Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel MdB begann ihre Ansprache zum Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen, der am 17. April 2018 im Tagungszentrum Katholische Akademie in Berlin stattfand, mit einem Ausrufezeichen: „Mir liegt sehr daran, immer wieder deutlich zu machen, dass der Bund der Vertriebenen bei der Bundesregierung ein offenes Ohr findet und dass das auch in dieser Legislaturperiode genauso sein wird.“
Um dies glaubhaft vertreten zu können, habe man diese Verbundenheit im Koalitionsvertrag bekräftigt. Praktisch erweise sich die „besondere Verantwortung“ gegenüber deutschen Heimatvertriebenen, der sich eine jede Bundesregierung stellen müsse, etwa an der Berufung von Dr. Bernd Fabritius zum neuen Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. „Wer könnte das besser als der BdV-Präsident selbst?“, fragte Merkel und gratulierte Fabritius, der das Amt am 11. April 2018 übernommen hatte.
Aufgaben der Bundesregierung
An einigen Beispielen umriss die Bundeskanzlerin, wo die Bundesregierung ihre Aufgaben sieht. So benötige die Erinnerung an Flucht und Vertreibung der Deutschen „konsequente Förderung“, zumal die Zahl der Zeitzeugen immer geringer werde. Dies gelte auch für den wissenschaftlichen Bereich – „für die Erforschung und Bewahrung, für die Präsentation und Vermittlung der Kultur und Geschichte der Deutschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa“, der zukünftig noch stärker europäisch ausgerichtet werden solle.
Ein wichtiger Auftrag bleibe der Aufbau des Dokumentationszentrums der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Mit der Verabschiedung des Ausstellungskonzeptes im letzten Jahr sei das Projekt einen großen Schritt vorangekommen.
Ausdrücklich würdigte Merkel den zivilgesellschaftlichen zwischenstaatlichen Brückenbau der verschiedenen Gruppen, der oft eng mit der Bewahrung des kulturellen Erbes in den Heimatgebieten zusammenhänge. Auf der staatlichen Ebene habe sie daher etwa bei ihrem „jüngsten Besuch in Warschau dafür geworben, wieder am Runden Tisch zusammenzukommen“. Es liege ihr sehr am Herzen, dass die Beratungen über „Fragen der Förderung sowohl der deutschen Minderheit in Polen als auch der polnischstämmigen Bürger und Polen in Deutschland“ fortgesetzt werden.
Eine wichtige Zusage machte die Bundeskanzlerin für die mehr als 46.000 Deutschen, die die Anerkennungsleistung für zivile deutsche Zwangsarbeiter beantragt hatten: „Die Bundesregierung – das darf ich Ihnen versichern – wird alles dafür tun, dass so rasch wie möglich über die Anträge entschieden wird.“
Die Alterssicherung von Spätaussiedlern zu verbessern, sei eine weitere Aufgabe, aus der eine aus der Erinnerung für die Zukunft erwachsende Verantwortung deutlich werde. Merkel beschränkte sich bei diesem drängenden sozialen Thema zwar darauf, Inhalte aus dem Koalitionsvertrag zwischen den CDU, CSU und SPD wiederzugeben, betonte aber im Anschluss, dass der Dialog mit Spätaussiedlern über ihre Situation weiter gepflegt werden müsse.
Heimat als politischer Auftrag
Mit einem Zitat aus dem Grußwort Papst Franziskus‘ zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen im Vorjahr ließ die Bundeskanzlerin erkennen, dass die Bundesregierung auch die Themen Heimat und Heimatbewusstsein als gestalterischen Auftrag begreift. Franziskus hatte mitteilen lassen: „Der Sehnsucht der Menschen nach Heimat, nach Geborgenheit und Überschaubarkeit Raum zu geben, ist eine Grundaufgabe jeder Politik.“
Auch wenn Flucht und Vertreibung damals und heute sich überwiegend in der Schicksalserfahrung des Heimatverlustes vergleichen ließen, so sei Deutschland durch die Erlebnisse der Nachkriegsvertriebenen besonders geprägt worden und stehe heute vor der Herausforderung, Flüchtlinge mit ähnlichen Erfahrungen aufzunehmen. „Offenheit, die Bereitschaft zur Verständigung und die Einhaltung von Recht und Ordnung“ seien „wesentliche Voraussetzungen“ dafür, dass Menschen an anderem Orte ein neues Zuhause finden könnten. Heimat bedeute auch Zusammenleben und Zusammenhalt in einer Gemeinschaft, die sich gleichen Werten verpflichtet sieht.
Wie schwierig die Ankunft sein kann und dass niemand seine Heimat leichtfertig aufgebe, hätten die deutschen Heimatvertriebenen selbst erlebt. Gerade deswegen seien die Vertriebenen, Spätaussiedler und ihre Verbände mit ihrem Engagement heute Partner „einer Politik, die nicht abgrenzt, die nicht ausgrenzt, sondern auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein gutes Zusammenleben in Europa abzielt – und das seit Jahrzehnten auf der Grundlage ihrer Charta, einem wirklich historischen Dokument“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel abschließend und dankte den Vertriebenen und ihren Verbänden ausdrücklich für ihren Einsatz.
Lob und Dank an Partner und Unterstützer
Viele dieser Themen hatte auch BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius, der sich freute, erneut viele verdiente Unterstützer der Anliegen des Bundes der Vertriebenen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und den Verbänden unter den Anwesenden zu sehen, in seiner Begrüßungsrede zum Jahresempfang angesprochen.
Lobend ging Fabritius auf die Inhalte des Koalitionsvertrages ein, in denen sich die Interessen der vom BdV vertretenen Menschen widerspiegeln, und dankte den politischen Partnern, die die entsprechenden Formulierungen in den Verhandlungen unterstützt hatten.
Auf die „personenkreisspezifischen Benachteiligungen von Spätaussiedlern im Rentenrecht“, die zu einer lebenslaufunabhängigen Altersarmut bei Spätaussiedlern geführt hätten, legte er ein besonderes Augenmerk. In diesem Bereich könne der betreffende Passus im Koalitionsvertrag nur „ein Zwischenschritt, ein Arbeitsauftrag sein“ – mit dem Ziel, die bestehenden Benachteiligungen zu beseitigen und Härten zu vermeiden, so der BdV-Präsident.
Prominente Gäste aus aller Welt
Zu den prominenten Gästen des diesjährigen Jahresempfanges zählten in diesem Jahr außer der Bundeskanzlerin u.a. die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Prof. Monika Grütters MdB, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Alexander Dobrindt, der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Michael Brand, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Roland Jahn, der Botschafter von Rumänien in der Bundesrepublik Deutschland, Emil Hurezeanu, der Botschafter der Republik Kasachstan in der Bundesrepublik Deutschland, Bolat Nussupov, die Direktorin der „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, Dr. Gundula Bavendamm, und der Vorsitzende des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen, Bernard Gaida, sowie viele weitere Vertreter des Diplomatischen Corps und der deutschen Minderheit in Polen.
Besonders begrüßte Bernd Fabritius eine zehnköpfige Delegation des „Komitees der fünf Nordprovinzen Koreas“, die unter der Leitung des Vorsitzenden Ji Hwan Kim eigens zum Jahresempfang und zur Kontaktaufnahme mit dem Bund der Vertriebenen nach Berlin gekommen war.
Bundesausschuss tagte im Umfeld
Im Umfeld der jährlichen Festveranstaltung führte der Bund der Vertriebenen eine Klausurtagung des Bundesauschusses durch, auf der richtungsweisende „Überlegungen zu Zielen, Strukturen und Benennung unseres Verbandes angestoßen“ wurden, wie der BdV-Präsident in seiner Ansprache andeutete. Debatten dieser Art seien „von Zeit zu Zeit notwendig, zumal der BdV und seine Gliederungen auch in Zukunft als moderne Interessensvertreter der deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler wahrgenommen werden möchten“.
Gegenüber der Zeitung WELT konkretisierte Fabritius diese Überlegungen im Anschluss an die Veranstaltung noch etwas. So erklärte er, das Trauma der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg gehöre untrennbar zur Identität des Verbandes und dessen Aufarbeitung zu den zentralen Aufgaben. Es seien jedoch inzwischen „sehr viele Menschen in unserem Verband vereint, die nie vertrieben wurden“. Auch das Aufgabenfeld hätte sich erweitert: „Das, was wir abdecken, ist inzwischen viel mehr, als nur diesen historischen Moment Vertreibung zu thematisieren.“ Ein Ziel sei es daher, die bestehenden Brücken zwischen den deutschen Minderheiten in den Herkunftsregionen und den Vertriebenen und Spätaussiedlern in der Verbandsarbeit noch stärker sichtbar zu machen und weiter auszubauen.
Marc-P. Halatsch