Flucht, Vertreibung, Deportation – Symposium des ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN und der Konrad-Adenauer-Stiftung

Als Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) begrüßte der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deut­schen Bundestag Volker Kauder MdB am 9. Juni 2015 in Berlin ein zahlreiches und interessiertes Publikum zu dem gemein­sam von der Stiftung Zentrum gegen Vertrei­bungen (ZgV) und der KAS organisierten Symposium „Flucht, Vertrei­bung, Deportation – Das Schicksal der Deutschen im Osten nach dem Ende das Zweiten Weltkrieges“. Unter den Besuchern waren viele Zeitzeugen.

In seinen Eröffnungsworten rief Kauder zu einer ehrlichen und un­geteilten Erinnerung an die Vertreibungen am Ende des von Deutsch­land ausgegangenen Zweiten Welt­krieges auf. Heute könne man unbefangener darüber sprechen, dass auch Millionen Deutsche Opfer von Menschen­rechts­verletzungen geworden seien. „Menschenrechte sind nicht teilbar!“, erklärte Kauder und machte deutlich dass dies auch vor dem Hintergrund der heutigen Situation von Flucht und Vertrei­bung gelte.

Die ZgV-Vorsitzende Erika Steinbach MdB betonte in ihrer Ansprache, gerade wegen des Schicksals der Deutschen im Osten müsse das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren richtig eingeordnet werden: „Der 8. Mai 1945, dessen landauf und landab gedacht wurde – und mit Recht gedacht wurde –, ist eines der Schlüssel­daten der Geschichte des 20. Jahrhunderts. An diesem Tage endete die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten über Deutsch­land, über weite Teile Europas, und es endete der fürchter­lichste Krieg, den die Welt bis dahin durchlitten hatte. Und dennoch ist der fast euphorische und knappe Satz ‚Tag der Befreiung‘ ein Ausblenden der millionen­fachen Menschenrechts­verletzungen auch nach diesem Tag.“

Mit Hilfe vieler ausländischer Stimmen aus Literatur und Wissenschaft, darunter etwa Lew Kopelew und Norman Naimark, zeigte Steinbach, dass für viele Menschen – Flüchtlinge, Vertriebene, Zwangsarbeiter, aber auch die Bewohner der ehemaligen SBZ/DDR und vieler Länder Osteuropas – mit dem 8. Mai 1945 und der anbrechenden kommu­nistischen Diktatur neues Leid begann. Für all jene müsse doch die Reduzierung dieses Tages auf einen „Tag der Befreiung“ wie ein Hohn wirken, so Steinbach. Auch daher gehe es dem ZgV darum, an die Ereignisse danach – an Flucht, Vertreibung und Deportation – als Teil der gesamt­deutschen Geschichte zu erinnern.

Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Möller, ehemaliger Direktor des Institutes für Zeitgeschichte (IfZ) und BdV-Ehrenplakettenträger des Jahres 2013, nahm Erika Steinbachs Argumentation auf und sagte, dass das seit der Formulierung von Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 immer prominenter gewordene Schlagwort „Tag der Befreiung“ im Hinblick auf seine Entstehungsgeschichte nur ein­ge­schränkt Geltung besitze. Zwar sei überall Erleichterung darüber spürbar gewesen, dass der furchtbare Krieg zu Ende sei, aber gerade im Hinblick auf die „Befreiung“ unterscheide sich die konkrete „Erfahrung der damals Lebenden fundamental von derjenigen heutiger Generationen.“

Aus einem faktenreichen und historisch fundierten Vortrag über viele Aspekte von Flucht, Vertreibung und Deportation während und nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er Täter und Opfer auf allen Seiten klar benannte, leitete Professor Möller am Ende Schlussfolgerungen ab, aus denen die Bedeutung der Vertreibung der Deutschen als „insgesamt geplanter und vorsätzlicher Vorgang, der gegen das Völker­recht ver­stieß“, deutlich wurde. Daher sei es notwendig, die deutsche Erinne­rungs­kultur aus ihrer Einseitigkeit zu lösen, um auch den eigenen Opfern darin Raum zu geben. Dies bedeute keinesfalls eine Relativie­rung der singulären deutschen Verbrechen, etwa an den europäischen Juden.

Professor Möllers Ausführungen folgend, benutzte Welt-Redakteur Sven Felix Kellerhoff ein Selbstzitat, um auf die anschließende, von ihm moderierte Podiums­diskussion hinzuführen: „Glaubwürdig der Opfer anderer Völker gedenken kann nur, wer auch an die unschuldigen Opfer des eigenen Volkes erinnert“, habe er schon im Jahr 2000 über die Vertreibung der Deutschen geschrieben. Kellerhoff bat die Podiumsgäste um eine Stellungnahme zu dieser These.

Der emeritierte Freiburger Erzbischof Dr. Robert Zollitsch konnte hierzu aus seiner eigenen Familiengeschichte antworten: Geboren 1938 im jugoslawischen Filipowa – in der Batschka – und einer der dortigen donau­schwäbischen Familie ent­stammend, habe er 1944 miterleben müssen, wie 212 deutsch­stäm­mige Einwohner von der sogenannten Jugoslawischen Volks­befreiungsarmee ermordet worden seien – darunter sein zehn Jahre älterer Bruder. Er selbst sei mit seiner Groß­mutter und drei Cousinen 1945 in Titos größtes Vernichtungs­lager im damaligen Gakowa gebracht worden, von wo dann die Flucht nach Deutsch­land gelungen sei. Erst 60 Jahre später habe Zollitsch seinen Heimatort wieder­gesehen, sei aber wie viele andere als „Brücken­bauer“ gekommen, der zwar auch über seine Erlebnisse gesprochen habe, nicht jedoch, um mit den heutigen Bewohnern „abzurechnen“. Über diese Brücken der Verständigung seien die europäische Integration des heutigen Serbien und später auch die heilsame Aufarbeitung der damaligen Verbrechen voran­ge­kommen.

Wie wichtig Erinnerung, Begegnung und Thematisierung des Erlebten gerade für die traumatisierten Opfer ist, betonte auch die Autorin,  Regisseurin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier. Mit ihrem Dokumentarfilm und späteren Buchprojekt „Verschleppt bis ans Ende der Welt“ habe sie schon 1993 ein Tabu gebrochen, indem sie mit zehn deutschen Frauen, die das Glück hatten, aus der sowjetischen Zwangs­arbeit nach Deutsch­land zurückzukehren, nach Russland gereist sei. Am Ort ihres größten Leids und im Gespräch mit den dort lebenden Russen hätten einige der Frauen erstmals offen über ihr Schicksal sprechen können. Für viele habe dies das Ende jahr­zehntelanger Albträume bedeutet. Ähnliches habe Klier auch im Hinblick auf die vertriebenen Kinder erlebt, deren Erinnerungen sie ihr zuletzt erschienenes Buch „Wir letzten Kinder Ostpreußens“ gewidmet habe.

Milan Horáček, der kurz nach dem Krieg in der damaligen Tschecho­slowakei geboren wurde, im Zuge der Ereignisse des Prager Frühlings 1968 in die Bundesrepublik Deutschland floh, später Gründungs­mit­glied der Grünen, Bundestags- sowie Europaabgeordneter war und seit 2014 BdV-Präsidialmitglied ist, ging nochmals auf die auch von Erika Steinbach thematisierte kommunistische Diktatur über halb Euro­pa ein. Im Hinblick auf die Tschechische Republik könne man aufgrund der Ereignisse von 1918, 1938 und 1968 von der Traumatisierung eines ganzen Landes sprechen, erklärte er. Horáček selbst habe erlebt, wie sein Heimat­land „über Nacht von 5.000 Panzern und 500.000 sowjeti­schen Solda­ten besetzt wurde.“ Auch dadurch komme die Ausein­ander­setzung mit eigener Schuld in der Tschechischen Republik nur langsam voran. Umso wichtiger sei das volksdiplomatische Engage­ment der Sudeten­deut­schen für die deutsch-tschechische Verständi­gung. Wenn der Stadtrat von Brünn zuletzt für den Brünner Todes­marsch um Vergebung gebeten habe, sei dies das Resultat einer Entwicklung mindestens über die letzten 15 Jahre.

Für ein angemessenes Gedenken an erlittenes Unrecht sei eine genaue historische Aufarbeitung unbedingt notwendig, verdeutlichte Professor Möller, der auch Podiumsteilnehmer war. Hierfür seien Zeitzeugen­berichte unersetzbare Dokumente, die jedoch immer durch wissen­schaft­liche Forschung ergänzt werden müssten, erklärte er. Dies zeige schon das aus den Stellungnahmen deutlich gewordene Phäno­men, dass viele Menschen lange Zeit nicht in der Lage seien, über ihre Erlebnisse zu sprechen.

In einem eindringlichen Schlusswort mahnte BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB, dass eben jene vielen, zum Teil auch im Symposium zu Tage getretenen Einzel­schicksale von Flucht, Vertreibung und Deportation nicht in Vergessenheit geraten dürften. Auch sein Großvater sei als Sieben­bürger Sachse und Soldat der rumänischen Armee nach Russ­land zur Zwangs­arbeit deportiert worden. Dies habe das Familienleben nach­haltig geprägt.

„Warum nur tut sich die deutsche Gesellschaft bis heute so schwer damit, historische Wahrheit als solche zu benennen?“, fragte der BdV-Präsident und versicherte, dass es nicht darum gehe, das eine Leid am anderen zu messen oder gar zu relativieren. Zwar gebe es in Deutsch­land bereits Erinnerungsorte, Museen und Mahnmäler für Flucht und Vertreibung wie etwa die „Ewige Flamme“ am Berliner Theodor-Heuss-Platz, doch sei es „sowohl zur Mahnung an kommende Generationen als auch aus Achtung vor den Opfern notwendig, über kurz oder lang einen unumstrittenen, angemessenen und würdigen Rahmen für diesen Teil unserer Kollektiverinnerung zu definieren.“

„Das Vergangene zeigt heute mehr denn je, wie wichtig es ist, Krieg und Gewalt zu verhindern, Menschenrechte zu achten – gestern wie heute“, schloss Fabritius.

Schlussrede des BdV-Präsidenten (Bühne v.l.n.r.): Dr. Bernd Fabritius MdB, Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Möller, Milan Horáček, Sven Felix Kellerhoff, Freya Klier und Erzbischof Dr. Robert Zollitsch (Foto: Vicky Griesbach, © BdV).