Erinnerung bewahren – Zukunft gestalten

Kultur der Deutschen im östlichen Europa im Blickpunkt

„Alles zu erzählen, ohne Rücksichtnahmen, ohne Kalkül, ohne Rechthaberei“ auf dem Weg in eine vielstimmige, gemeinsame europäische Erinnerungslandschaft: Dies müsse das Ziel der Aufarbeitung der Geschichte der Deutschen in Mittel- und Osteuropa sein.

Dieser grenzüberschreitende Appell aus der Ansprache der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Staatsministerin Prof. Monika Grütters MdB, bildete so etwas wie den Leitgedanken der von interessanten Vorträgen und spannenden Diskussionen getragenen, gemeinsam von der BKM, dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) und der Katholischen Akademie in Berlin am 12. Juni 2017 ausgerichteten Tagung „Erinnerung bewahren – Zukunft gestalten“.

Der Veranstaltungstitel war angelehnt an die Überschrift der im Februar 2016 von der Bundesregierung beschlossenen, weiterentwickelten Förderkonzeption nach Paragraph 96 Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG) „Erinnerung bewahren – Brücken bauen – Zukunft gestalten“. Ganz im Sinne dieser Konzeption sollte es darum gehen, die Möglichkeiten des Erinnerungstransfers unter den Bedingungen des demografischen Wandels und der Digitalisierung als Mittel zur Erschließung und Vermittlung des kulturellen Erbes sichtbar zu machen. Außerdem sollte herausgestellt werden, inwieweit ein multiperspektivischer Blick auf die Vergangenheit die grenzüberschreitende Verständigung verbessern und den kulturellen Austausch in Europa stärken könnte.

Die Kulturstaatsministerin zeigte sich von diesen Chancen überzeugt. Die Bundesförderung im Bereich des § 96 BVFG kurz umreißend erklärte sie, dass gerade die Arbeit in diesem Bereich dazu beitragen könne, das Ost-West-Denken aufzubrechen und somit das Gemeinsame statt des Trennenden zu erkennen. Schließlich müsse Europa sich als Wertegemeinschaft verstehen.

Prof. Dr. Matthias Weber, Direktor des BKGE, freute sich in seinem Einführungsvortrag, dass die Kulturarbeit nach § 96 BVFG durch die aktuelle politische Situation in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerate. Grütters‘ Gedankengang aufgreifend wandte er sich gegen gleichgemachte Kulturräume und normierte Geschichtsbilder. Der Blick zurück zeige, dass es in Europa immer wieder funktionierende, multikulturelle Zentren gegeben habe. Insofern könne die vergleichende – ausdrücklich nicht gleichsetzende – Betrachtung mit der Gegenwart helfen, die Zukunft zu gestalten.

Einen äußeren Blick auf Deutschlands starke kulturelle Verbindungen ins östliche Europa lieferte György Dalos, 1943 in Budapest geborener, ungarischer Schriftsteller und Historiker sowie Mitbegründer der demokratischen Oppositionsbewegung im Ungarn der späten 1970er Jahre. Dabei ging es ihm überwiegend um gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen. So karikierte er um sich greifende Nationalismen mit den Worten: „Nationalstolz ist ein bisschen wie Blutdruck; auch der ist mal zu hoch und mal zu niedrig“, machte aber gleichzeitig deutlich, dass sich Ungarn als „Nation der Grenzöffner“ – wie auch viele andere Länder Ost- und Südosteuropas – nach dem Fall des Eisernen Vorhanges eine schnellere Einbindung in die Europäischen Union erhofft hatte und dass hier ein Grund für die skeptische Haltung heutiger Tage liege.

In zwei parallel stattfindenden Panels kam die wissenschaftliche Perspektive auf zwei der wichtigsten Tagungsthemen zur Sprache. In einem Panel sprachen die Franz-Werfel-Menschenrechtspreisträgerin der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV), Freya Klier, und der ehemalige Präsident des „International Council of Museums“ (ICOM) Deutschland, Dr. Michael Henker, mit den Tagungsteilnehmern über „Erinnerungstransfer und Geschichtspolitik“. Dabei gingen sie u.a. auf die staatliche Einflussnahme auf Geschichtsbilder während der Zeit des Kommunismus und auf den heute notwendigen, auch im Ableben der Erlebnisgeneration von Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg begründeten Transfer ein.

Ein zweites Panel beschäftigte sich mit „Migration zwischen Zwang und Zuversicht“. Hier äußerten sich der Osnabrücker Migrationsforscher Prof. Dr. Jochen Oltmer und die Direktorin des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven, Dr. Simone Eick. Oltmer sprach bezüglich des Themas Migration insgesamt von einer „relativen Immobilität“ der Weltbevölkerung, zumal sich selbst zur Zeit der größten Vertreibungen und Gewaltmigrationen stets maximal drei Prozent davon in Bewegung befunden hätten. Die immer wieder erforderliche gesellschaftliche und wissenschaftliche Aushandlung des Umgangs mit diesen Migrationsbewegungen sei eine immense Herausforderung. Eick wiederum sah eine Chance darin, verschiedene Biografien und Erinnerungen wertungsfrei nebeneinanderzustellen. So werde dies im Auswandererhaus praktiziert – mit großem Erfolg bei den Besuchern.

Im weiteren Verlauf der Tagung diskutierten der Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), Dr. Bernd Fabritius MdB, die polnische Historikerin Prof. Dr. Małgorzata Omilanowska und nochmals Freya Klier unter der Moderation der Journalistin und Autorin Gemma Pörzgen über Fragen zur gemeinsamen Geschichte. Dabei vertraten alle Podiumsteilnehmer die Ansicht, gemeinsame Geschichte verbinde mehr, als dass sie trennt. Dies machten sie aber an unterschiedlichen Voraussetzungen fest. BdV-Präsident Fabritius etwa erklärte, Geschichte dürfe weder „eine unkritische Märchenerzählung“ noch ein „Instrument politischer Ideologie“ sein, und erteilte darauf aufbauend, den vielerorts in Europa und anderswo wachsenden Nationalismen eine Absage.

Als Vorsitzender des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Deutschen Bundestages lobte er das Konzept des in diesem Jahr eröffneten „Museum des Zweiten Weltkrieges“ in Danzig. Dort sei es z.B. bemerkenswert gut gelungen, im Kontext des Zweiten Weltkrieges und der polnischen Westverschiebung auch die Vertreibung der Deutschen darzustellen und als solche zu bezeichnen. Diese Meinung teilte Prof. Omilanowska, die berichtete, in internationaler Anstrengung sei in Danzig versucht worden, die damaligen Ereignisse durch die Erzählungen vieler verschiedener Betroffener erfahrbar zu machen. Fabritius wiederum zeigte sich als einer von sechs BdV-Stiftungsräten der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ (SFVV) zuversichtlich, dass die Dauerausstellung im Berliner Deutschlandhaus nach ihrer Fertigstellung eine ähnliche Wirkung entfalten werde.

In seiner Zusammenfassung der Veranstaltung betonte Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beraterkreises der SFVV, die Veranstaltung habe gezeigt, dass die Konstruktion einer gemeinsamen europäische Identität „ex negativo“ – aus der Abgrenzung – keine tragfähige Basis sei. Vielmehr müsse nach existierenden Brücken gesucht werden. Eine davon sei das vielschichtige kulturelle Erbe der Deutschen im östlichen Europa.

Marc-P. Halatsch

Podiumsdiskussion über Fragen zur gemeinsamen Geschichte (v.l.n.r.): Prof. Dr. Małgorzata Omilanowska, Dr. Bernd Fabritius MdB, Freya Klier und Gemma Pörzgen (Foto: Marc-P. Halatsch/BdV).