Ansprache zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 29. August 2015

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil,

Herr Justizminister,

meine Damen und Herren Länderminister,

liebe Ehrengäste,

liebe Landsleute,

ich begrüße Sie im Namen des Bundes der Vertriebenen zum diesjährigen Tag der Heimat, der unter dem Motto „Vertreibungen sind Unrecht – gestern wie heute“ steht.

Bereits fünf Jahre nach der Potsdamer Konferenz versammelten sich am 6. August 1950 weit über 100.000 Vertriebene in Stuttgart, um einerseits auf die Not und Rechtlosigkeit der Vertriebenen aufmerksam zu machen, und andererseits die Charta der Heimatvertriebenen zu proklamieren. Es war der erste offizielle Tag der Heimat!

Bereits ein Jahr später, im November 1951, als Bundeskanzler Adenauer anlässlich der Konstituierung des „Bundes der vertriebenen Deutschen“ in Hannover zu den Vertriebenen sprach, stellte er mit Genugtuung fest, dass jener Festakt unter dem Leitwort „Heimat, Deutschland, Europa“ stand.

Dieses Motto war ein klares Bekenntnis zu der Westeuropa-Politik der Bundesregierung und des Kanzlers. Es stärkte dementsprechend seine Verhandlungsposition gegenüber Frankreich, das hinsichtlich der außenpolitischen Orientierung der Millionen deutschen Heimatvertriebenen nach wie vor skeptisch war. Mit zusätzlichem Verweis auf die 1950 verabschiedete Charta konnte Adenauer jederzeit zu Recht behaupten, dass Vertriebene und Flüchtlinge hinter seiner friedlichen westlichen Integrationspolitik stehen.

In der sowjetisch besetzten Zone des Nachkriegsdeutschland war es anders: Nach der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze im Görlitzer Vertrag von 1950 durch die DDR waren dort Erinnerungen an die Heimat nicht erwünscht. Den Vertriebenen in der DDR war es jahrzehntelang, bis zum Zusammenbruch des Ostblocks, bei Androhung von Gefängnisstrafe verboten, über ihre persönliche Geschichte zu sprechen. Vergessen wir nicht, dass allein auf dem Gebiet der späteren DDR rund 4 Mio. Vertriebene gestrandet waren!

DDR-Integrationspolitik war purer Zwang zur bedingungslosen Assimilation. Im Gegensatz dazu verfolgt die Eingliederungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland bis heute – bezogen auf die Spätaussiedler – das Ziel, eine soziale und wirtschaftliche Integration zu gewährleisten und dabei die Identität der Betroffenen zu wahren.

Der Tag der Heimat hat in Deutschland gottseidank auch die DDR überlebt. Es ist jahrzehntelange Tradition, zum Tag der Heimat

  • Aktualität herzustellen,
  • Entwicklungen zu benennen,
  • Forderungen zu formulieren
  • und über den eigenen Tellerrand zu blicken.

Meine Damen und Herren, Nachrichten über die jüngste Flüchtlingskatastrophe, die in Österreich in einem LKW entdeckten und vermutlich qualvoll erstickten 71 Menschen, machen uns und mich persönlich tief betroffen!

Nach solchen Nachrichten können und wollen wir nicht einfach zum politischen Alltag übergehen. Wir erleben inzwischen eine humanitäre Katastrophe unglaublichen Ausmaßes – direkt in unserer Mitte. Schleuser, meine Damen und Herren, betreiben ein skrupelloses und kriminelles Geschäft, in dem Menschen nur eine Ware sind – und deren Not Teil eines perfiden Geschäftsmodelles. Das ist durch und durch verwerflich und gehört gleichermaßen bekämpft, wie die Flucht- und Vertreibungsursachen selbst.

Und, meine Damen und Herren, ich kann nur noch sagen: Diese Tragödie ist eine Schande für diejenigen Staaten in Europa und der Welt, die sich einer Lösung der akuten Notsituation in der notwendigen Solidarität verschließen und so tun, als ob das Problem sie nichts angehe. Menschliche Dramen müssen uns alle angehen!

Der Bund der Vertriebenen ruft auch zum Tag der Heimat dazu auf, den Opfern von Flucht und Vertreibung in Gegenwart und Zukunft Hilfe zu bieten und ihnen mit Anteilnahme zu begegnen.

Der Bund der Vertriebenen hat bereits Ende letzten Jahres als Leitwort für 2015 festgelegt: „Vertreibungen sind Unrecht – gestern wie heute“. Die deutschen Heimatvertriebenen, meine Damen und Herren, wissen, wie es ist, als Vertriebener die Heimat zu verlieren und in die Fremde zu müssen. Auch sie wurden nach dem Krieg von vielen als fremd und als Belastung wahrgenommen.

Trotzdem ist die Situation der deutschen Heimatvertriebenen nicht mit der Situation des aktuellen Flüchtlingsgeschehens und den sich heute stellenden Herausforderungen vergleichbar. Nach dem Krieg, meine Damen und Herren, kamen Landsleute, es kamen Menschen aus demselben Kulturkreis, sie sprachen dieselbe Sprache, beteten trotz unterschiedlicher Konfessionen zu demselben Gott, sie lebten die gleichen Wertvorstellungen.

Für viele Flüchtlinge und Vertriebene heute ist es um ein Vielfaches schwerer, weil sie aus anderen Kulturen kommen und sprichwörtlich in der Fremde sind. Schwerer ist es daher auch für die aufnehmende Gesellschaft. Trotzdem und gerade deshalb bitte ich Sie, den leidgeprüften Menschen von heute mit noch mehr Empathie zu begegnen, als uns und unseren Müttern und Vätern vor 70 Jahren zuerst entgegengebracht wurde.

Sie, Herr Klassohn, haben von einer kalten Heimat gesprochen. Bieten wir doch den Vertriebenen und Flüchtlingen von heute offene Herzen. Die Menschen, meine Damen und Herren, die aus Bürgerkriegsländern kommen und um Leib und Leben bangen, brauchen unseren Schutz. Es ist unsere ethische, moralische und menschliche Pflicht, diesen Menschen Obhut zu gewähren. Das entspricht unserem christlichen Menschenbild, und deswegen wollen wir helfen.

Der Bund der Vertriebenen betreibt deswegen, auch deswegen, 13 Betreuungsstellen in 10 Bundesländern, in denen natürlich vorrangig deutsche Aussiedler und Spätaussiedler betreut werden, aber auch Opfer von Flucht und Vertreibung von heute Rat und Hilfe bekommen. Im letzten Jahr konnten wir so über 5.000 Fälle betreuen. In diesem Jahr sind es heute bereits mehr, darunter gut 40 Prozent Opfer aus aktuellen Krisengebieten. Diesen Menschen, meine Damen und Herren, können wir helfen. Diesen Menschen kann Deutschland helfen.

An dieser Stelle möchte ich dem Kirchlichen Suchdienst danken, der nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung der Deutschen über die Pfarrämter meist erste Anlaufstelle für getrennte Familien gewesen ist. Er hat Ende September dieses Jahres nach 70 Jahren und 18 Millionen Anfragen seine erfolgreiche Arbeit einstellt. Der Bund der Vertriebenen sagt Dankeschön!

Nun, meine Damen und Herren, was ist angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation zu tun? Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Prof. Dr. Klaus Hänsch, der 1938 im schlesischen Sprottau geboren wurde, sagte letztes Jahr in Frankfurt anlässlich der Verleihung unseres Franz-Werfel-Menschenrechtspreises des Zentrums gegen Vertreibungen:

„Wir werden nicht allen helfen können, das ist klar. Aber es ist kein Grund, keinem zu helfen. Angesichts der Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen und bleiben dürfen, ist die Behauptung, Europa schotte sich ab, ebenso unsinnig und falsch wie die Behauptung, das Boot sei voll. Aber widersinnig ist es, wenn wir Menschen aus Staaten, die schon als Beitrittskandidaten zur Europäischen Union anerkannt sind, immer noch den Status von Verfolgten einräumen.“

Meine Damen und Herren, der BdV fordert daher:

  • eine nachhaltige Bekämpfung der Vertreibungsursachen und der Vertreiber.
  • Er fordert europäische Solidarität zur Bewältigung des Leides dennoch vorhandener Opfer von Flucht und Vertreibung.
  • Und er fordert eine klare Differenzierung zwischen diesen Opfern und solchen Menschen, die NICHT vertrieben werden, sondern sich selbst, aus meist wirtschaftlichen Gründen, für eine freiwillige Migration entscheiden! Soviel zur Aktualität.

In die Geschichtsbücher des Bundes der Vertriebenen, meine Damen und Herren,  wird das Jahr 2015 eingehen als das Jahr, in welchem Deutschland aktiv auf seine Vertriebenen zugegangen ist.

Der Gedenktag am 20. Juni, der in diesem Jahr erstmalig begangen wurde, ist der nationale Gedenktag der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Das betont unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut in ihrem Grußwort, das sie uns zum heutigen Festakt zugeschickt hat:

„Der 20. Juni ist nunmehr unser nationaler Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Er wird jährlich dazu beitragen, dass die Erinnerung an das Schicksal und die Kultur der deutschen Heimatvertriebenen lebendig bleibt.“

Lassen Sie mich einen Schritt weiter gehen und festhalten, dass die Wahl dieses Tages, die nicht immer unumstritten war, eine deutliche Absage an alle Kollektivschuld-Theorien ist, die den Opfern dieser Vertreibung Verantwortung für die eigene Vertreibung anlasten und den Unrechtsgehalt schmälern wollen. Gerade für einige Länder in Osteuropa ist dieses Signal auch im 21. Jahrhundert leider noch wichtig.

Der Gedenktag ist dem Leid, den Verlusten, den menschlichen Tragödien und den Toten gewidmet. Jedes Jahr am 20. Juni werden wir nunmehr öffentlich an die grausamen Vertreibungen im Sudetenland sowie im slowakischen und westukrainischen Karpatenraum erinnern. Wir werden an die Vertreibungen in Südosteuropa, einschließlich des gesamten Donauraums, an die Vertreibungen aus Schlesien, Ost- und Westpreußen, aus Pommern, aus Danzig und Ostbrandenburg erinnern. Wir werden unsere Gedanken zu den Deutschen aus dem Baltikum richten und wir werden die Deportation der Deutschen aus Russland, vor allem aus den Gebieten der Wolgarepublik ansprechen. Wir werden Leid, Unrecht und Todesopfer beklagen und ein würdiges Gedenken etablieren.

Deutschland war uns, seinen eigenen vertriebenen Landsleuten, diesen Gedenktag schuldig! Es hat ihn nun geschaffen!

Der Tag der Heimat, meine Damen und Herren, hingegen ist und bleibt der wichtigste Ankerpunkt im Jahreskalender der Vertriebenen und unseres Verbandes – bis in die untersten Gliederungen –, der in die Zukunft gerichtet ist. Auf den letzten 65 Tagen der Heimat haben die Vertriebenen – und auch die mit den Jahren stetig wachsende Zahl der Spätaussiedler – sowohl der eigenen Toten und Leidgeprüften der Vergangenheit gedacht als auch beharrlich jeweils aktuelles Zeitgeschehen, das kulturelle, gesellschaftliche und politische Leben in seinen Mitgliedsverbänden aufgegriffen und die dann notwendigen Forderungen in die Gesellschaft hineingetragen.

Im Gegensatz zum nationalen Gedenktag am 20. Juni rückt der Tag der Heimat also das Leben und das Überleben sowie Gegenwart und Zukunft unserer Heimat in den Fokus der Aufmerksamkeit. Den Tag der Heimat werden wir auch weiterhin begehen, denn seine Legitimation bezieht er aus 65 Jahren verlässlichen Handelns des Bundes der Vertriebenen. Wie schreibt uns doch unser Innenminister Dr. Thomas de Maizière so treffend in seinem Grußwort:

„Vergangenheit bewältigen, in der Gegenwart leben, Zukunft gestalten – so lässt sich die Arbeit des Bundes der Vertriebenen seit seiner Gründung auf den Punkt bringen.“

„Heimat“, meine Damen und Herren, ist einer der zentralen Begriffe, um den sich unser Wirken orientiert und den wir aus allen möglichen Perspektiven reflektieren müssen.

Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass „Heimat“ als eine ganz besondere „Sehnsucht des Herzens“ immer mehr an Bedeutung gewinnt, sobald man sie verloren hat. Heimat ist viel mehr als nur ein geographischer Ort. Heimat sind Orte, Verstecke, Gerüche, Klänge, Lieder und Freunde – aber auch die einzigartige Wolkenformation über dem Elternhaus, den vertrauten Wiesen und Wäldern.

Heimat ist die „innere Landschaft“ in uns selbst. Ich möchte sie die „Topographie des Herzens“ nennen.

Doch, meine Damen und Herren, haben wir inzwischen alle den notwendigen Mut, unser Heimatverständnis ehrlich und selbstkritisch zu prüfen?

Ja, selbstverständlich haben viele unter uns unsagbar viel verloren und aufgeben müssen. Ich denke hier ganz besonders auch an Werte und Schätze jenseits des Materiellen. Selbst ein Dreivierteljahrhundert genügt nicht, um den Schmerz des Verlustes zu kompensieren.

Aber, meine Damen und Herren, wir haben inzwischen Freunde als Nachbarn. Das betone ich, Herr Justizminister aus Ungarn, ausdrücklich. Gegenseitiges Verständnis wächst, so können wir zunehmend angehen, was uns wichtig ist. Die Landsmannschaften, die intensive Kontakte in den Heimatländer pflegen, wissen das und können es bestätigen.

Vertriebene und Spätaussiedler haben jeweils eigene regionale Kulturen, sie haben große Persönlichkeiten aus ihren Reihen hervorgebracht, sie haben zum wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands entscheidend beigetragen. In den Heimatländern hat sich als Zeugnis der Kultur eine Architektur erhalten, die die Handschrift unserer Ahnen trägt. Es gibt heute noch in Schlesien und Ostpreußen, in Siebenbürgen und im Banat und in vielen weiteren Heimatregionen deutsches Leben, das wir unterstützen wollen. Das kulturelle Erbe aus der Heimat ist für uns, meine Damen und Herren, nicht nur Vergangenheit, sondern Gegenwart und Zukunft. Dieses wollen wir kommenden Generationen weitergeben.

Nun, die Voraussetzungen dafür sind so gut wie nie. Die Europäische Osterweiterung, meine Damen und Herren, hat uns doch irgendwie „die Heimat zurückgebracht“. Im Sudetenland, in Schlesien und fast überall, in unseren Heimatgebieten, sind wir heute „EU-Inländer“. Wir können dort wohnen, Eigentum erwerben, Familien gründen – ja, wir können dort wieder Heimat haben.

Schon deshalb erscheint es mir völlig selbstverständlich, dass der Dialog zwischen Deutschland und Ländern wie Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn oder Rumänien heute ein zutiefst anders gearteter sein kann und sein muss als noch vor 25 Jahren! Gerade Ungarn, Herr Justizminister, aber auch Rumänien und die Tschechische Republik sind beste Beispiele dafür.

Das gilt für alle Bereiche – für Wirtschaft, für Wissenschaft, für die Kultur, für Geschichte! Ja, auch Geschichte. Auch für die Geschichte der Vertreibung der Deutschen aus ihren Heimatgebieten. Deutschland und seine Vertriebenen sind gereift, sie suchen das offene Gespräch. Ich erinnere an die Aussage unseres Innenministers Dr. Thomas de Maizière anlässlich des Festakts zum nationalen Gedenktag am 20. Juni in Berlin. Er sagte wörtlich:

„Für mich ist der heutige Gedenktag auch ein Zeichen dafür, dass wir als Land und Gesellschaft erwachsen geworden sind, auch im Umgang mit dem Thema Heimatvertriebene. Die Beziehungen auch zu unseren östlichen Nachbarn sind vertrauensvoll, freundschaftlich und verlässlich.“

Mehr als 25 Jahre nach dem Fall des Ostblocks, mehr als elf Jahre nach der EU-Osterweiterung und dem Beitritt der baltischen Staaten sowie unserer östlichen Nachbarn Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn möchten wir deutschen Heimatvertriebenen endlich einen kritischen, aber vorurteilsfreien Dialog mit diesen Ländern führen. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass man unter Nachbarn, ja unter Freunden, über Jahrzehnte hinweg bestimmte Themen tabuisieren muss, weil ansonsten politische Verwerfungen drohen – oder dieses behauptet wird. 70 Jahre nach Kriegsende ist die Zeit reif dafür.

Niemand von uns will heute neues Unrecht schaffen. Was wir wollen, ist Anerkennung historischer Wahrheiten, die Einsicht der Völkerrechtswidrigkeit der Vertreibungen dort, wo diese Einsicht noch fehlt und ein Ablassen von Kollektivschuld- und Rechtfertigungstheorien.

Auch in Deutschland haben wir noch einiges zu tun: Wir müssen uns die Frage stellen, meine Damen und Herren, wie Deutschland die Erinnerung an seine – vor allem zivilen – Opfer von Flucht und Vertreibung im kollektiven Gedächtnis verankern kann. Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie wir die Heimat, die wir im Herzen tragen, in versöhnlicher Weise in das historische Gedächtnis Deutschlands einspeisen können.

Wir benötigen eine ehrliche und angemessene Erinnerungskultur!

  • Dafür gibt es landsmannschaftlich getragene, institutionell unterstützte Museen,
  • es gibt Forschungsinstitute mit Schwerpunkten zur mittel- und ostdeutschen Geschichte und Kultur,
  • ich erwähne die BdV-Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen und ausdrücklich die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung,
  • es gibt in Hunderten von Städten und Gemeinden Mahnmale und Denkmäler für die Opfer von Flucht und Vertreibung, hier in Berlin z.B. die „Ewige Flamme“ am Theodor-Heuss-Platz, wo anschließend unsere feierliche Kranzniederlegung stattfindet, zu der ich Sie alle jetzt schon einlade,
  • es gibt kaum eine Gemeinde, kaum eine Stadt in Deutschland, die ohne Straßennamen mit mittel- und ostdeutschem Bezug auskommt. Als Beispiel nenne ich nur den zentralen Bahnhofsvorplatz in der viertgrößten Stadt Deutschlands, Köln, der den Namen Breslauer Platz trägt.

Sowohl zur Mahnung an kommende Generationen als auch aus Achtung vor den Opfern aus unseren Reihen ist es notwendig, über kurz oder lang einen unumstrittenen, angemessenen und würdigen Rahmen für diesen Teil unserer Kollektiverinnerung zu definieren. Es handelt sich um einen wesentlichen Teil unserer gesamtdeutschen Geschichte, diese so und nicht anders in unserer Gesellschaft hinein zu reflektieren bleibt unsere gemeinsame Aufgabe!

Wenn wir von Erinnerung und Erinnerungskultur sprechen, vergessen wir bitte nicht, dass bittere Erinnerungen durch nachträgliche Gesten der Wiedergutmachung etwas weniger bitter sein könnten!

Auf seiner letzten Bundesversammlung hat der BdV daher beschlossen, die Errichtung eines Entschädigungsfonds für deutsche Zwangsarbeiter zu fordern. Es ist, meine Damen und Herren, längst an der Zeit, dass auch diese Opfergruppe, von der nur noch wenige Vertreter leben, aus einem solchen Entschädigungsfonds eine Entschädigung erfährt und so aus dem Schatten der Vergessenheit herausgenommen wird.

Es waren damals mehr als eine Million deutscher Zwangsarbeiter, die vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Darunter auch mein Großvater. Am 14. Januar 1945 wurde er, damals Vater von vier kleinen Kindern und einziger Ernährer der Familie, für fünf Jahre in sowjetische Zwangsarbeit verschleppt, als „menschliche Kriegsreparation“, wie das damals genannt wurde. Er hat Herta Müllers Roman „Atemschaukel“ in jeder Facette der dort geschilderten Grausamkeiten, Zeile für Zeile, am eigenen Leib erfahren.

Heute, meine Damen und Herren, leben nur noch wenige dieser Opfer. Auch mein Opa ist lange tot. Dennoch ist es wichtig, dass wir Heimatvertriebenen als Teil der gesamtdeutschen Zivilgesellschaft die späte Anerkennung des maßlosen Unrechts gegen diese Menschen einfordern, die wissenschaftliche Aufbereitung der damaligen Geschehnisse und Zusammenhänge vorantreiben und, ja, uns für eine gerechte Entschädigung der Opfer einsetzen.

Der BdV ist – auch in diesem Zusammenhang – notwendigerweise darauf angewiesen, in der bundesdeutschen Öffentlichkeit Gehör zu finden. Wir haben noch nicht alles erreicht, was wir uns im Sinne der Vertriebenen und Spätaussiedler gewünscht hätten. Aber das, was wir erreicht haben, macht uns zuversichtlich.

Wir sind als Gesamtverband bekannt und anerkannt, weil wir seit Jahren und Jahrzehnten mit guten Argumenten und festen Standpunkten überzeugen. Weil es in der Gesellschaft und in der Politik dadurch immer wieder und immer mehr offene Ohren für unsere Anliegen gibt.

Wir wollen zeitgemäß wirken, aber nichts unterlassen, nur weil es nicht opportun erscheinen mag. Wir wollen den am 20. Juni mit unserem Gedenktag eröffneten Weg selbstbewusst beschreiten und zeigen, dass das Schicksal der Vertriebenen und Aussiedler eine gesamtdeutsche Angelegenheit ist. Wir wollen mutig, aber realistisch bleiben.

Lassen Sie uns zuversichtlich in die Zukunft schauen und unsere Heimat mitgestalten.

Dankeschön.