In erster Lesung wurde am 28. September 2023 die lange angekündigte Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) im Bereich der Spätaussiedleraufnahme im Deutschen Bundestag debattiert und an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.
„Unser Drängen hatte Erfolg, die BVFG-Änderung kommt endlich voran“, kommentiert der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius, diesen Schritt.
„Wie vom BdV und auch von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland gefordert, beinhalten die Änderungsvorschläge eine wichtige Klarstellung: Wenn jemand, der die Aufnahme als Spätaussiedler in Deutschland beantragt, ein aktuelles Bekenntnis zum deutschen Volkstum nachweisen kann, dann führen frühere, anderslautende Bekenntnisse nicht mehr zur Ablehnung des Antrages. Wenn diese Überzeugung sich auch in den weiteren Lesungen durchsetzt, hat die bisherige rechtliche Gleichbehandlung von Eintragungen des sowjetischen Unrechtsstaates mit freiheitlich erfolgten Bekenntnissen zur eigenen deutschen Abstammung und Kultur endlich ein Ende“, so Fabritius.
Überdies sei es gut, dass Forderungen des BdV aus der Verbändebeteiligung in die Formulierungen eingegangen seien. Wo nämlich noch keine Bekenntniskorrektur erfolgt oder diese nicht mehr möglich sei, können laut Gesetzestext jetzt auch „ernsthafte Bemühungen um eine Änderung“ ausdrücklich ausreichen. Dies ist insbesondere in denjenigen Ländern des Aussiedlungsgebietes wichtig, wo heute schon formalrechtlich keine Nationalitäten mehr in Personenstands- und Personaldokumente eingetragen werden – und daher auch nicht einfach korrigiert werden können“, betont der BdV-Präsident.
„Sämtlichen Abgeordneten und Fraktionen, die diese Gesetzesänderung angestoßen und vorangebracht haben und sie jetzt mittragen, spreche ich den Dank unseres Verbandes, aber ganz besonders der Betroffenen aus. Es muss nun darum gehen, dass die Verabschiedung zügig gelingt und dass die aus dem geänderten Grund abgelehnten Antragsteller dann über die neue Rechtslage in Kenntnis gesetzt werden, sodass sie eine Wiederaufnahme ihrer Verfahren beantragen können.“
„Bedauerlich“ sei es jedoch, „dass angesichts des Krieges in der Ukraine noch immer keine Regelung des Wertungswiderspruches zwischen vorübergehender Fluchtrettung gemäß dem Aufenthaltsgesetz bzw. entsprechenden europäischen Regelungen und einem endgültigen Verlassen des Aussiedlungsgebietes im Sinne des BVFG gefunden wurde. Es ist zynisch, den heutigen Krieg Russlands gegen die Ukraine und dessen Folgen, als Unterbrechung des Aussiedlungszusammenhangs für deutsche Aussiedlerbewerber zu werten. Wer seine Heimat für die Zeit einer humanitären Krise verlässt, darf nicht seinen Anspruch auf Aufnahme als Spätaussiedler verlieren“, so Fabritius abschließend.
Lebendige Debatte im Deutschen Bundestag
Die Debatte im Deutschen Bundestag zur ersten Lesung verlief in Detailfragen sehr lebendig. Insgesamt wurde jedoch Einigkeit darüber deutlich, dass die Erleichterungen in der Spätaussiedleraufnahme nötig und eilbedürftig sind. BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius war auf der Besuchertribüne anwesend und wurde von fast allen Rednern begrüßt.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Natalie Pawlik MdB (SPD), stellte die historischen Zusammenhänge, die Regierungssicht auf die bisherige Rechtslage und die Gründe für die Änderungswünsche am BVFG dar. Mit kurzen Worten machte sie deutlich, warum die pauschale Vermutung des Kriegsfolgeschicksals auch heute noch für diejenigen Deutschen gilt, die in den außereuropäischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion leben. „Unsere Solidarität mit den Betroffenen darf nicht an Bürokratie scheitern“, betonte sie.
Der Vorsitzende der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Christoph de Vries, erklärte, dass man in der Sache mit der Ampelkoalition einig sei, man sich jedoch ein schnelleres Agieren gewünscht habe. Die CDU/CSU-Fraktion habe hier immer wieder zur Eile gemahnt und das Thema vorangebracht. „Vom Deutschlandtempo haben wir ein anderes Verständnis. Zwei Sätze in einem Gesetz zu ändern, das kann auch schneller als in anderthalb Jahren gehen“, so de Vries. Dieser Kritik schloss sich später seine Fraktionskollegin Nina Warken und Alexander Hoffmann an. Ausdrücklich begrüßte er die Rückkehr zur alten Aufnahmepraxis vor der letzten bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Außerdem sei es gut, dass der Anspruch auf Wiederaufnahme von Aufnahmeverfahren bestehe, die aufgrund der jetzt zu ändernden Regelung abgelehnt wurden. Kritik gab es abschließend für die für 2024 gekürzten Haushaltsansätze in der Spätaussiedleraufnahme und -integration, insbesondere vor dem Hintergrund der verhandelten BVFG-Korrektur.
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), bezeichnete das BVFG als ein „Zeichen unserer gemeinsamen historischen Verantwortung und (…) der Wiedergutmachung“. Sie dankte Christoph de Vries dafür, immer wieder das Augenmerk auf die Situation und das Schicksal der Betroffenen zu lenken, schon damit gebe man diesen etwas mehr Sicherheit. Thematisch ergänzte sie die Debatte um die auch vom BdV vertretene Forderung einer großzügigen Regelung für eine vorübergehende Flucht: „Es ist für mich zentral, dass es eben auch nicht sein kann, dass ein fluchtbedingter vorübergehender Aufenthalt außerhalb des Aussiedlungsgebietes zum Verlust des Aufnahmeanspruchs führt. Das wollen wir noch ändern. (…) Es kann nicht sein – und das will ich ausdrücklich sagen –, dass wir deutschen Minderheiten auf der Flucht eine Schlechterstellung zumuten gegenüber denjenigen, die sich noch im Aussiedlungsgebiet befinden.“
Für die FDP sprach die Abgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht und bezeichnete „die Geschichte der Deutschen aus Russland und der Bundesrepublik Deutschland eine Geschichte der Solidarität und Unterstützung; denn diese Menschen werden hier in Deutschland stets ein Zuhause haben“. Es sei gut, dass dies so bleibe. Petra Pau (Die Linke), ebenfalls Bundestagsvizepräsidentin, begrüßte die anstehende Änderung des BVFG als „überfällig“ und forderte, dass die Regelungen zum Thema „Gegenbekenntnis“ als nicht mehr zeitgemäß grundsätzlich zu überarbeiten seien. Nina Warken (CDU/CSU) machte deutlich, dass die Unionsfraktion stets abgestimmt mit den Verbänden vorgegangen sei. Es gelte, mit der Gesetzesänderung „einen neuen erneuten Schicksalsschlag“ zu beseitigen. Simona Koß (SPD) wiederum lobte Bundesinnenministerin Nancy Faeser und die Aussiedlerbeauftragte, Natalie Pawlik, für deren schnelles Handeln. Koß erklärte, ihre Fraktion sei sich der Verantwortung für die Betroffenen bewusst und werde „alles, was in unserer Macht steht, für die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler tun“. Alexander Hoffmann (CDU/CSU) charakterisierte die BVFG-Änderung als nötig, weil sich die durch das Bundesverwaltungsgerichtsurteil entstandene Vorgabe nicht mit der Lebenssituation der Betroffenen übereinbringen lasse.
Einen Eklat provozierte die AfD-Fraktion, die einen eigenen Antrag zum Thema eingebracht hatte. Der Abgeordnete Eugen Schmidt sprach der Regierung ab, sich überhaupt für die Spätaussiedler oder die deutschen Minderheiten zu interessieren. Weil er am Rednerpult entgegen dem Hausrecht des Bundestages eine Deutschlandflagge mit dem Wappen der Russlanddeutschen zeigte, erhielt er von Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU/CSU) einen Ordnungsruf. Schmidt war Anfang 2023 durch einen Auftritt im russischen Fernsehen aufgefallen, in dem er behauptet hatte, Russland sei keine Gefahr für den Rest der Welt.