Begrüßung und Ansprache zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius

Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Horst Seehofer,

sehr geehrter Herr Weihbischof Dr. Reinhard Hauke,

geehrte Exzellenzen, Eminenzen,

geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestags und der Landtage,

verehrte Ehrengäste aus Bund, Ländern und Gemeinden,

liebe Landsleute, meine Damen und Herren,

ganz herzlich Willkommen zu dieser Auftaktveranstaltung zum Tag der Heimat 2018 des Bundes der Vertriebenen.

Ich bin sehr dankbar, dass Sie, Herr Bundesminister für Inneres, Bau und Heimat, Horst Seehofer, heute die Festrede halten werden und möchte Sie in unseren Reihen ganz, ganz herzlich begrüßen. Danke, dass Sie da sind.

Ihnen, sehr geehrter Weihbischof Dr. Hauke, sind wir ebenfalls zu Dank verpflichtet: Sie werden mit dem geistlichen Wort als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge den Tag der Heimat würdig und angemessen beschließen.

Ich begrüße des Weiteren ganz herzlich:

  • Ihre Exzellenzen, die Botschafter von Kasachstan und Ägypten sowie die gesamten anwesenden Vertreter des Diplomatischen Corps,
  • den Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, Herrn Roland Jahn,
  • die anwesenden Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler.

Ich freue mich selbstverständlich ganz besonders, dass die Potsdamer Turmbläser unter der Leitung von Bernhard Bosecker unsere Veranstaltung musikalisch erneut umrahmen. Sie gehören zur Tradition dieser Veranstaltung. Ich begrüße ganz, ganz herzlich die Kulturgruppe „Brosci Chorus“ aus Broschütz im Oppelner Schlesien, die unter der Leitung von Frau Ewa Magosz in diesem Jahr unsere Veranstaltung ebenfalls bereichern wird.

Vielen Dank letztlich Ihnen, meine Damen und Herren, dass Sie heute so zahlreich zu unserer Veranstaltung gekommen sind. Es ist immer schön in einen ganz gefüllten Saal, wo die letzten Plätze besetzt sind, hineinsprechen zu dürfen.

Der Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen ist eine verlässliche und notwendige Konstante, meine Damen und Herren, auch in unruhigen Zeiten, die uns seit bald sieben Jahrzehnten begleitet. Es ist der Gedenktag unseres Verbandes, an dem wir an das Leid und die Opfer erinnern, die Deutsche in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zu beklagen hatten – sei es als Vertriebene, als Flüchtlinge, als Aussiedler und Spätaussiedler.

Ja, wir richten den Blick damit heute in die Vergangenheit. Das müssen wir immer wieder tun, um zu erinnern, zu mahnen – um nicht zu vergessen.

Wir wollen aber gerade heute auch den Blick in die Gegenwart und in die Zukunft richten! Die Menschen in unserem Land sollen uns sehen, unsere Geschichte hören, unser Schicksal würdigen und unseren Wunsch nach Gerechtigkeit und Frieden verstehen und diesen möglichst unterstützen. Wir wollen mit unseren individuellen und kollektiven Erlebnissen ein selbstverständlicher Teil der bundesdeutschen Erinnerungskultur sein. Wir wollen unsere Kinder noch mehr in die Pflege unseres kulturellen Erbes einbinden und sie darum bitten, dieses mit Leben zu füllen, es weiterzutragen, so gut sie können.

„Unrechtsdekrete beseitigen – Europa zusammenführen“

Meine Damen und Herren, der Tag der Heimat steht jedes Jahr unter einem besonderen Motto. Unser diesjähriges Leitwort „Unrechtsdekrete beseitigen – Europa zusammenführen“ greift in doppeltem Sinne ureigenste Interessen unseres Verbands auf, denn Vertriebene und Spätaussiedler stehen wie kaum eine andere Bevölkerungsgruppe für ein vereintes Europa. Die Reise- und Niederlassungsfreiheit in die alten Heimatgebiete, der Kontakt mit den dort lebenden Menschen – das alles ist für uns ein hohes Gut.

Der Einsatz des BdV und seiner Landsmannschaften und Landesverbände für die grenzüberschreitende Verständigung auf allen Ebenen ist in seiner Bedeutung gerade heute nicht hoch genug einzuschätzen. Und es geht – ganz im Sinne unserer Charta der deutschen Heimatvertriebenen – doch darum, Vorbehalte abzubauen, Chancen aufzuzeigen und Europa zusammenzuführen. Innenpolitische Instrumentalisierungen, Einschränkungen der europäischen Grundwerte wie Pressefreiheit oder Unabhängigkeit der Justiz lehnen wir deutsche Heimatvertriebenen ganz entschieden ab.

Leider sehen wir solche Entwicklungen in Ländern, deren Bürger sich vor rund einem Vierteljahrhundert mühevoll aus den Fesseln des kommunistischen Unrechts befreien konnten  zunehmend.

Ich denke zum Beispiel an Rumänien, wo die Unabhängigkeit der Justiz und demokratische Prinzipien so massiv unter Druck stehen, wie noch nie zuvor seit 1990. Tränengas und Wasserwerfer gegen die eigene, friedlich gegen Korruption und Machtmissbrauch demonstrierende Bevölkerung gab es in der EU schon lange nicht mehr. In Bukarest ist das seit einigen Wochen leider wieder Alltag.

Möglicherweise, meine Damen und Herren, zeigen sich in diesen Tendenzen Denkstrukturen der Vergangenheit, deren Gift bis heute wirkt. Unrechtsdekrete, aufgrund derer vor mehr als sieben Jahrzehnten Millionen Deutsche aus ihrer Heimat vertrieben, ihres Besitzes beraubt, interniert, deportiert oder gar sanktionsfrei ermordet wurden, mögen zwar heute weitgehend keine Rechtswirksamkeit mehr entfalten. Doch schon ihr formales Fortbestehen und der so gesetzte Rechtsschein führen zu einem fehlenden Unrechtsbewusstsein und damit zu einer erhöhten Anfälligkeit für die bedauerlichen Entwicklungen dieser Tage, die wir leider zunehmend beobachten müssen.

Solche Dekrete, meine Damen und Herren, formal zu beseitigen, wäre damit nicht nur ein Zeichen an die deutschen Heimatvertriebenen. Es wäre vielmehr ein deutliches Zeichen an die jeweils eigene Bevölkerung und an die europäischen Nachbarn, dass man heute anders denkt als damals – und ebenfalls aus der Geschichte gelernt hat.

Wir schauen nach Polen, meine Damen und Herren, wo die Stimmung heute oft, leider erneut, als nationalistisch zu bezeichnen ist – und damit alles andere als dem europäischen Gedanken verpflichtet. Dabei wäre es an der Zeit – und auch ein klares Bekenntnis zu Europa –, die heute als „Bierut-Dekrete“ bekannten innerstaatlichen Unrechtsakte endlich auch insgesamt formal aufzuheben.

Wir schauen in die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, wo mit den Folgen des AVNOJ-Ratsbeschlusses vom 21. November 1944 leider bis heute unterschiedlich umgegangen wird. Der Beschluss betraf laut Wortlaut die „Überführung in Staatseigentum der feindlichen Besitztümer“, sowie die „Sequestration des Besitzes, der durch die Okkupationsmacht angeeignet“ wurde. Mit diesem Beschluss wurden die Rechtsgrundlagen geschaffen, die es ermöglichten, das Eigentum der deutschen Zivil-Bevölkerung zu konfiszieren. Auch hier wünschten wir uns eindeutige und klärende Signale sämtlicher Nachfolgestaaten.

Wir schauen aber vor allem auch nach Tschechien, denn dort herrscht eine besondere Stimmung. Einerseits kommen – je nach Regierungszusammensetzung – hochrangige Politiker oder Diplomaten zu den Sudetendeutschen Tagen – und das ist wichtig, meine Damen und Herren, und ein starkes Zeichen europäischer Gegenwartsorientierung! Ich bin dafür ausdrücklich dankbar. Andererseits sind aber die Unrechtsdekrete Nr. 12, 33 und 108 und auch das gegen jedes Rechtsempfinden einer der Humanität verpflichteten Gesellschaft verstoßende Straffreistellungsgesetz Nr. 115 aus dem Mai 1946 des Präsidenten Beneš weiterhin Bestandteile der tschechischen Rechtsordnung. Wäre es nicht ein deutliches Bekenntnis zur europäischen Rechts- und Werteordnung, wenn man sich in Tschechien dieses historischen Ballastes endlich entledigen würde!?

Lieber Bernd Posselt, wir alle wissen, dass die Sudetendeutsche Landsmannschaft das schon lange fordert! Aber Ihr tut es nicht im Zorn, sondern reicht immer wieder die ausgestreckte Hand nach Prag – und das zeichnet Euch als würdige Europäer aus, die sich dessen bewusst sind, dass Nachbarstaaten und befreundete Völker mit Verständnis und im Geiste gegenwartsbezogener Wahrhaftigkeit aufeinander zugehen müssen.

Schlussfolgernd geht das Bekenntnis der Heimatvertriebenen und der Spätaussiedler zu Europa einher mit der Forderung nach bedingungsloser Wahrung der Menschenrechte und einem grenzüberschreitenden, konsensualen Bewusstsein, dass auch die letzten Dekrete des Unrechts endlich aufgehoben werden müssen. Ich wünsche mir den Tag der Heimat herbei, meine Damen und Herren, an dem wir endlich nicht mehr über dieses Unrecht sprechen müssen!

Dabei, meine Damen und Herren vergessen wir nicht die Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Bevölkerungen von Nachbarländern, denen wir heute in Freundschaft verbunden sind, wurden pauschal zu „Gegnern“ erklärt. Sie wurden „entmenschlicht“, um auch den schlimmsten Vernichtungsaktionen fadenscheinige Rechtfertigung zu verleihen. Wir vergessen nicht die Verbrechen des Holocaust und die Millionen ermordeten Juden. Wir vergessen nicht das Leid, das die NS-Kriegstreiberei über die Bevölkerungen anderer Länder gebracht hat. Diese Vernichtungswut  mein Damen und Herren, schürte den Hass der Völker auf Deutschland. Der Zweite Weltkrieg machte Vertreibung und Rache in einem solchen Ausmaß erst möglich.

Doch ein Verbrechen, so furchtbar es auch sein mag, rechtfertigt niemals ein anderes. Ich bin sehr froh, meine Damen und Herren, dass das auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel beim nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung in diesem Jahr das so deutlich bekannt hat.

Im vereinten Europa müssen alle aufeinander zugehen!

Vertreibungsverbot gefordert

Ich erinnere daran, dass der Bund der Vertriebenen am 15. Dezember 2017 von der Mitgliederversammlung des Deutschen Instituts für Menschenrechte als vollwertiges Mitglied aufgenommen wurde. Mit unserem Engagement und unseren Anliegen sind wir seit langem ein moderner Menschenrechtsverband, in dem der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte eine wichtige Bedeutung beigemessen wird.

Daran anknüpfend erneuere ich heute, meine Damen und Herren, die letztjährige Forderung des Bundes der Vertriebenen nach einem kodifizierten und sanktionierten Vertreibungsverbot auf Ebene der Vereinten Nationen. Es ist höchste Zeit, dass auch das fundamentale Menschenrecht des Schutzes vor Vertreibungen und ethnischen Säuberungen seinen normativ verankerten Platz in der internationalen Rechtsordnung erhält.

Man könnte sich fragen, warum gibt es das nicht längst.

Die UN-Menschenrechtscharta von 1948, meine Damen und Herren, reicht nicht aus – so zeigt es leider auch die aktuelle Weltlage. Doch auch mit dem Blick auf unsere eigene Geschichte – auf die millionenfache Vertreibungen aus Schlesien, Pommern, Danzig, Ostpreußen, Westpreußen, Ostbrandenburg, dem Sudetenland, dem Donauraum usw., usw.  – braucht es mehr als die in der UN-Charta enthaltenen Formulierungen über „das Verlassen und die Rückkehr in eine Heimat“.

Diese Formulierung hat mit ethnischer Säuberung nichts zu tun. Europa muss hier Vorreiter sein und der Welt zeigen, dass wir mit Sanktionen gegen jeden vorgehen wollen, der sich in Zukunft Vertreibungen und ethnischer Säuberungen als Mittel der Interessensverwirklichung bedient und sich als Vertreiber betätigt!

BdV in Gegenwart und Zukunft

Meine Damen und Herren, wir sind heute, mehr als 60 Jahre nach Gründung des Bundes der Vertriebenen, an einem Punkt angekommen, an dem die Aufgaben der Zukunft andere sind als vor 30 oder 50 Jahren. Sie sind differenzierter und vielfältiger. Die Vertreibung und deren Folgen waren ursächliches Moment der Gründung des Verbandes. Aus Flucht und Vertreibung und ihren Folgen für die Millionen Vertriebenen erwuchsen dem BdV zu Beginn seine Aufgaben.

Heute jedoch ist die Katastrophe, in die Flucht und Vertreibung uns und unsere Vorfahren gestürzt hat, nicht mehr die einzige Klammer unserer Zusammengehörigkeit. Das, was uns verbindet und was wir mit der Arbeit unseres Verbands abdecken, ist heute viel mehr, als nur den historischen Moment „Vertreibung“ zu thematisieren. Im BdV sind mittlerweile auch viele Menschen vereint, die Vertreibung zum Glück nicht mehr erleben mussten.

Lassen Sie mich den sich daraus ergebenden „bunten Blumenstrauß an Aufgaben“, die alle diese Menschen betreffen und sich primär aus unserer Satzung ergeben, ganz kurz umreißen:

Wir sind in erster Linie Interessenvertreter für die Menschen, die ihre Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg verloren haben.

Wir sind im vereinten Europa aber auch die Brücke zu den Menschen, die weiterhin in den Heimatgebieten leben. Sie kämpfen dort etwa um den Erhalt der deutschen Sprache als wichtigstes identitätsstiftendes Merkmal und unsere ganz besonderen Kultur als unverzichtbarer Schatz dieser Regionen, der uns allen gehört. In diesen Bemühungen, meine Damen und Herren, lassen wir unsere Heimatverbliebenen, bestimmt nicht alleine!

Sie führen dort zudem den interkulturellen Dialog mit der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Im Schulterschluss mit den Heimatverbliebenen, aufgrund der uns gemeinsamen interkulturellen Kompetenz, sind wir Scharnier und Vermittler zwischen Deutschland und unseren östlichen Nachbarstaaten. Auch wenn es ein langsamer Prozess ist, so setzt sich diese Erkenntnis im Bewusstsein in Deutschland mehr und mehr durch.

Es gibt heute viele engagierte Mitglieder, die unseren Verbänden aus Überzeugung angehören und weil sie sich unseren Anliegen und unserer Arbeit verbunden fühlen.

Sowohl dem BdV als Dachverband als auch seinen Landesverbänden und Landsmannschaften liegen die Sicherung und Weiterentwicklung unserer Kultur sowie der Erinnerungstransfer in die nächsten Generationen sehr am Herzen. Historisches, kulturelles und ideelles Erbe der Deutschen in Mittel- und Osteuropa – unabhängig davon, ob heimatvertrieben oder heimatverblieben – sind wichtige Bestandteile der kulturellen Identität Deutschlands.

Wir Vertriebene und Spätaussiedler, genauso wie die deutschen Minderheiten, die in den ehemaligen Vertreiberstaaten verblieben sind, tragen mit viel Herzblut dazu bei, das Erbe zu sichern und es in die Zukunft zu tragen.

Politik für die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler

Ich bin – das möchte ich an dieser Stelle besonders erwähnen – der Großen Koalition sehr dankbar dafür, dass sie den bedeutenden Beitrag der Heimatvertriebenen zur Verständigungspolitik der Gegenwart und deren Beitrag zum Erhalt des gesamtdeutschen kulturellen Erbes anerkennt und wertschätzt. Das erzeugt ein breites Interesse auch jenseits der Verbandsmitgliedschaft und stärkt unsere Verankerung dort, wo wir hingehören: in der Mitte der Gesellschaft.

Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, lieber Horst Seehofer,

Dein Ministerium verantwortet traditionell große Teile der Politikbereiche, die für uns Vertriebene und Spätaussiedler von zentraler Bedeutung sind. Gemeinsam mit Prof. Monika Grütters, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, in deren Verantwortung alle Maßnahmen zum Kulturerhalt liegen, bestimmt Ihr maßgeblich über die Haltung und die Einstellung der Bundesregierung zu den Vertriebenen, den Spätaussiedlern und deren Verbänden.

Wir wissen Dich bereits aus Bayern an unserer Seite, wir wissen auch die Bundeskanzlerin und die Kulturstaatsministerin an unserer Seite. Meine Damen und Herren, diesen Sachverhalt so feststellen zu dürfen, vermittelt Sicherheit und freut mich für sie ganz besonders!

Deutschland, meine Damen und Herren, bekennt jährlich am 20. Juni feierlich in öffentlichen Gedenkstunden, in Berlin und in anderen Städten im ganzen Land, dass es unser Vertreibungsschicksal in die gesamtdeutsche historische Biografie aufgenommen hat. Unser Schicksal ist so, um es mit den Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu sagen, aus dem „Erinnerungsschatten“ herausgetreten.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diesen Punkt in diesem Jahr bereits zweimal aufgegriffen: sowohl beim Jahresempfang als auch anlässlich des nationalen Gedenktags für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Sie stellte fest: „Das Schicksal von Vertriebenen braucht besondere Aufmerksamkeit. Ihre Lebensleistung und ihr kulturelles Erbe verdienen besondere Wertschätzung. Wertschätzung kommt nicht von ungefähr. Sie setzt Erinnerung voraus. Erinnerung aber läuft Gefahr, mit der Zeit zu verblassen – erst recht, wenn wir immer weniger Zeitzeugen in unserer Mitte haben. Deshalb braucht Erinnerung konsequente Förderung.“ Soweit die Aussage unserer Bundeskanzlerin.

Förderung, meine Damen und Herren, ist jedoch nicht nur Bundessache, sondern nimmt genauso die Länder in die Pflicht. Als eine sehr erfreuliche Entwicklung erwähne ich die vermehrte Berufung von Landesbeauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. So, wie der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung zentraler Ansprechpartner auf Bundesebene ist, stellen die Landesbeauftragten den direkten Draht unserer Verbände auf Landesebenen zu den jeweiligen Landesbeauftragten sicher.

In Bayern waren das traditionell die Arbeits- und Sozialminister, heute ist es Sylvia Stierstorfer. Und auch in Hessen, wo mit Margarete Ziegler-Raschdorfer, die ich ganz herzlich begrüße, eine sehr engagierte Landesbeauftragte unsere Interessen bis heute zur Sprache bringt, hat dieses Amt schon lange Tradition.

Sehr erfreulich ist, dass es inzwischen bereits sechs Bundesländer da sind, die Vertriebenen- und Aussiedlerbeauftragte bestellt haben. Dazu gratuliere ich herzlich

  • Baden-Württemberg mit Thomas Strobl
  • Nordrhein-Westfalen mit Heiko Hendriks,
  • Niedersachsen mit Editha Westmann und
  • Sachsen mit Dr. Jens Baumann.

Ich lade alle anderen Bundesländer dazu ein, diesen guten Beispielen zu folgen. Es gibt viel zu tun, meine Damen und Herren, und Einsatz auf diesem Politikfeld lohnt sich.

Spätaussiedler in unserer Gesellschaft

Lassen Sie mich abschließend auch zwei offene Anliegen ansprechen:

Spätaussieder und besonders unsere Landsleute aus der ehemaligen Sowjetunion verdienen im gesellschaftlichen und sozialen Bereich ein besonderes Augenmerk.

Bei diesem Personenkreis ist eine spezifische Altersarmut zu beobachten, die im Wesentlichen auf Gesetzesänderungen der Jahre 1993 und 1996 zurückzuführen ist. Seitdem werden im Herkunftsgebiet durch Arbeit erworbene Rentenansprüche pauschal um 40 Prozent gekürzt und bei höchstens 25 Rentenpunkten bei Einzelpersonen bzw. 40 Entgeltpunkten bei Eheleuten gedeckelt – auch wenn diese Menschen ihr Leben lang hart gearbeitet haben. Viele Betroffene erhalten dadurch eine Rente unterhalb der Armutsgrenze, müssen durch staatliche Transferleistungen aufstocken und dieses von ihren Kindern zusätzlich unterstützten lassen.

Die Unionsparteien haben vor der Bundestagswahl „die Beseitigung dieser Benachteiligungen“ zugesagt. Auch wenn nun mit einem Grundrentenmodell der Lebensunterhalt im Alter allgemein verbessert werden soll, so bleibt es eine wichtige noch zu erledigende Aufgabe, rechtliche Benachteiligungen der Spätaussiedler im Rentenrecht zu beseitigen.

Zweitens und abschließend: Spätaussiedler sind als Angehörige unseres Kulturkreises, als Deutsche, nach Deutschland gekommen, weil die Konsequenz des Zweiten Weltkrieges ihnen letztlich das heimatliche Umfeld und das Verbleiben dort unmöglich gemacht hat. Eine ganz besondere „Sehnsucht nach Heimat“, meine Damen und Herren, die im Herkunftsgebiet nicht mehr erfüllt werden konnte, war das ausschlaggebende Gefühl für den Aufbruch von dort – und prägend für das Ankommen hier in Deutschland.

Viel zu lange wurde dieses in einer vom Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen für die Zivilbevölkerung inzwischen Jahrzehnte entfernten Wohlstandsgesellschaft in Gleichgültigkeit übersehen: Spätaussiedler wurden zunehmend nicht mehr als wieder heimkehrende Landsleute, sondern als eher fremde Zuwanderer wahrgenommen, thematisiert und adressiert. Fatale Konsequenz dieses Versäumnisses war für viele im Ergebnis die Enttäuschung dieser Sehnsucht. Dieser Sehnsucht nach Heimat, die auch in Deutschland nicht vorhanden zu sein schien.

Mit diesem Irrtum, meine Damen und Herren, müssen wir ebenfalls aufräumen. Wir müssen Spätaussiedler – gerade auch die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion – von allgemeinen Zuwanderern klar unterscheiden. Wir müssen dort Angebote zur nachholenden Integration machen, wo Spätaussiedler ihre Rolle als Teil unserer Gesellschaft noch suchen. Denn sie gehören zu uns, sie waren, sie sind und sie bleiben uns willkommen!

Meine Damen und Herren, liebe Landsleute, ich möchte meine Ansprache damit beenden, dass ich Ihnen für die Teilnahme an diesem Tag der Heimat herzlichen Dank ausspreche.

Ihnen allen danke ich für die Kraft und die Energie, die Sie in Ihrer Arbeit für unsere gemeinsame Sache aufwenden.

In guter Tradition sind Sie herzlich eingeladen, im Anschluss an unsere Veranstaltung hier bei der feierlichen Kranzniederlegung auf dem Theodor-Heuss-Platz teilzunehmen. Diese findet um 15 Uhr statt.

Ich wünsche Ihnen persönlich alles, alles Gute und einen weiterhin schönen Aufenthalt in Berlin. Bleiben Sie uns gewogen. Danke.