§ 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG)

Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten, sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fördern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu fördern. Die Bundesregierung berichtet jährlich dem Bundestag über das von ihr Veranlasste.

Kulturkonzept des BdV

Das historische Erbe -
für die Zukunft bewahren und entwickeln

I.

Die Öffnung der Grenzen zu Osteuropa hat einen tiefgreifenden Wandel in den zwischenstaatlichen Beziehungen bewirkt, der auch die kulturellen Wechselbeziehungen, insbesondere für die Förderung der deutschen Kulturtraditionen der Vertreibungsgebiete verändert hat.
Dieser Wandel hat die Sichtweisen und Möglichkeiten erweitert, die sich den Trägern der praktischen Kulturarbeit auf verbandlicher und institutioneller Grundlagen bieten. Daraus muß sich eine Neubestimmung der in § 96 BVFG formulierten Verpflichtung des Bundes und der Länder ableiten, "das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im Bewusstsein des deutschen Volkes und der Auslands zu erhalten" - "sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen zu fördern."
Der gesetzliche Auftrag zu staatlicher Förderung bleibt gleichermaßen vergangenheits- und zukunftsorientiert: Der Bund der Vertriebenen sieht sich weiterhin in der Verpflichtung, an der Umsetzung des gesetzlichen Auftrages selbst maßgeblich mitzuwirken und die dazu erforderliche Mitwirkung der öffentlichen Hand einzufordern.

II.

Die Mitglieder der den Bund der Vertriebenen konstituierenden Verbände sind personale Träger der Kultur der Vertreibungsgebiete. Deren Kultur ist Teil ihrer Identität, die nicht mit der Erlebnisgeneration erlischt, sondern generationenübergreifend fortwirkt und prägt. Die Vertriebenen sind die legitimen Erben dieser Kultur, woraus ihnen die Verpflichtung erwächst, diese zu leben, zu pflegen und zu vermitteln. Dazu hat sich der Bund der Vertriebenen bekannt und auch diese Verpflichtung folgerichtig als seinen satzungsgemäßen Auftrag übernommen.

III.

Den positiven Wandel in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu den Vertreibungsregionen und den sich inzwischen beschleunigenden Übergang von der Erlebnis- zu deren Nachfolgegenerationen nimmt der Bund der Vertriebenen zum Anlaß, seine kulturpolitischen Ziele zu aktualisieren. Um diese zu verwirklichen, beruft er sich auf die gesetzlichen Verpflichtungen der öffentlichen Hand gemäß § 96 BVFG zur Erfüllung der folgenden Aufgaben:

IV.

1. Zur Sicherung, Ergänzung und Präsentation des Kulturgutes der Vertreibungsgebiete ist der erfolgreich begonnene Weg der Einrichtung landsmannschaftsbezogener Landesmuseen fortzusetzen. Die für einzelne Gebiete und Regionen bisher noch fehlenden Museen wie beispielsweise ein Sudetendeutsches Museum wie ein solches für die deutschen Siedlungsgebiete in Russland sind einzurichten.
Jedes Museum sollte für einen möglichst historisch-traditionell gewachsenen, weitgehend abgrenzbaren Raum, für eine Region oder ein Land stehen.
Die maßgebliche Mitarbeit von Vertretern der jeweils dargestellten Landsmannschaften ist statuarisch zu sichern; die Lebensfähigkeit der Museen erfordert die institutionelle Förderung von Bund und Ländern.

2. Der wissenschaftlichen Fundierung, Begleitung und Verbreitung des Kulturerbes dient insbesondere die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, die seit über 3o Jahren wesentlich dazu beiträgt, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete im nationalen wie im internationalen Bewußtsein zu erhalten.
Diese Einrichtung ist existenzsichernd und mit längerfristiger Perspektive so zu fördern, daß sie wieder in die Lage versetzt wird, die notwendige Öffentlichkeitswirkung zu entfalten.

3. Zentrale Kultureinrichtungen, wie sie weitgehend von den Vertriebenen selbst geschaffen wurden und seit Jahrzehnten erfolgreich betrieben werden, fördern das in der Tradition der Vertreibungsgebiete stehende kulturelle Schaffen, vermitteln dieses generationenübergreifend und dienen zunehmend dem grenzüberschreitenden Kulturaustausch mit unseren östlichen und südöstlichen Nachbarn. Der damit beschrittene Weg der gutnachbarlichen Zusammenarbeit und Verständigung ist unter maßgeblicher Mitwirkung unserer Mitglieds-/Trägerverbände auszubauen. Die bestehenden Einrichtungen wie die Ostsee-Akademie in Travemünde, das Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen und die Sudetendeutsche Stiftung in München sind dazu in ihrer Existenz zu sichern und mittels spezifischer Projekte angemessen zu fördern.

4. Die kulturelle Identität vertriebener Bevölkerungen und Volksgruppen ist gerade unter sich wandelnden demographischen und sozialen Bedingungen generations-übergreifend zu wahren und wo möglich zu vertiefen. Träger dieser Aufgabe sind in erster Linie die Landsmannschaften mittels ihrer kulturellen Breitenarbeit. Mit diesem bürgerschaftlichen Engagement auf kulturellem Gebiet übernehmen die Landsmannschaften eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, indem sie die Identität von Gruppen zu wahren und zugleich kulturelle Vielfalt in unserem Land zu sichern helfen.
Zur Erfüllung dieser Aufgabe sind die Landsmannschaften (wieder) personell und sachlich angemessen zu fördern, wozu vordringlich der Einsatz eigener hauptamtlicher Kulturreferenten gehört.

5. Eine umfassende statistische und wissenschaftliche Aufarbeitung der geleisteten kulturellen Breitenarbeit und damit des verbundenen kulturellen Bürgerschaftlichen Engagements ist bisher nicht erfolgt. Der Bund möge dieser Grundverpflichtung aus § 96 BVFG alsbald nachkommen.

6. Die umfangreiche ehrenamtlich geleistete Arbeit in den Hunderten von Heimatstuben, Heimatsammlungen und kleinen Privatmuseen ist vom Bund und den Ländern als beispielhaftes kulturelles Bürgerschaftliches Engagement anzuerkennen, zu unterstützen und zu fördern. Einrichtungen und Dienstleistungen sollen erstmals bundesweit erfasst und dokumentiert werden. Bund und Länder haben den Erfahrungsaustausch der Sammlungen zu unterstützen und Hilfestellungen in der Arbeit zu gewähren. Bei Nachfolge- und Weiterführungsproblemen sind Hilfen anzubieten. Für Depotmöglichkeiten bei größeren Einheiten zu schaffen.

7. Beispielhaftes bürgerschaftliches Engagement bei der Herausgabe und Redaktion der privat betriebenen zahlreichen Heimatzeitungen und Heimatblätter, die auf besondere Weise das kulturelle Erbe der jeweiligen Herkunftsgebiete erhalten und pflegen, ist zu fördern. Deren Erfahrungsaustausch ist durch Bund und Länder zu ermöglichen. Bei der Nachfolgesuche ist fachliche Unterstützung zu gewähren.

8. Kulturschöpferische Leistungen, die Bezug haben zu Traditionen und Geschichte der Vertreibungsgebiete, sind durch angemessen dotierte Kulturpreise zu fördern, die gleichzeitig öffentlichkeitswirksam zu verleihen sind. Regelmäßige zentrale Preise für Kunst, Literatur und Wissenschaft sind durch geeignete Stiftungen unter wesentlicher Beteiligung von Vertretern der Landsmannschaften auszusetzen und zu vergeben.

9. Die Geschichte der Vertreibungsgebiete und das Schicksal ihrer Bevölkerungen ist ein wichtiger Gegenstand des Schulunterrichts und sollte daher fester Bestandteil der Lehrpläne und Lehrbücher weiterführender Schulen sein. Lehrerausbildung und -fortbildung sind entsprechend zu gestalten.

10. Zur wissenschaftlichen Fundierung von Geschichte, Volkskunde und Sprache der Vertreibungsgebiete sind die Bundesländer aufzurufen, Lehrstühle an den Universitäten einzurichten. Hierzu sollten bestehende Patenschaftsbeziehungen die Gebietswahl mitbestimmen.

11. Um der Verständigung und dem Kulturaustausch mit den Menschen in den Vertreibungsgebieten zu dienen, sollten deutsche Kulturgüter und -denkmäler in den Heimatgebieten der Vertriebenen durch Einzelprojekte unter maßgeblicher Mitwirkung der jeweils zuständigen Landsmannschaften gesichert und restauriert werden.

12. Nur wenige sächliche Kulturgüter und -gegenstände konnten bei Flucht und Vertreibung mitgeführt werden und befinden sich in Deutschland. Sie sind Zeugnisse für die Identität und das Selbstverständnis der jeweiligen Vertriebenengruppe. Zunehmende Forderungen auf Rückführung in das Vertreibungsgebiet sind deshalb abzulehnen, ihre dauerhaft gesicherte und sachgerechte Unterbringung in den Landesmuseen der Vertreibungsgebiete in Deutschland ist zu ermöglichen.

Frankfurt am Main, den 14. November 2006