"Bund der Vertriebenen und seine Landsmannschaften sind wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft"

Innenministerin Nancy Faeser beim Jahresempfang des BdV in Berlin

Es war der erste Besuch der im letzten Jahr neu ins Amt gekommenen Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser, beim Bund der Vertriebenen auf Bundesebene. Aber es war nicht etwa der erste Kontakt mit dem BdV überhaupt, wie sie gleich zu Beginn ihrer Ansprache deutlich erkennen ließ. Unverkrampft begrüßte sie die anwesenden Vertreter des Landesverbandes Hessen, mit denen sie auch als Vorsitzende der hessischen SPD-Landtagsfraktion schon „viele gute Gespräche“ gehabt habe. Dass ihr vertriebenenpolitische und aussiedlerspezifische Probleme nicht neu sind, wurde im Verlauf ihrer Ansprache immer deutlicher, in der sie viele aktuelle Probleme ansprach und dabei auch Lösungen aufzeigte, für die es Beifallsbekundungen gab. 

Dank an Bernd Fabritius 

Ihr besonderer Dank galt zunächst BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius für seine Leistungen als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten – ein Amt, das er von 2018 bis 2022 innehatte. „Er hat einen herausragenden Job gemacht“, so die Ministerin. Besonders hob sie sein Engagement für die Flüchtlinge aus der Ukraine hervor und machte zugleich deutlich, welche dramatischen Auswirkungen der Krieg für die deutsche Minderheit in der Ukraine hat. Die Ministerin verwies auf die „besondere Empathie und Hilfsbereitschaft“ der deutschen Heimatvertriebenen und dankte Fabritius und dem Verband für den Spendenaufruf „Nothilfe für Deutsche aus der Ukraine“, die hier wie dort sehr geschätzt werde. 
Vorstellung der neuen Bundesbeauftragten

Die Ministerin nutzte die Gelegenheit, Fabritius‘ ebenfalls anwesende Nachfolgerin als Bundesbeauftragte, Natalie Pawlik MdB, vorzustellen, die seit dem 14. April mit dem Amt betraut ist. Pawlik wurde 1992 in Wostok in Russland geboren. Mit sechs Jahren kam sie gemeinsam mit ihrer Familie als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Ihr politisches und gesellschaftliches Engagement in Hessen führte sie 2021 in die SPD-Bundestagsfraktion. 

„Wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft“

Der Bund der Vertriebenen, so die Ministerin, sei seit seiner Gründung in den 1950er Jahren „ein wichtiges Sprachrohr in die deutsche Politik“. Der BdV sei dabei nicht nur Träger der Erinnerung, sondern habe auch als Brückenbauer in Europa gewirkt. „Ihre Aussöhnungsleistung und kulturelle Spurensuche kommen der Gesellschaft als Ganzes zugute und deshalb herzlichen Dank für ihr Engagement“, so Faeser. Die Bundesregierung bekenne sich auch in Zukunft zur besonderen Bedeutung dieses Politikbereichs. „Für die Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik kann ich Ihnen versichern: Sie hat ihren festen und selbstverständlichen Platz in der Abteilung Heimat, Zusammenhalt und Demokratie, also in der gesellschaftspolitischen Abteilung meines Hauses, und sie bildet auch einen besonderen Schwerpunkt in unserem Arbeitsbereich des gesellschaftlichen Zusammenhaltes“, so die Ministerin. „Der Bund der Vertriebenen und seine Landsmannschaften sind ein wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft und damit auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Denn ihre Arbeit umfasst mehr als nur die klassische Interessenvertretung der deutschen Vertriebenen, der Aussiedler und Spätaussiedler. Sie wirkt über die Aktivitäten ihrer Mitglieder in die Mitte unserer Gesellschaft hinein und damit ist es ein wesentlicher Teil unserer Heimatpolitik und wird deshalb weiterhin ein ganz fester Bestandteil unserer Arbeit bleiben.“ 

Alterssicherung von Spätaussiedlern

Innenministerin Faeser ging auch auf den geplanten Härtefallfonds im Rentenbereich ein und bekräftigte: „Die Bundesregierung will dabei helfen, die wahrgenommenen Härten und enttäuschten Erwartungen in der Alterssicherung von Spätaussiedlern und jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion anzuerkennen und abzumildern“, so die Ministerin. „Wir werden deshalb den geplanten Härtefallfonds, mit dem Härten aus der Ost-West-Rentenüberleitung abgemildert werden sollen, auch für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler umsetzen – dafür stellen wir die nötigen Haushaltsmittel zur Verfügung.“ Die Spätaussiedleraufnahme sei ein Ausdruck des besonderen Verantwortungsbewusstseins gegenüber diesem Personenkreis sei. Das Tor werde weiter offengehalten. 

Förderung und Deutschunterricht

Zugleich erklärte die Ministerin, dass ein besonderes Bekenntnis der Bundesregierung zum kulturellen Erbe der deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler im Koalitionsvertrag enthalten sei. Archive, Museen und Bibliotheken würden mit 31 Mio. Euro jährlich gefördert. Der BdV werde institutionell für seine verständigungspolitischen Maßnahmen und seine Ausstellungstätigkeit gefördert, ebenso wie die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland eine Strukturförderung erhalte. Zudem gebe es eine substanzielle Förderung der etwa eine Million Menschen deutscher Abstammung in Mittel- und Osteuropa sowie im asiatischen Raum. Diese Förderungen sollen beibehalten werden. Auch vor diesem Hintergrund sei „die geplante Kürzung des Deutschunterrichts als Minderheitensprache in polnischen Schulen nicht zu akzeptieren“. Faeser versprach, sich dafür einzusetzen, dass diese rückgängig gemacht werde.  

Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Die Ministerin bekannte sich dazu, Heimat nicht nur geografisch und strukturpolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch zu behandeln. „Von der Herkunft zur Hinkunft“ – das sei Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen, aber eben auch einer engagierten Zivilgesellschaft, zu der der Bund der Vertriebenen zähle. „Gerade in diesen aufgewühlten Zeiten ist die stetige Arbeit um den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtiger denn je. Dafür müssen wir uns gemeinsam engagieren, Staat und Zivilgesellschaft. Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass der BdV ein starker Partner für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Das soll auch in Zukunft so bleiben“, schloss Faeser ihre Ansprache.

Uneingeschränkte Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft für drängende Probleme

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius hatte zuvor seine Freude zum Ausdruck gebracht, nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause die zahlreichen, teils hochrangigen Gäste wieder zum Jahresempfang begrüßen zu können. In deren Anwesenheit benannte Fabritius die dringlichsten Probleme im Themenbereich der deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler und appellierte an die Bundesregierung, sich dieser anzunehmen. 

Vor allem auf die Rentenproblematik und der sich ausweitende Altersarmut der Betroffenen schaue der BdV „mit großer Sorge“. Der geplante Härtefallfonds für Spätaussiedler, für jüdische Zuwanderer sowie in der Rentenüberleitung müsse endlich beschlossen, aber gleichzeitig im Hinblick auf „vorhandene Unwuchten berichtigt und dann umgesetzt werden. Die schreienden Ungerechtigkeiten im Fremdrentengesetz sind damit zwar noch immer nicht beseitigt, auf keinen Fall darf es – etwa durch Ausgrenzung der deutschen Aussiedler aus dem Härtefallfonds – zu weiteren derartigen Ungerechtigkeiten kommen“, so Fabritius.

Deutlich kritisierte der BdV-Präsident die Kürzung des muttersprachlichen Unterrichts von 3 auf 1 Wochenstunde gezielt für die deutsche Minderheit in Polen sowie die damit einhergehende Kürzung der finanziellen Förderung des Unterrichts um fast 10 Millionen Euro. „Dieses Thema muss Angelegenheit der Bundesregierung auf höchster Ebene bleiben und mit Nachdruck und diplomatischem Klartext vertreten und gelöst werden“, forderte Fabritius. Minderheiten seien bekanntlich an der Stelle besonders verletzlich, wo sie Gefahr laufen, die kollektiven identifikationsstiftenden Merkmale zu verlieren. Dazu gehöre die eigene Muttersprache ganz an erster Stelle, und wenn ein Staat darauf hinarbeite, diese Merkmale zu schleifen, begehe er „ein Verbrechen an seinen eigenen Bürgern“.
Schwierige Situation in der Ukraine und in Russland

Im Hinblick auf die russische Invasion in der Ukraine zeigte sich der Präsident fassungslos und sprach vom „missbrauchten Vorwand, es ginge um Minderheitenschutz“. Hier werde zur Durchsetzung geostrategischer Interessen unter dem Vorwand, eine russische Minderheit in der Ukraine verteidigen zu müssen, unvorstellbares Leid über die gesamte ukrainische Gesellschaft gebracht. Fabritius nahm insbesondere die in der Ukraine wie in Russland lebenden Deutschen in den Blick: Die Deutschen in der Ukraine bangten um ihr Leben und ihre Zukunft, die Deutschen in Russland würden in Mithaftung für die deutschen Sanktionen genommen, häufig zur Solidaritätsbekundungen mit der „Militärischen Sonderoperation“ aufgefordert. 

Zudem würden die Deutschen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion unter der in Deutschland, aber auch in ganz Europa zunehmenden pauschalen und stigmatisierenden Russenfeindlichkeit gleich doppelt leiden, so Fabritius.  Zum einen, weil man sie hier als „Russen“ abstemple, wo sie doch in ihrer alten Heimat „die Deutschen“ waren und das auch heute weiterhin seien. Zum anderen aber auch, weil sie mit einem Krieg in Verbindung gebracht würden, den sie weder verantworten noch mehrheitlich gutheißen, sondern als „Bruderkrieg“ zutiefst verabscheuen würden. Fabritius sicherte diesen Betroffenen politische Unterstützung und Flankenschutz seitens des BdV zu: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Welt aus den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts und dem dadurch verursachten Leid mehr gelernt hätte. Wir hoffen sicher alle, dass dieser brutale Krieg so bald als möglich aufhört. Es wird danach für uns als BdV sehr darauf ankommen, wie gut wir den Fortbestand der deutschen Minderheit in der Ukraine und in Russland erneut sichern können, wie verfeindete Gesellschaften erneut zueinander finden können und Gräben – und seien diese noch so tief und schmerzhaft – überwunden werden können.“

Hochrangige Gäste

Unter den Ehrengästen fanden sich neben der Bundesinnenministerin, Nancy Faeser, und der neuen Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Natalie Pawlik MdB, auch zahlreiche Vertreter aus dem Bundestag, aus den Ministerien und aus den Ländern. Ebenso konnte Dr. Fabritius Vertreter des diplomatischen Corps, der Kirchen und vieler Organisationen des öffentlichen Lebens begrüßen. 

Besonders freute sich der Präsident über die vielen anwesenden Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, darunter die thematisch zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz, CSU-Generalsekretär Stephan Mayer, der Vorsitzende der Fraktionsgruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutsche Minderheiten, Christoph de Vries, die Bundesvorsitzende der Mittelstandsunion, Gitta Connemann, der Vorsitzende der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern, Philipp Amthor, sowie die Abgeordneten Knut Abraham, Dr. Günter Krings, Dr. Christiane Schenderlein, Klaus-Peter Willsch und Mechthilde Wittmann. Die Unionsfraktion habe dadurch ein deutliches Zeichen der Unterstützung der Anliegen des BdV gesetzt. 

Beim Stehempfang bestand dann die Möglichkeit zum ungezwungenen Austausch unter den Gästen.

(PM)