Ansprache zur symbolischen Übergabe des letzten Anerkennungsbescheides für Zwangsarbeit am 14. September 2020 in Berlin

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius

Es gilt das gesprochene Wort!


Sehr geehrte Herren Professoren Möller und Neitzel,
lieber Herr Dr. Frehse,
sehr geehrte Herren Abgeordnete Müller und Lindh,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem BMI und vom Bundesverwaltungsamt,
sehr geehrte Damen und Herren,
– und noch einmal ein ganz, ganz herzliches Willkommen an Frau und Herrn Bröning.

Zwangsarbeit, oft in der Verbindung mit Deportation, war und ist ein sehr reales Leid. Es ist ein Menschenrechts¬verbrechen, von dem Unzählige weltweit betroffen waren – und bis heute sind.

Zwangsarbeit bewirkt oft eine jahre- und jahrzehntelange Traumatisierung – insbesondere dann, wenn Aufarbeitung und Wiedergutmachung erschwert oder gar tabuisiert werden. Auch aus diesen Gründen setzt sich Deutschland seit langem international für die Einhaltung der Menschenrechte ein und verurteilt Zwangsarbeit auf das Schärfste.

Und dennoch, meine Damen und Herren, stehen wir erst heute hier… – 75 Jahre nach dem Ende des von Nazi-Deutschland angezettelten Zweiten Weltkrieges und dem Zivilisationsbruch des Holocaust, 75 Jahre nach dem Beginn von Flucht und Vertreibung, 75 Jahre nach Beginn der Deportationen im Osten – … und überreichen symbolisch den letzten Anerkennungsbescheid an unsere eigenen zivilen Opfer von Zwangsarbeit.

Ein Menschenleben hat es gedauert, bis wir selbst so weit waren, uns dieses Teils unserer Vergangenheit wirklich zu stellen. Warum?

Lassen Sie es mich angelehnt an Worte unseres Alt-Bundespräsidenten Joachim Gauck sagen:

Durch das Ausmaß der Nazi-Verbrechen legte sich ein „Erinnerungs¬schatten“ über das Schicksal der eigenen Opfer – etwa über Flucht und Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit. Ein Erinnerungsschatten, der Anteilnahme und Aufarbeitung oft unmöglich machte.

Verstehen Sie mich bitte richtig: Es ist unerlässlich, dass die grauenhaften Verbrechen der Nationalsozialisten Teil unserer gemeinsamen Erinnerungslandschaft sind – und bleiben. Wir müssen die immerwährende Verantwortung dafür akzeptieren, dass solche Verbrechen nie wieder geschehen. Eine Verantwortung, die man am stärksten an Orten wie Auschwitz spürt, wo ich Anfang des Jahres anlässlich des Befreiungsgedenkens als Bundesbeauftragter war.

Aber so wie deutsches Unrecht und deutsche Willkür Unschuldige vieler Völker traf, so traf auch die Rache der Kriegsgegner wiederum viele unschuldige Deutsche – die in der Folge Opfer ihres Deutschseins in der eigenen Heimat wurden. Die Rache ergoss sich nämlich insbesondere über die damaligen deutschen Ostprovinzen, über die Siedlungsgebiete Deutscher in Ost- und Südosteuropa sowie über die Deutschen in der Sowjetunion.

Und egal, wie oft dies aus bestimmten Kreisen auch nach wie vor behauptet wird: Diese Rache war gerade keine „gerechte Strafe“ für das von den Nazis verübte Unrecht, sondern ebenfalls ein Unrecht. Das Schicksal ziviler deutscher Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, meine Damen und Herren, ist zweifellos Teil dieses erlittenen Unrechts.

Der Bund der Vertriebenen war über Jahrzehnte ein Mahner, der genau dies immer wieder betont hat – auch wenn es unbequem war. Stets haben wir Aufarbeitung angemahnt und Zeichen der Wiedergutmachung gefordert. Besonders die vertriebenen Frauen
und der „Arbeitskreis deutsche Zwangsarbeiter“ haben sich dafür eingesetzt. Schon lange vor Umsetzung der Anerkennungsleistung wurden dort tausende Zeitzeugenberichte gesammelt und an das Bundesarchiv übergeben.

Es galt, das Thema der Verdrängung zu entreißen, als Massenphänomen sichtbar zu machen und sich der einzelnen Betroffenen anzunehmen.

Und, meine Damen und Herren, es war ein Massenphänomen.

Das sage ich als Siebenbürger Sachse, dessen Opa 1945 als „lebende Kriegsreparation“ nach Kriwoi Rog verschleppt wurde. Erst im Dezember 1949 kam er zurück nach Hermannstadt. Verlaust, er wog als Mann im besten Alter noch 48 kg. Ähnlich wie ihm ging es rund 75.000 anderen Deutschen in Rumänien – und 1951 nochmals rund 10.000 weiteren Deutschen, die in die Bărăgan-Steppe deportiert wurden. Viele überlebten die Strapazen nicht.

Das sage ich als Bundesbeauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, der tagein tagaus auch mit dem Schicksal der Russlanddeutschen zu tun hat. Insbesondere die Wolgadeutschen wurden schon zu Kriegsbeginn aufgrund des sogenannten „Stalin-Erlasses“ unter Generalverdacht gestellt und deportiert. Mehr als eine Viertelmillion von ihnen wurde in die „Trudarmee“ hineingezwungen. Andere kamen in Lager, wo unter entsetzlichen Bedingungen Schwerstarbeit geleistet werden musste.

Das sage ich aber auch als BdV-Präsident, denn ich weiß, wie viele weitere Zwangsarbeiter-Schicksale in anderen Heimatregionen zu beklagen sind, wo z.T. Konzentrationslager der Nazis zu Gefängnissen und Arbeitslagern für die ortsansässige deutsche Zivilbevölkerung umfunktioniert wurden. Jede unserer Landsmannschaften kann hier eigene Erfahrungen beisteuern, und die deutschen Minderheiten, die heute noch in ihrer Heimat leben, erhalten die Erinnerung an diese Katastrophe auch gegen Widerstände nach wie vor am Leben.

Meine Damen und Herren, als BdV-Präsident bin ich heute froh und dankbar, dass es uns gelungen ist, die Politik letztlich vom Stellenwert eines unserer wichtigsten Anliegen zu überzeugen – und dass wir diese Anerkennungsleistung für zivile deutsche Zwangsarbeiter dann gemeinsam zum Erfolg führen konnten. Als Jurist ist mir der dafür notwendige Spagat zwischen einer nicht bestehenden Rechtsverpflichtung Deutschlands und der wachsenden Empathie auch mit diesen Opfern des Krieges und seiner Folgen durchaus bewusst.

Schmerzhaft ist und bleibt es, dass nur ein Bruchteil der tatsächlichen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter noch in den Genuss dieser symbolischen Geste gekommen ist. Dennoch wurde diese Geste von der ganz überwiegenden Anzahl der heute noch lebenden Betroffenen positiv empfunden – und konnte vielleicht dazu beitragen, sie ein wenig mit ihrem Schicksal zu versöhnen.

Dabei haben viele Kräfte an einem Strang gezogen:

  • der Deutsche Bundestag, wo die Anerkennungsleistung 2015 beschlossen wurde;
  • das Bundesinnenministerium, wo die Anerkennungsrichtlinie 2016 mit sehr viel Feingefühl und juristischem wie historischem Sachverstand erarbeitet wurde;
  • das Bundesverwaltungsamt, das die Richtlinie mit Empathie und einer nicht enden wollenden Geduld für die zum Teil hochbetagten Antragsteller umsetzte;
  • der zuständige Beirat, wo strittige Fälle offen und stets konstruktiv besprochen wurden;
  • und nicht zuletzt auch der BdV, denn wir haben nicht nur landauf landab zur Antragstellung ermutigt, wir haben auch  Fragen zu den Antragsmodalitäten und zu geforderten Nachweisen beantwortet, Antragsformulare übersandt und taten unser Möglichstes, das BVA in seiner Arbeit zu unterstützen.

Allen Beteiligten möchte ich hiermit nochmals ganz, ganz herzlich danken. So wie hier Hand in Hand auf ein gemeinsames Ziel hingesteuert wurde, erlebe ich es oft in der Zusammenarbeit mit dem BMI. Und so wünsche ich mir die Arbeit eigentlich in jedem vertriebenenpolitischen Bereich.

Meine Damen und Herren, wenn ich heute frei sagen kann – ich wiederhole es gerne noch einmal –, dass zivilen deutschen Zwangsarbeitern auch Unrecht widerfahren ist, dann liegt dies mit an dieser Anerkennungsleistung, dass mit der Anerkennungsleistung auch die Aufarbeitung und Dokumentation deutscher Zwangsarbeiterschicksale einen neuen Impuls erhalten hat.

Ich erinnere als Beispiel nur an die Ausstellung unserer Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen „In Lagern“ – oder daran, dass der BdV für seine hauseigene Zeitzeugendatenbank nochmals gezielt ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter angesprochen hat.

Hierin liegt nun auch der Auftrag für die Zukunft: Die Erinnerungen, die Zeitzeugenberichte, die nunmehr durch die Anerkennungsleistung und die Antragsstellung „verdinglicht“ worden sind, müssen abrufbar archiviert werden und somit der Forschung wie der Nachwelt zur Verfügung stehen. Die Weichen dafür haben wir im Beirat bereits gestellt.

Und das, meine Damen und Herren, ist ein wichtiger Schritt dahin, dass auch diese Schicksale zu einem selbstverständlichen Teil unserer gemeinsamen Erinnerungslandschaft werden. So können sie sicherlich am besten gewürdigt werden.  

Denn, wie kann man sich die Abgründe wie auch die Lehren der Vergangenheit besser vor Augen führen als durch Zeitzeugenberichte? Daher bin ich nun besonders gespannt auf Frau und Herrn Bröning – auf Ihre Erinnerungen und das Gespräch mit Ihnen.

Vielen Dank.