„Der Fernsehrat ist das Parlament des Intendanten.“ So kurz und treffend charakterisierte ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut das Verhältnis des Aufsichtsgremiums zum gesamtverantwortlichen Geschäftsführer und künstlerischen Leiter der Sendeanstalt am 11. September 2019 im Rahmen eines Gespräches mit einer Delegation des Bundes der Vertriebenen auf dem Mainzer Lerchenberg. In dieses Verhältnis spielen natürlich auch die hinter den jeweiligen Fernsehratsmitgliedern stehenden gesellschaftlichen Gruppierungen hinein – in diesem Fall der BdV. Nicht einfach sei die Arbeit aufgrund der Vielfalt an Überzeugungen, meinte Bellut – „aber reizvoll“.
Zustande gekommen war dieses Gespräch auf Initiative von BdV-Vizepräsidentin Renate Holznagel, die den Verband im ZDF-Fernsehrat vertritt. Ihr ging es darum, zum einen die Themen und Anliegen des BdV einmal konzentriert bei ZDF-Verantwortlichen vorbringen zu können und zum anderen die Vernetzung und Zusammenarbeit der für die BdV-Gliederungen tätigen Rundfunk- und Medienräte weiter zu verbessern. Beides konnte mit der Tagung erreicht werden.
Anwesend waren neben Renate Holznagel auch BdV-Vizepräsident Christian Knauer, der als Landesvorsitzender des BdV Bayern im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunkes wirkt, und Paul Hansel, als BdV-Landesvorstandsmitglied in Bayern Mitglied im dortigen Medienrat. Außerdem waren einige Funktionsträger aus den Verbänden gekommen, wie etwa BdV-Präsidialmitglied Stephan Rauhut, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien, BdV-Präsidialmitglied Dr. Maria Werthan, Präsidentin des Frauenverbandes im BdV, Reinfried Vogler, Vorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und Präsident der Sudetendeutschen Bundesversammlung, Dietmar Schulmeister, stellvertretender Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Dr. Wolfgang Thüne, Mitglied im Bundesvorstand der Landsmannschaft Ostpreußen, und Michael Gediga, Geschäftsführer des BdV-Landesverbandes Niedersachsen.
Seitens des ZDF standen neben dem Intendanten auch der Leiter der Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen, Matthias Fornoff, der Leiter der Abteilung Medienpolitik, Dr. Lutz Köhler, sowie der Beauftragte für digitale Strategien, Robert Amlung, zum Austausch zur Verfügung.
In einer kurzen Einführung ging Thomas Bellut u.a. auf den Bildungsauftrag ein, den das ZDF laut Rundfunkstaatsvertrag zu erfüllen habe und auch sehr ernst nehme. Daran entspann sich das Gespräch. Christian Knauer etwa regte an, anlässlich des 75. „Jahrestages“ des Beginns der Vertreibungen im kommenden Jahr einen Spielfilm allein über dieses Thema zu zeigen. So könne beispielsweise das Schicksal deutscher Schlesier als Basis genommen werden, da gerade diese oft nach der Vertreibung wieder in die Heimat zurückgekehrt seien – nur um dann erneut vertrieben zu werden. Mit einem derartigen Film könnte gleichermaßen dringend nötiges Wissen über die eigene Geschichte vermittelt, wie Empathie erzeugt werden. Renate Holznagel wünschte sich, dass in einen solchen Themenschwerpunkt auch Zeitzeugen eingebunden würden. Und Reinfried Vogler ergänzte, dass gerade im Falle Schlesiens deutlich werde, wie tief die Ursachen für die Vertreibungen auch im Kriegsende des Ersten Weltkrieges wurzelten. Intendant Bellut zeigte sich aufgeschlossen und nahm insbesondere den Hinweis auf das fehlende Wissen bei den jüngeren Generationen gerne auf.
Dietmar Schulmeister lenkte das Gespräch auf Identitätsfragen der ca. 3,5 Millionen Deutschen aus Russland. Diese fänden sich fast ausschließlich in einschlägigen russischsprachigen Medien wieder, wo der deutsche Alltag bestenfalls verzerrt wiedergegeben werde. Auf den Wunsch hin, diesen Aussiedlern und Spätaussiedlern ein Angebot zu machen, erklärte der ZDF-Intendant, es sei schwer, die Gruppe als Ganzes anzusprechen, da sie vielerorts „zu gut“ integriert sei. Er stimmte jedoch zu, dass gerade im Hinblick auf Begrifflichkeiten wie „Deutschrussen“ oder „Russischsprachige“ erhöhte Sensibilität geboten sei.
Hieran anknüpfend, wies Stephan Rauhut darauf hin, dass es auch im Vertriebenenbereich mehr als die Erinnerungspolitik gebe. So sei etwa die grenzüberschreitende Verständigungsarbeit des BdV und seiner Gliederungen berichtenswert – aber auch das Leben der deutschen Minderheiten in den Heimatregionen als ein Spiegel fortentwickelter ostdeutscher Alltagskultur. Insgesamt müssten die Minderheiten in Zeiten des Internets und digitaler Medienangebote als Zielgruppe stärker beachtet werden. Maria Werthan wiederum bat, auch den Alltag und das Schicksal der vertriebenen Frauen – damals und heute – in den Blick zu nehmen. Thomas Bellut ging auf beide Anregungen ein und mutmaßte, dass im Zuge der Diskussion über polnische Reparationsforderungen auch das Interesse für diese Themen steigen könnte.
Im Austausch mit Matthias Fornoff wurden viele dieser Punkte nochmals angesprochen. Ebenso aufgeschlossen und offen für viele der vom BdV vorgebrachten Anstöße wie der Intendant, zeigte Fornoff doch gleichzeitig Grenzen der Berichterstattung im Nachrichtenbereich auf. So könne nicht auf jeden Jahres- und Heimattag eingegangen werden. Gerade hierüber wurde im Folgenden konstruktiv diskutiert, u.a. weil eine gute Veranstaltungsdokumentation laut der BdV-Teilnehmer zur – auch vom ZDF gewünschten – Versachlichung der Meinungsvielfalt entscheidend beitrage.
In den Gesprächen mit Dr. Lutz Köhler und Robert Amlung wurden nach den thematisch wichtigen Anliegen überwiegend strategische Überlegungen erörtert. So ging es hier um Marktpositionierungen des ZDF im nationalen und internationalen Wettbewerb sowie um Herausforderungen durch die Digitalisierung und die Transformation des linearen zum non-linearen Fernsehen, denen sich auch die Öffentlich-Rechtlichen stellen müssen.
Die Teilnehmer verließen den Lerchenberg mit vielen neuen Eindrücken und dem Wunsch, den Austausch der Rundfunkräte weiter zu vertiefen.
Marc-P. Halatsch