allen politischen Akteuren, die sich zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Daher freut es mich sehr, dass heute alle im Bundestag vertretenen Parteien unserer Einladung gefolgt sind.

Erlauben Sie mir, aus den Reihen der Parlamentskollegen einige Gäste namentlich zu begrüßen, auch wenn sie mir alle gleich lieb und herzlich sind: Aus dem Bundestag begrüße ich den innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Stephan Mayer, Mitglied des BdV-Präsidiums, sowie ganz herzlich unsere Ehrenpräsidentin Erika Steinbach.

Liebe Erika, ohne Deinen sehr engagierten und immer zielorientierten Einsatz über viele, viele Jahre hinweg stünde der BdV heute nicht da, wo er steht. Dafür danke ich Dir ausdrücklich und freue mich, dass Du als unsere Ehrenpräsidentin an unserer Seite stehst, uns begleitest und unterstützt. Wir wollen auf Dich nicht verzichten. 

Ich begrüße die Herren Klaus Brähmig, den Vorsitzenden der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herrn Heinrich Zertik, den Vorsitzenden des Netzwerks Aussiedler in der CDU sowie ganz herzlich Frau Hiltrud Lotze von der SPD, mit der wir im Stiftungsrat der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ den Weg über Höhen und Tiefen des letzten Jahres gemeinsam und konstruktiv gegangen sind, und jetzt mit Frau Dr. Gundula Bavendamm, die ich ebenfalls ganz herzlich in unseren Reihen begrüße, als Stiftungsdirektorin eine hervorragende Lösung für diese wichtige Aufgabe gefunden haben.

Ich begrüße selbstverständlich auch die Vertreter der Opposition im Deutschen Bundestag, stellvertretend Frau Aszize Tank, meine Kollegin im Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.

Mit einem besonderen Gruß wende ich mich an die zahlreichen Vertreter des diplomatischen Corps unter uns. Ich begrüße, allen voran, den Apostolischen Nuntius in Deutschland, Nikola Eterović, Kurienerzbischof der römisch-katholischen Kirche und Diplomat des Heiligen Stuhls. Herzlich willkommen. Weiterhin die Botschafter Ungarns, der Ukraine, aus Armenien und den neuen rumänischen Botschafter erstmalig in unseren Reihen, sogar in Begleitung des ehemaligen rumänischen Außenministers Andrei Plesu. Herzlichen Dank, Herr Minister, dass Sie da sind.

Ein herzliches Willkommen gilt auch den anderen Vertretern der Kirchen sowie ausdrücklich des Zentralrats der Juden in Deutschland. Herzlich willkommen.

Ich begrüße selbstverständlich alle Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Verbänden sowie aus der Presselandschaft. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie unserem Tag Ihre Ehre erweisen.

Wundern Sie sich nicht, dass mit Paul Ziemiak der Vertreter der Jungen Union Deutschlands bei uns ist und auch die djo – Deutsche Jugend in Europa mit Hetav Tek, der Bundesvorsitzenden, und Robert Werner hochrangig vertreten ist. Sie sehen: Der BdV ist interessant, auch für junge Menschen.

Ich begrüße natürlich die vielen Vorsitzenden und Vertreter aller Landsmannschaften und BdV-Landesverbände.Ich begrüße Sie alle, meine Damen und Herren ganz, ganz herzlich. Ihre Anwesenheit macht unseren Empfang erst zu dem Ereignis, der er ist.

Wie Sie wissen, dient dieser Abend nicht dem politischen Schlagabtausch. Vielmehr ist er dazu gedacht, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Lassen Sie mich deshalb die Gelegenheit nutzen, im Namen des gesamten BdV der Bundesregierung Dank zu sagen: Dank dafür, dass sie am 20. Juni 2015 erstmalig einen würdevollen, angemessenen und sehr emotionalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung ausgerichtet hat. Sowohl Bundespräsident Joachim Gauck, der übrigens auch zur Auftaktveranstaltung zum Tag der Heimat im September dieses Jahres die Festansprache halten wird, als auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière haben damals bewegende und empathische Worte gefunden. Seien sie versichert: Die deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler haben das wohl vernommen und wissen es zu schätzen!

Das Jahr 2016 hat der Bund der Vertriebenen unter das Leitwort „Identität schützen – Menschenrechte achten“ gestellt. In gesellschaftspolitisch aufgewühlten Zeiten rufen wir so zu gegenseitigem Respekt und Achtung der selbstempfundenen Identität sowie zur Besinnung auf Menschlichkeit und unseren gesellschaftlichen Wertekanon auf. Gerade uns Heimatvertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern liegt ein offenes, vereintes Europa der Menschenrechte am Herzen. Lassen Sie uns daher die aktuellen Herausforderungen gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn annehmen.

Diese rufe ich dazu auf, sich einer Empathie für das Leid der heutigen Vertriebenen und Flüchtlinge nicht zu verschließen und sich bei ihren Entscheidungen an die Lehren der Vergangenheit – besonders des letzten Jahrhunderts – zu erinnern. Wir alle müssen Menschlichkeit und Solidarität vorleben. Werte, die das letzte Jahrhundert trotz der schaurigen ersten Hälfte doch zu einem guten Ende haben kommen lassen.

 „Menschlichkeit“ ist ein guter Oberbegriff für die Ehrung, die ich nun vornehmen möchte und die ich an den Abschluss meiner kurzen Begrüßung stelle.

In Anwesenheit unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie des Apostolischen Nuntius in Deutschland, Nikola Eterović, freue ich mich sehr, heute die Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen, unsere höchste Auszeichnung, verleihen zu dürfen.

Ich bitte Sie, Herr Großdechant Prälat Franz Jung, deswegen zu mir.


Laudatio zur Verleihung der Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen an Großdechant Prälat Franz Jung

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB

Sehr geehrter Großdechant,

es ist mir eine besondere Ehre und große Freude, Ihnen die höchste Auszeichnung unseres Verbands, die Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen, überreichen zu dürfen.

Seit nunmehr fast 60 Jahren richtet sich das gesamte Wirken und Streben von Prälat Franz Jung danach aus, den Vertriebenen geistliche und menschliche Stütze zu sein. Geboren 1936 in Neundorf in der Grafschaft Glatz in Schlesien als eines von neun Kindern, wurde Franz Jung bereits als Kind 1946 mit dem schweren Schicksal der Vertreibung konfrontiert. Sein Weg führte ihn dann als Jugendlichen zur Glatzer Jugend, aus deren Mitte heraus er eine aktive, nachhaltige Vertriebenenarbeit aus tiefer Liebe zur Heimat begann, die bis heute fortdauert. Rückblickend betrachtet, hat Prälat Jung sein ganzes Leben der Seelsorge besonders der Menschen aus der Grafschaft Glatz gewidmet. Durch seine Arbeit hat er nachhaltig zur Milderung des harten Vertreibungsschicksals beigetragen.

In das Amt des Großdechanten – das ist ein Titel, den vor ihm nur wenige trugen und vermutlich nach ihm keiner mehr tragen wird – wurde er 1983 als Diözesanpräses der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung berufen. Bereits 1985 gründete er den Pastoralrat der Grafschaft Glatz. Prälat Jung war bis 1998 Mitglied der Bischofskonferenz und von 1989 bis 1999 noch Pfarrer in St. Aegidii Münster. Als besonderen Höhepunkt seiner Berufung im Dienste der Heimatvertrieben sehe ich die Seligsprechung des Glatzer Jugend-Kaplans Gerhard Hirschfelder, um die er sich lange und letztlich erfolgreich bemüht hat. Im Heimatwerk Grafschaft Glatz wird unter seiner Ägide mit Beharrlichkeit daran gearbeitet, die Identität der Heimatvertriebenen in religiösem Leben, bei Wallfahrten und Treffen kultureller Art zu bewahren. Ich erinnere an die jährlichen Wallfahrten nach Telgte und nach Werl, an denen Tausende Glatzer teilnehmen, aber auch an die Wallfahrten zu den Gnadenorten im Glatzer Land, die für die heimatverbliebenen Schlesier eine besondere Bedeutung haben. Stärkung der Glatzer Identität einerseits, Brückenbau zwischen Heimatvertriebenen und heutigen Bewohnern der ehemaligen Grafschaft andererseits: Diesen Spagat vollbringt die ehemalige Glatzer Visitatur und ihre Nachfolgeorganisation, das Heimatwerk, seit Jahrzehnten. Als Großdechant ist Prälat Franz Jung der „Oberpriester der Glatzer“.

Durch zahllose Fahrten in die Heimat, ebenso wie durch seine Besuche bei Heimattreffen und anderen Grafschafter Veranstaltungen hat Prälat Franz Jung die Verbindung zu den Grafschaftern in der Fremde gefestigt. Menschlich nahbar und geistlich den Vertriebenen ein großer Halt: Diese Eigenschaften zeichnen ihn bis heute aus!

Das Präsidium des BdV hat sich einstimmig entschieden, Sie, Großdechant Prälat Franz Jung, für Ihre jahrzehntelangen Verdienste um die Belange der deutschen Heimatvertriebenen zu ehren.


Dankesworte beim Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen am 12. April 2016 in der Katholischen Akademie, Berlin

Großdechant Prälat Franz Jung

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Herr Dr. Fabritius,

es macht mich schon betroffen eine solche Ehrung anzunehmen. Und ich bin ja in einem Alter, wo man so langsam in den Hintergrund tritt, aber wenn so eine Ehrung kommt, dann spüre ich, du bist für diese Leute da, die aus der Heimat vertrieben worden sind. Und das mache ich inzwischen 33 Jahre und immer noch mit viel Freude und Engagement. Bin also fast dauernd unterwegs. Und darum danke ich herzlich für dies Ehrung.

Das ist eine Ehrung aller Vertriebenen, und deswegen habe ich auch zugesagt. Ich kann nur arbeiten, wenn viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen da sind, und da habe ich eine ganze Reihe meiner Glatzer Landmannschaft in Schlesien. Bin mit den Ermländern gut verbunden, und von daher haben wir ein gutes Team.  Und wenn man das nicht hat, kann man nicht arbeiten. Ich bin dankbar dafür, dass damit auch meine Landsleute und all die, die sich um Vertriebene kümmern, geehrt werden. Als ich darüber nachdachte, „Identität bewahren und auch schützen“, da fiel mir ein Wort meiner Kaplanzeit ein, in Wesel am Niederrhein. Da fand ich eine Karte: „Alle Menschen werden als Original geboren, doch die meisten sterben als Kopien.“

Das war ein Schritt, den ich ein Leben lang versucht habe zu verwirklichen, den Menschen klarzumachen, dass sie ein Original sind und nicht als Kopie sterben dürfen. Und ich hab sie gekitzelt, dass sie mit Ihrer Tätigkeit und Originalität unsere Arbeit tragen, und das hat mich selber dann bestärkt.

Ein Zweites: Heimatrecht. Bei jeder Wallfahrt, bei jedem Heimattreffen, und ich bin sehr viel noch unterwegs quer durch Deutschland und habe auch meine Missionare aus der Grafschaft Glatz besuchen dürfen, in vielen Ländern mit zwölf Missionsreisen. Immer wieder habe ich gesagt, wir müssen darauf pochen, dass das Recht auf Menschenrechte und auf Heimatrecht bestehen bleibt, und daran müssen wir arbeiten. Das tun wir auch mit der Versöhnung mit dem polnischen Nachbarvolk.

Wenn ich an die Seligsprechung von Kaplan Gerhard Hirschfelder denke, hat das viel Zeit und Arbeit gekostet, aber auch den Brückenschlag zu den Polen bewirkt, und das ist unsere Aufgabe, in Kirche und Gesellschaft unsere Wirklichkeit wahrzunehmen. Dass wir als Christen eine Aufgabe haben, dieses Europa mitzugestalten unter dem Sog der Bundeskanzlerin. Und das ist ja etwas, was uns Freude macht und Zuversicht gibt.

In diesem Sinne danke ich ganz herzlich nochmals für diese Auszeichnung und wünsche uns allen etwas Gutes: in Zukunft ein gemeinsames Europa in geschichtlicher Wahrheit. Daran kommen wir nicht vorbei, und das ist manchmal schmerzhaft, aber da lassen wir einfach nicht locker.

In dem Sinne herzlichen Dank auch Ihnen allen auch für diese Ehrung.


Ansprache beim Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen am 12. April 2016 in der Katholischen Akademie, Berlin

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel MdB

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Fabritius,

lieber Herr Bundesminister Schmidt,

lieber Herr Bundesbeauftragter Koschyk – ich wiederhole die Begrüßung jetzt aber nicht noch einmal in der Formvollendung, wie es eben geschehen ist –,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und den Landesparlamenten,

natürlich liebe Frau Ehrenvorsitzende, liebe Erika Steinbach,

Exzellenzen,

meine Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Prälat Jung,

auch von mir einen ganz herzlichen Glückwunsch zur Verleihung der Ehrenplakette. Wir haben es eben gehört: Über Jahrzehnte hinweg haben Sie sich der Anliegen der deutschen Vertriebenen angenommen – insbesondere auch in Ihrem Amt als Großdechant. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn ich hier sage, dass Sie die deutsch-polnische Verbundenheit geradezu leben. Sie haben ein ums andere Mal gezeigt, worauf es in einer guten Nachbarschaft auch und besonders ankommt: auf Versöhnung und auf Verständigung – nicht irgendwie, sondern, wie Sie es eben auch gesagt haben, im Bewusstsein der eigenen Geschichte, die unsere Identität mehr prägt, als uns im täglichen Leben oft bewusst ist. Wenn ich mir manche Entwicklungen auf der Welt gerade in diesen Monaten anschaue, dann stelle ich fest: Es ist gut, wenn man ein bestimmtes geschichtliches Grundwissen hat.

Ein friedliches und gedeihliches Miteinander der Völker und Nationen lässt sich nicht einfach verordnen. Es wird vielmehr von vielzähligen Partnern getragen, die sich aufeinander einlassen und die auch Meinungsverschiedenheiten nicht davon abbringen, Kontakte zu pflegen. Den Vertriebenen, ihren Familien und Verbänden kommt seit jeher eine Schlüsselrolle im europäischen Dialog zu. Ihre guten Kontakte, ihre Verbundenheit zur Heimat und ihr Interesse an dortigen Entwicklungen machen sie zu Brückenbauern in einem Europa, das letztlich nur so stark ist, wie es auch einig ist. Genau daran lässt sich ermessen, wie wertvoll in und für Europa das vertrauensbildende Wirken der Vertriebenen und ihrer Organisationen ist. Dafür sind und bleiben wir in der Bundesregierung Ihnen ganz herzlich zu Dank verpflichtet. Danke schön.

Deshalb versuchen wir, Sie auch zu unterstützen. Unsere Unterstützung zeigt sich nicht zuletzt in der finanziellen Förderung des vielfältigen verständigungspolitischen Engagements. Der Verständigungsgedanke leitet uns auch in der Unterstützung der Deutschen, die in ihrer Heimat außerhalb unserer heutigen Landesgrenzen geblieben sind. Dabei geht es längst um mehr als um Bleibehilfe und Verbesserung der Lebensumstände. Als Bundesregierung wollen wir heute vor allem helfen, die Sprache, die Kultur und damit die Identität der deutschen Minderheiten zu bewahren. Hierfür haben wir die Mittel im Bundeshaushalt 2016 deutlich erhöht – aus guten Gründen. Denn die Geschichte der Deutschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa birgt einen über Jahrhunderte gewachsenen kulturellen Schatz. Dazu gehören Erfahrungen eines friedlichen Miteinanders verschiedener Völker und Religionen. Sie sind Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Sie prägen unser Selbstverständnis als Europäer, die in Vielfalt geeint sind.

Daher war es uns wichtig, die Konzeption der Kulturförderung unter Betonung der europäischen Integration weiterzuentwickeln. Ich danke allen, die dabei beratend zur Seite standen und dafür sorgten, dass die Neufassung fraktionsübergreifend gutgeheißen wurde. Ein wichtiger Ansatzpunkt der überarbeiteten Konzeption ist zum Beispiel, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um wissenschaftliche Erkenntnisse einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und um auch künftig die Erinnerungsweitergabe von einer Generation zur nächsten zu gewährleisten.

Nicht zuletzt wollen wir auch die jüngere Generation der Spätaussiedler, die ihre eigenen Erfahrungen mitbringen, besser in der Kulturförderung berücksichtigen. Nach wie vor kommen Angehörige deutscher Minderheiten und Familienmitglieder zu uns nach Deutschland. Es sind in den letzten Jahren sogar wieder etwas mehr geworden: 2015 waren es rund 6.000 Personen. Das liegt sicherlich auch an der Gesetzesänderung 2013, mit der wir die Zusammenführung von Spätaussiedlerfamilien erleichtert haben.

Ein anderes Anliegen, das dem Bund der Vertriebenen seit langem – ich darf sagen: wirklich seit langem – am Herzen lag, war und ist die Entschädigung der zivilen deutschen Zwangsarbeiter. Der Deutsche Bundestag hat beschlossen, dafür in den nächsten drei Jahren Haushaltsmittel in Höhe von 50 Millionen Euro bereitzustellen. Dabei kann es nur um eine symbolische Anerkennung persönlichen Leids gehen – dennoch ein, wenn auch spätes, wichtiges Zeichen, dass uns das erlittene Schicksal vieler Menschen bewusst ist. Herr Fabritius hat eben die nächsten Schritte skizziert. Das Geld muss ja auch bei den Betroffenen ankommen. Die Zeit drängt. Deshalb werden wir alles daransetzen, dass das zügig geschieht.

Meine Damen und Herren, die Vergangenheit lässt sich nicht auf Ausschnitte reduzieren. Erst wer sich mit ihr bewusst befasst, vermag auch die Gegenwart besser zu verstehen und einen klaren Blick für die Aufgaben zu gewinnen, vor denen wir heute stehen. Daher ist und bleibt auch der Zweck der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Mit der neuen Direktorin – auch ich begrüße Sie ganz herzlich; bislang konnte ich Sie noch nicht kennenlernen –, Frau Gundula Bavendamm, konzentriert sich die Stiftungsarbeit weiter auf den Aufbau der Dauerausstellung und des Informations- und Dokumentationszentrums. Dazu wünsche ich von Herzen viel Erfolg und eine gute Kooperation mit der Bundesbauverwaltung.

Angesichts der aktuellen Flüchtlingsproblematik gewinnen die Themen der Stiftung zusätzliche Bedeutung. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Ursachen und Folgen von Zwangsmigration kann helfen, auch derzeitige Entwicklungen besser nachzuvollziehen und vielleicht auch Ansatzpunkte zur Bewältigung heutiger Herausforderungen zu liefern. Ohne Zweifel sind die Gründe, der kulturelle Hintergrund und die Hoffnungen der Menschen, die heute ihre Heimatländer verlassen und in Europa Zuflucht suchen, andere als die der deutschen Heimatvertriebenen vor rund 70 Jahren. Das Verbindende aber liegt in der Erfahrung, alles zurückzulassen und einen Weg ins Ungewisse zu gehen.

Daher sei in diesem Zusammenhang auch daran erinnert, dass die Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg einen bedeutenden Beitrag zum Wiederaufbau Deutschlands in West und Ost geleistet haben. Ihnen haben wir zu einem guten Teil zu verdanken, dass Deutschland das ist, was es heute ist: eine in vielerlei Hinsicht erfolgreiche, weltoffene und selbstbewusste Nation. Man kann das gar nicht oft genug sagen.

Ehrlich gesagt, gerade auch die heutige Beschäftigung mit Migration bringt wieder Lebensgeschichten zutage, über die wir selten gesprochen haben, auch weil man, wenn man in der DDR lebte, die alte Bundesrepublik nicht kannte. Integration war ja nicht so einfach, wie man nach ihrem Gelingen heute vielleicht meinen könnte, sondern es war ein schwieriger Weg. Umso mehr muss ich sagen: Dass sie gelungen ist, dass keine Verbitterung überwogen hat, sondern dass die Bereitschaft zum Mitmachen überwogen hat, ist ein Teil und ein Glücksfall der deutschen Geschichte.

Das ruft uns noch einmal in Erinnerung: Gelungene Integration ist stets auch eine Frage des gegenseitigen Nehmens und Gebens. Wer heute neu zu uns kommt, braucht erst einmal Hilfe, um unsere Sprache zu lernen und um sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, aber auch, um unser Land und unser Leben, unsere Gesellschaft und Werte kennenzulernen, zu verstehen und – was wir auch erwarten – zu respektieren. Sicherlich werden viele wieder in ihre Heimat zurückkehren, sobald es die Situation erlaubt. Auch dann können ihnen die neu erworbenen Kenntnisse helfen. Für diejenigen, die bleiben, gilt es, so schnell wie möglich auf eigenen Füßen zu stehen, sich neue Existenzen aufzubauen, sich Perspektiven zu schaffen.

Meine Damen und Herren, die Lebensgeschichten vieler Heimatvertriebener erzählen, wie schwer ein Neuanfang ist – ich sagte es eben. Sie erzählen aber auch von den Erfolgen, in neuer Umgebung Fuß gefasst zu haben. Ich erinnere mich daran, dass Erika Steinbach in einer Rede darauf hingewiesen hatte, wer alles eine Vertriebenengeschichte in Deutschland hat und wie das unsere Nation bereichert. Diese Erfahrung sollte uns zuversichtlich machen, heute auch ganz andere Herausforderungen als damals bestehen zu können. Denn alles in allem haben wir heute eine friedliche Situation in Deutschland und in Europa. Wir spüren aber auch, dass wir jeden Tag wieder neu dafür arbeiten müssen, dass das so ist. Ich denke, wer einmal seine Heimat verloren hat und vertrieben wurde, der wird dieses Gespür vielleicht noch intensiver haben als die, die eine solche Erfahrung nicht machen mussten. Deshalb bitte ich Sie: Seien Sie eine deutliche Stimme in den täglichen Diskussionen.

Danke für das, was die Vertriebenen für unser Land getan haben. Herzlichen Dank.