Auf besondere Einladung des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) reiste eine Delegation des Präsidiums des Bundes der Vertriebenen am 22. Oktober 2016 zur deutschen Kriegsgräberstätte Neumark bei Stettin. Dort fand eine gemeinsame deutsch-polnische Gedenkveranstaltung statt, im Rahmen derer BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB die Gedenkansprache hielt.
Im Zentrum dieser verständigungspolitischen Veranstaltung stand die Einbettung von etwa 220 deutschen Kriegstoten. Mehr als 200 dieser Toten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vom sowjetischen Geheimdienst im Internierungslager Kaltwasser bei Bromberg festgesetzt und dann ermordet. Nachdem ihre sterblichen Überreste aus einem Massengrab in Bromberg geborgen wurden, konnten sie nun vom Volksbund eingebettet werden. Weitere etwa 20 Zivilisten hatten sich nahe Waldtal auf der Flucht vor der heranrückenden Roten Armee selbst beziehungsweise gegenseitig das Leben genommen. Insgesamt ruhen schon mehr als 23.000 Kriegstote auf dieser Kriegsgräberstätte.
Viele Gäste aus Deutschland und Polen sowie ermittelte Angehörige waren nach Neumark gekommen, um den Toten die Ehre zu erweisen. Mitglieder des Internationalen Corps der Bundeswehr aus Stettin übernahmen Protokollaufgaben. Auch Soldaten der polnischen Armee waren anwesend. Offizielle Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Landes Brandenburg sowie der Woiwodschaft Westpommern nahmen ebenfalls an der Veranstaltung teil. Umrahmt wurde das Gedenken mit musikalischen Beiträgen des deutsch-polnischen Jugendorchesters aus Frankfurt/Oder sowie persönlichen Schilderungen einer internationalen Gruppe der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte Golm zu Flucht und Vertreibung damals und heute.
In einem Grußwort erinnerte der ehemalige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland, der Mitglied im VDK-Bundesvorstand ist, an die Gräuel des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieges und bezeichnete die Kriegsgräberstätte als „das, was in Berlin noch im Einvernehmen entstehen soll: ein sichtbares Zeichen gegen Flucht und Vertreibung.“ Damit hob er auf die schmerzhaften Lehren der Vergangenheit ab, die an solchen Erinnerungsorten besonders ins Bewusstsein rücken. Das Motto des Volksbunds „Versöhnung über den Gräbern“ bringe diese Lehren in die Gegenwart und in die Zukunft. „Es liegt an uns zu verhindern, dass aus dem Miteinander wieder ein Gegeneinander wird“, so Wieland.
Auch Dr. Fabritius ging in seiner Gedenkrede auf das Motto des Volksbunds ein, das „keine hohle Phrase, sondern gelebte Menschlichkeit“ sei. Er betonte, dass Soldaten im Krieg immer im Einsatz für das eigene Vaterland seien. „Gedenken und Ehren“ müssten daher als der richtige Ansatz für das Ziel „Versöhnung“ begriffen werden. Vor dem Hintergrund des unvorstellbaren Grauens des Zweiten Weltkrieges zeigte Fabritius sich dankbar dafür, dass die Republik Polen diesem Ziel an den Gräbern deutscher Toten würdigen Raum gebe. „Zutiefst und aufrichtig bedauern wir alle in deutschem Namen verursachten Opfer und Leiden, so wie auch wir um Pietät bitten und sie erwarten für die Opfer und Leiden, die wir Deutsche unter dem Dogma der kollektiven Schuldzuweisung erlebten“, erklärte der BdV-Präsident.
Ausdrücklich dankte Fabritius für die schon mehr als sechs Jahrzehnte währende Arbeit des VDK, die sich „bei Weitem nicht in der Kriegsgräberfürsorge“ erschöpfe, sondern auch darin bestehe, „anonyme Tote der beiden Weltkriege zu identifizieren und endlich zur letzten Ruhe zu betten.“ Jedes einzelne Schicksal verdiene es, aus dem Erinnerungsschatten geholt zu werden, bekräftigte er und zog Parallelen zum Engagement des Bundes der Vertriebenen im menschenrechtlichen und verständigungspolitischen Bereich. Dabei gehe es auch darum, „das Gedenken an die menschlichen Schicksale der Vergangenheit“ zu bewahren und „die bittere Wahrheit des Krieges mit allen Folge- und Begleiterscheinungen wahrheitsgetreu für die Nachwelt“ zu dokumentieren.
Eine solche „angemessene Erinnerungskultur“ fordere der BdV mit Blick auf das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler seit jeher. „Den Toten, die Flucht und Vertreibung nicht überlebt haben, sind wir es schuldig, an sie zu erinnern. Wir sind es diesen Toten auch schuldig, diejenigen angemessen wertzuschätzen, die überlebt haben“, denn diese hätten Deutschland nach dem Krieg mit aufgebaut, hob Fabritius hervor. Überdies hätten sie durch grenzüberschreitenden zivilgesellschaftlichen Einsatz auf der Ebene von Mensch zu Mensch maßgeblich zur Verständigung zwischen den Ländern beigetragen. Jede mahnende Erinnerung müsse über die Erlebnisgeneration hinaus erhalten werden, forderte der BdV-Präsident abschließend.
Nach geistlichen Lesungen und einer Kurzpredigt von Pfarrer Jan Zalewski, in Vertretung des Erzbischofs von Stettin, sowie Pfarrer Dr. Justus Werdin wurden die Toten eingebettet. Die Kriegsgräberstätte Neumark bleibt ein sichtbares Zeichen der Erinnerung an sämtliche Opfer von Flucht, Vertreibung, Krieg und Gewaltherrschaft.