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Rede zu Nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni 2025 in Berlin

| Presse

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius

Sperrfrist: 20. Juni 2025, 13 Uhr
 

 

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Prien,
sehr geehrte Ehrenpräsidentin des Frauenverbands im BdV, liebe Frau Dr. Werthan,
sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der Landtage,
verehrte Gäste, meine Damen und Herren,

für die Einladung, auch in diesem Jahr das Schlusswort zur heutigen Gedenkstunde sprechen zu dürfen, danke ich ganz herzlich.
Ich darf dieses als Präsident des Bundes der Vertriebenen tun – eines Verbands, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer Notwendigkeit heraus gegründet hat: weil die deutschen Landsleute, die aus ihrer Heimat vertrieben, leidgeprüft, mittellos und hoffnungslos waren, sich nach und nach organisieren wollten. Versprengt und in die Fremde verstreut suchten sie nach Strukturen, die vertraut waren und Halt boten in bitterster Not.

Es waren die Schlesier, die Pommern und die Ostbrandenburger, die Danziger, die Ost- und Westpreußen und die Deutschen aus dem Baltikum, die Sudeten- und die Karpatendeutschen, die Landsleute aus dem mittleren Donauraum und den deutsch besiedelten Gebieten der damaligen Sowjetunion. All diese geflüchteten und vertriebenen Menschen bildeten Landsmannschaften, die vielfach bis heute Bestand haben und unter dem Dach des Bundes der Vertriebenen zusammenwirken.

Die historischen Hintergründe zur Gründung von Landsmannschaften und des Bundes der Vertriebenen liegen in der Tragödie, in die der von Deutschland entfachte Zweite Weltkrieg samt seinen Nachwirkungen die ganze Welt gestürzt hat.

Sehr geehrte Frau Ministerin Prien, liebe Frau Dr. Werthan, ja: Es waren insbesondere Frauen, ihre Kinder und deren Großeltern, die Opfer der massiven Vertreibungen mit all ihren unmenschlichen und willkürlichen Begleiterscheinungen wurden. Männer waren meist noch an der Front, wenn sie die vernichtenden Kriegsjahre überhaupt überlebt hatten. Es ist gut, dass wir gerade bei diesem Gedenktag unsere Aufmerksamkeit auch auf das Schicksal der Frauen unter den Opfern richten. Gerade sie waren von besonders unmenschlicher Härte betroffen: 

Massenhafte Vergewaltigungen waren schon damals - und sind es bei einem Blick etwa in die Ukraine und den dort von russischen Soldaten durchwüteten Kriegsgebieten auch heute noch - keinesfalls Einzelfälle oder Zufallsgeschehen, sondern gezielt gesetzte Muster des Grauens. Daran wollen wir gerade auch in diesem runden Gedenkjahr besonders erinnern.
(...)

Verehrte Gäste, die fürchterlichen Verbrechen der Nationalsozialisten sind in ihrer Menschenverachtung ohne Beispiel. Trotzdem rechtfertigen sie Folgeverbrechen keinesfalls. 

Sie haben jedoch den Boden bereitet für die sich anschließenden ethnischen Säuberungen, denn nichts anderes war diese - auch aus Rache durchgeführte - größte, politisch veranlasste „Menschenverschiebung“ der Geschichte. Man spricht vom 15 Millionen vertriebenen Deutschen - und vergisst ob dieser erschlagenden Zumessungsgröße viel zu oft, dass es sich dabei um die Summe persönlich ertragener Einzelschicksale aus unseren Reihen handelt. 

Weit über 2,5 Millionen von ihnen verloren ihr Leben oder blieben bis heute vermisst. 

Das, was unseren Landsleuten im Osten gegen Ende und nach dem Krieg widerfahren ist, bleibt als Bruch ganzer Lebensbiografien bestehen. Bittere Biografien von Menschen, die entwurzelt wurden und oft nur mitnehmen konnten, was sie am Leibe trugen und in ihren Köpfen hatten. Noch immer suchen wir nach Wegen, die Traumata dieser Zeit zu verarbeiten; wissenschaftlich wie emotional, jeder für sich - oder gemeinsam, in der Öffentlichkeit. Sie wirken über Generationen hinweg.

Wir denken darüber hinaus auch an die vielen anderen Opfer von Krieg und Vertreibung, gerade die in der heutigen Zeit, vor unserer Haustüre, in Europa und weltweit.

Meine Damen und Herren, warum gedenken wir?

Weil es uns Menschen in die Wiege gelegt wurde, das, was war, bewusst in unsere Gegenwart hereinzuholen, um es mit den nötigen Lehren daraus in die Zukunft zu tragen. Wir gedenken auch, weil wir uns dem stellen, was Menschen erlitten haben. Es war ein allumfassendes Leid: ein Leid des Verlusts, der Zerstörung, der Entmenschlichung. Gedenken macht uns aber erst als Gesellschaft menschlich. Es erinnert uns – gerade in dieser Zeit ganz besonders – daran, dass unsere Freiheit, der Frieden und der Zusammenhalt nicht selbstverständlich sind. Wir gedenken, weil wir das kollektive Schicksal der Opfer von Flucht und Vertreibung im Jahr 1945 als Teil der gesamtdeutschen Erinnerungskultur angemessen berücksichtigen wollen.
 
Erlauben Sie mir zum Schluss einen Appell zu richten, an die Jugendlichen, die Jungen und die nachfolgenden Generationen! 

Wir, die Älteren, tun was wir können. Wir versuchen, die junge Generation in das Gedenken einzubeziehen. Das ist mitunter eine Herausforderung und erfordert viel Kreativität. Gedenken darf aber nicht bei uns Älteren stehenbleiben. Wir müssen uns generationenübergreifend sowohl erzählen als auch zuhören. 

Junge Menschen müssen Räume fordern dürfen, in denen sie Fragen stellen können, die wir als Jugendliche uns nicht zu stellen gewagt hätten!
Sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie wahrhaftige Antworten erhalten, frei von zeitgeistlichen Einfärbungen, fernab ideologischer Umdeutung. Junge Menschen haben vielleicht andere Wege, sich zu erinnern oder ihr Gedenken zu ordnen. Sie erschaffen neue Ausdrucksformen. Sie nutzen digitale Medien. Sie gestalten Erinnerungsprojekte auf ihre Weise. 

Das ist gut so! Wichtig ist, dass die Inhalte weitergetragen werden.

Mit Gedenkstunden wie dieser setzen wir ein Zeichen gegen die Gleichgültigkeit. Wir erinnern uns in Gedenken und wir ehren die Opfer.
Und wir übernehmen Verantwortung: Verantwortung gegen die Gleichgültigkeit, aber für das Interesse an unserer Geschichte und den Menschen, die Teil davon sind.

Ersetzen wir in unserem Sprachgebrauch das Wort „Gleichgültigkeit“ durch das Wort „Interesse“! Interesse für die Lebenden und die Toten in unseren Familien und unter unseren Vorfahren, für unsere gesamtdeutsche Geschichte – … und für die vielen jungen Menschen, die noch da sein werden, wenn wir es nur noch in deren Erinnerung sind.
 
Jeder Krieg, jede Vertreibung, jede ethnische Säuberung – gleichgültig wo, wann und mit welcher Begründung – waren und sind immer Verbrechen.
 
Ich danke Ihnen dafür, dass wir diese Gedenkstunde gemeinsam begehen konnten.

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