Rede zum Tag der Heimat am 24. August 2013 in Berlin

BdV-Präsidentin Erika Steinbach MdB

Anrede und Begrüßung!

Der Tag der Heimat ist für den BdV Gedankenaustausch, Treffen mit Freunden, ist Hoffnung und Trauer zugleich. Und er ist immer auch ein Tag der politischen Bestandsaufnahme.

Viele Gefühle, ganz unterschiedliche Gefühle berühren sich für uns an diesem jährlichen Gedenken.

Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Grußbotschaft zum heutigen Tage anrührende Worte gefunden:

„Es ist nicht selbstverständlich, dass wir uns dauerhaft in unserer vertrauten und lieb gewordenen Umgebung einrichten können. Heimat kann von einem Tag auf den anderen untergehen. Und wie groß Hilfsbereitschaft und Solidarität auch immer sein mögen: Der Schmerz über den Verlust der Heimat ist und bleibt groß und für Nichtbetroffene oft schwer nachvollziehbar.

Die Heimat zu verlieren, gehört zu den schlimmsten Ereignissen, die Menschen in ihrem Leben widerfahren können. Das millionenfache Leid und die Trauer der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen und ihrer Angehörigen wiegen umso schwerer, als sie ihre Heimat für immer verlassen mussten und ein Wiederkommen oder ein Wiederaufbau aus damaliger Sicht auf unabsehbar lange Zeit versperrt waren. Ein Verlust, der das Leben vieler von da an tief prägte und nicht selten bis heute nachwirkt.“

Weil das so ist, sind wir deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedler bis heute Mahner gegen Vertreibungen.

Die 45 Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge die aktuell weltweit heimatlos sind, haben unser ganzes Mitgefühl.

Wir wissen was es heißt, heimatlos und unwillkommen zu sein.

Darum werden wir immer unsere Stimme erheben, dass Vertreibung niemals Mittel von Politik sein darf.

Mit unserer BdV-Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN und dem von ihr vergebenen Franz-Werfel-Menschenrechtspreis erinnern wir seit dem Jahr 2000 beständig daran.

Dauerhafte Erinnerung

Für uns in Deutschland ist es unabweisbar, dauerhaft an das Schicksal der 14 Millionen deutschen Vertriebenen und 4 Millionen Aussiedler zu erinnern.

Ein großer Schritt dahin ist getan. Ich begrüße den Baugebinn des Dokumentationszentrums der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ durch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni dieses Jahres.

Die Initialzündung dazu haben wir durch unsere eigene Stiftung ZENTRUM gegen VERTREIBUNGEN gegeben. Ohne unsere Stiftung und unsere guten Argumente würde es heute die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung nicht geben.

Dank gebührt an dieser Stelle unserem verstorbenen Mitstreiter Peter Glotz, der maßgeblich daran beteiligt war, dass ein sichtbares Zeichen der Erinnerung an diesen Teil unserer Geschichte zustande kam.

Bundeskanzlerin Angela Merkel vor allem ist es zu verdanken, dass das große Vorhaben Realität wird. Schon 2005 hat sie vor ihrer Regierungsübernahme ein solches Zentrum in Berlin gefordert: “Deshalb unterstütze ich ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin, in dem die Erinnerung an jene Tragödie und die ausgestreckte Hand der Versöhnung gemeinsam sichtbar werden“.

Der Weg bis hierhin war außerordentlich schwierig und nicht ohne Verwerfungen. Die Bundeskanzlerin hat das in ihrer Rede zum Baubeginn im Deutschlandhaus sehr plastisch beschrieben als sie sagte:

„Auf dem langen Weg von der Idee bis zur Umsetzung mag manch einer, zumindest an manchen Tagen, kaum noch geglaubt haben, dass das Ziel des Baubeginns für ein Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Deutschlandhaus tatsächlich erreicht werden könnte. Der Gegenwind war stark. Hoch schlug die Welle der Emotionen. Schwerwiegend schienen manche Einwände zu sein. Doch für mich gab und gibt es keinen Zweifel, dass Erinnerung Raum braucht. Diesen Raum schaffen wir jetzt – und zwar im Sinne des Wortes.“

Damit nimmt die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ sichtbar Gestalt an. Die Katastrophe von Flucht und Vertreibung erhält damit einen dauerhaften Platz im Herzen unseres Landes.

Mit dem Deutschlandhaus als Dokumentationszentrum ist ein würdiger Ort gefunden, um Schicksal und kulturelles Erbe der Vertriebenen als Teil nationaler Identität im historischen Bewusstsein zu verankern.

Wir blicken mit Interesse und Erwartung auf die Entwicklung dieser Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Nach den schweren Geburtswehen nimmt sie langsam Gestalt an. Wenn das Werk im Deutschlandhaus gelingt, wovon ich zuversichtlich ausgehe, ist ein großer Schritt getan.

Unsere eigene Stiftung „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ ist und wird auch weiter aktiv bleiben. Die im Kronprinzenpalais im vorigen Jahr unter der Anwesenheit von Bundeskanzlerin Merkel eröffnete Trilogie „Heimatweh“ ist in ganz Deutschland landauf-landab als Wanderausstellung unterwegs. Wir wollen und wir werden damit auch Maßstab sein für die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“.

60 Jahre Bundesvertriebenengesetz

Das Bundesvertriebenengesetzt (BVFG) hat in den letzten Jahrzehnten wesentlich dazu beigetragen, dass die Erinnerung an Schicksal und Kultur der Heimatvertriebenen und Aussiedler nicht erloschen ist.

In diesem Jahr ist es 60 Jahre alt geworden. Um zu verstehen, was dieses Gesetzeswerk für Deutschland bedeutet, muss man einen Blick auf die damalige Situation in der Bundesrepublik Deutschland werfen:

Bis zum Jahre 1950 fanden acht Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge in den westlichen Besatzungszonen Aufnahme. Vier Millionen lebten in Mitteldeutschland. Das Land lag in Trümmern und war weitestgehend zerbombt. Zu den obdachlosen, verarmten und hungernden Einheimischen strömten schon ab 1944 Millionen und Abermillionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene aus ganz Mittel-, Ost- und Südosteuropa.

Ohne jede Habe, heimatlos, verzweifelt und mit der festen Hoffnung im Herzen auf Rückkehr. Die Eingliederung so vieler seelisch und teils auch körperlich verwundeter und erschöpfter Menschen schien nach 1945 schier unmöglich.

Konrad Adenauer, der erste deutsche Bundeskanzler, war sich dessen bewusst. Zu Beginn seiner Kanzlerschaft 1949 stellte er fest: „Ehe es nicht gelingt, den Treibsand der Millionen von Flüchtlingen durch ausreichenden Wohnungsbau und Schaffung entsprechender Arbeitsmöglichkeiten in festen Grund zu verwandeln, ist eine stabile innere Ordnung in Deutschland nicht gewährleistet“.

In der Aufnahme und Eingliederung dieser riesigen Menschenmasse sah er eines der drängendsten Probleme der jungen westdeutschen Demokratie.

Das Bundesvertriebenengesetz hatte und hat den Sinn, den Vertriebenen einen angemessenen Platz in der hier heimischen Gesellschaft zu gewährleisten und das Kulturerbe dauerhaft zu sichern.

Bis zu seiner Verabschiedung 1953 hat es harte Debatten und heftige Kontroversen gegeben.

Am entschiedensten stellten sich die Sozialdemokraten hinter die Anliegen der Vertriebenen und rügten den Tonfall der Debatte. Ihr Abgeordneter Reitzner hielt fest: „Das Vertriebenenschicksal ist doch das Schicksal einer Gruppe, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit und wegen des verlorenen Hitler-Krieges haftbar gemacht wurde. Blinde Zufälligkeit hat gewütet und blinde Zufälligkeit hat entwurzelt.“

Daran will ich heute die SPD gerne erinnern. Von diesem Engagement ist leider zu wenig übrig geblieben.

Was man ohne jede Übertreibung über dieses Gesetz sagen kann:

Es war eine schwere Geburt. Paragraf um Paragraf musste abgestimmt werden. Wechselnde Mehrheiten kennzeichneten die Abstimmungsergebnisse. Unruhe und heftige Auseinandersetzungen bestimmten das Klima.

Als das Gesetz nach quälenden Debatten endlich verabschiedet wurde, ahnte wohl kaum jemand, dass es eine der wesentlichen Grundlagen für einen der stabilsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Staaten der Nachkriegszeit in Europa werden würde.

Die Heimatvertriebenen waren von Anfang an eine konstruktive Kraft beim Aufbau des neuen Staatswesens wie sie es in ihrer Charta von 1950 versprochen hatten: „Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas“.

Das zeigte sich nicht nur in ihrer Bereitschaft, mit Tatkraft und Energie am materiellen Aufbruch mitzuarbeiten sondern auch daran, wie schnell sie sich politisch in die großen Volksparteien integrierten und mitgestalten wollten.

Eines der wichtigsten Regelungsgebiete war und ist in diesem Gesetz der Bereich von Kultur und Forschung. Er berührt in ganz entscheidendem Maße die Identität der Heimatvertriebenen. Ist darüber hinaus aber Teil gesamtdeutschen kulturellen Erbes.

Darin haben Bund und Länder 1953 die Verpflichtung übernommen, das kulturelle und historische Erbe der ehemaligen deutschen Ostprovinzen sowie der historischen Siedlungsgebiete in Ost-, Mittelost- und Südosteuropa zu sichern und zu bewahren. In diesen Gebieten befinden sich Zeugnisse deutscher Kultur von unschätzbarem Wert. Sie müssen für kommende Generationen im In- und Ausland erhalten werden.

Dieser gesetzliche Auftrag beruht auf  der Erkenntnis, dass es ein einheitliches, gemeinsames kulturelles Fundament gibt und verdeutlicht, dass das Kulturgut der Vertriebenen eine gesamtdeutsche Aufgabe ist - ein unverzichtbarer Teil der Identität des ganzen deutschen Volkes.

Bund und Länder der jungen Bundesrepublik Deutschland haben bewusst schon1953 mit diesem Gesetz die Verantwortung für das gesamte kulturelle Erbe unabhängig von Grenzen und von staatlicher Zugehörigkeit übernommen.

Nach der föderalen Tradition der Bundesrepublik, liegt die Kulturhoheit zwar bei den Ländern. Das Bundesvertriebenengesetz räumt hier jedoch dem Bund ein kulturelles Gestaltungsrecht ein.

Natürlich dürfen auch die Bundesländer nicht aus ihrer  bis heute geltenden Verantwortung entlassen werden.

Verantwortung der Bundesländer

Es ist erfreulich, dass die neue Landesregierung in Niedersachsen ebenso wie ihre Vorgängerregierung ein gutes Verhältnis zum BdV pflegt und sich ihrer Verantwortung bewusst ist.

Unverantwortlich ist hingegen das Verhalten der Grün-Roten Landesregierung in Baden-Württemberg. Die von Ministerpräsident Kretschmann geführte Landesregierung hat entschieden, dass der BdV künftig statt mit zwei Sitzen nur noch mit einem halben Sitz von den 51 Plätzen die Baden-Württemberg im Rundfunkrat des SWR zustehen, vertreten sein wird.

Baden-Württemberg hat nach dem Krieg bis heute mehr als zwei Millionen Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler aufgenommen. Sie und ihre Nachkommen haben das Land maßgeblich geprägt und prägen es noch immer. Ohne sie sähe das Land anders aus. Ohne die Heimatvertriebenen wäre der Zusammenschluss zum Bundesland Baden-Württemberg gar nicht zustande gekommen. Sie haben damals bei der Abstimmung den Ausschlag gegeben. Sie sind nach wie vor ein aktiver und maßgeblicher Teil der baden-württembergischen Bevölkerung. Damit stellt sich der Baden-Württembergische Ministerpräsident gegen seine eigenen Worte.

In seinem Grußwort zum Tag der Heimat 2012 schrieb er:

„Bis heute prägen die verschiedenen Vertriebenengruppen mit ihren Traditionen und Brauchtümern unser gesellschaftliches und kulturelles Leben. Sie geben den Menschen in Baden-Württemberg dadurch Halt und Orientierung.“

 

Gedenktag für die deutschen Heimatvertriebenen

Erfreulich ist das Engagement der Bundesländer Hessen und Bayern was den von uns geforderten Gedenktag für die Vertriebenen anbelangt. Beide Länder haben jeweils für sich beschlossen, ab 2014 immer den 2. Sonntag im September zu ihrem Landesgedenktag zu machen.

Auch auf Bundesebene ist die Tür für einen bundesweiten Nationalen Gedenktag für die deutschen Heimatvertriebenen nicht zugeschlagen.

Im Rahmen der Bundestagsdebatte zum Bundesvertriebenengesetzt am 13. Juni dieses Jahres war Kernpunkt im Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP ein „Tag des Gedenkens an das Schicksal der Heimatvertriebenen.“

Ins Auge gefasst ist darin der UN-Weltflüchtlingstag jeweils am 20. Juni eines jeden Jahres, den man zum Vertriebenentag erweitert sehen möchte.

Ein eigenständiger Gedenktag für die deutschen Vertriebenen hier im Lande an diesem Datum würde plastisch deutlich machen, dass die Vertreibung und Deportation der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges genauso menschenrechtswidrig war, wie alle anderen Vertreibungen auch.

Ein nationaler Vertriebenengedenktag an diesem Datum würde deutlich machen, dass diese größte Massenvertreibung einer Volksgruppe eben keine gerechte Strafe für die nationalsozialistische Terrorherrschaft war, sondern, dass auch diese Vertreibung ein gigantisches Unrecht gewesen ist und bereits damals völkerrechtswidrig war.

Es muss aber inhaltlich ein eigenständiger Gedenktag sein, der nicht im Allgemeinen verschwimmt.

Ich begrüße, dass CDU und CSU in ihrem gemeinsamen Regierungsprogramm einen solchen Gedenktag vorgesehen haben.

Im Dialog mit unseren europäischen Nachbarn

Was einen Gedenktag für die vertriebenen Deutschen angeht, ist uns Ungarn inzwischen deutlich voraus und das ohne jeglichen Druck von außen. Dafür bedanke ich mich von Herzen.

Ungarn hat als erstes Land einen regelmäßigen Gedenktag eingerichtet. Als Datum wurde der 19. Januar gewählt, der Jahrestag des Beginns der Vertreibung der Ungarndeutschen im Jahr 1946. Der Beschluss dazu erfolgte im ungarischen Parlament über alle Parteigrenzen hinweg einstimmig.

Ungarn hat schon früh mit der Aufarbeitung seines Verhältnisses zu den Ungarndeutschen  begonnen. Bereits 1990 hatte das Land eine demonstrative Absage an jeden Kollektivschuldgedanken gegeben und 1992 die vertriebenen Ungarndeutschen und deren Abkömmlinge in seine Restitutionsgesetzgebung einbezogen.

Es folgte 1995 eine Entschuldigung für die Vertreibung, 2006 die Errichtung einer Landesgedenkstätte und eines Denkmals in Budapest. 2007 gab es im ungarischen Parlament eine Gedenkkonferenz zur Vertreibung der Deutschen. Einer der Redner war György Konrád. Nicht ohne Grund will ich an diesem Tag nachdrücklich feststellen: Ungarn gehört zu den Länder der EU, die eine vorbildliche Minderheitenpolitik machen. Nicht nur für die Ungarndeutschen, sondern auch für ihre Roma-Volksgruppe.

Auch in den meisten unserer Nachbarländer gibt es positive Entwicklungen für die deutschen Volksgruppen.

Sowohl Rumänien als auch Serbien haben die aus ihren Ländern stammenden Vertriebenen bzw. Deportierten in ihre Entschädigungsgesetze aufgenommen.

Die Siebenbürger Sachsen und auch die Donauschwaben waren im Vorfeld der Entscheidungen beständige und akzeptierte Gesprächspartner der dortigen Regierungen.

Serbien hat inzwischen die Ermordeten in den sogenannten „geheimen Gräbern“ des Vernichtungslagers Jarek und in der Vojvodina namentlich erfasst und ins Internet gestellt.

Einen großen Schritt zu einer guten gemeinsamen Zukunft ist auch im Februar der seinerzeitige tschechische Premierminister Petr Necas gegangen.

Es waren anteilnehmende Worte, die der tschechische Ministerpräsident Petr Necas in München an die Sudetendeutschen gerichtet hat. Dass er die Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat und das damit verbundene Leid und Unrecht ausdrücklich bedauert, zeugt von großem staatsmännischem Mut.

Es war wohltuend, dass Ministerpräsident Necas die Sudetendeutschen als „unsere deutschen Landsleute“ angesprochen hat, deren Vertreibung für die Tschechoslowakei ein Verlust ist.

Ministerpräsident Horst Seehofer hat mit Recht deutlich gemacht, dass diese Rede ein Riesenschritt voran bedeutet. Es ist seiner Initiative zu verdanken, dass Bewegung in die Beziehungen unserer Völker gekommen ist. Sein Besuch in Prag, zu dem er Vertreter der Sudetendeutschen mitgenommen hatte, war ein entscheidender Schritt. Ohne seine Hartnäckigkeit wäre es wohl nicht zu dieser historischen Annäherung gekommen.

Die gemeinsamen Aufgaben in Europa erfordern ein Überwinden der Vorurteile und ein Ende des von der Vergangenheit belasteten Verhältnisses. Es ist insofern auch zutreffend, wenn Ministerpräsident Necas von einer Schicksalsgemeinschaft gesprochen hat, der wir uns gegenseitig verpflichtet fühlen.

Inwieweit die Regierung in Tschechien diesen Weg weitergehen wird, bleibt jetzt abzuwarten.

Es gibt also viel Hoffnungsvolles in Europa.

Weniger erfreulich ist der Staatenbericht des Europarates bezüglich der Anwendung der „Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ in der Republik Polen und speziell zur Förderung der deutschen Minderheit.

Der Sachverständigenausschuss schildert darin sorgfältig und umfassend die Lage und den Stellenwert des Deutschen als Unterrichts- und Minderheitensprache für die deutsche Volksgruppe in Polen auf der Basis der von Polen eingegangenen Verpflichtungen.

Leider wird deutlich, dass neben einigen erfüllten Verpflichtungen nach wie vor zahlreiche gravierende Defizite in Polen vorhanden sind, so dass zu hoffen bleibt, dass die unterbreiteten Verbesserungsvorschläge jetzt auch umgesetzt werden.

Dabei ist es auch Aufgabe der deutschen Bundesregierung, auf die Erfüllung der polnischen Verpflichtungen hinzuwirken.

Die Muttersprache ist für die deutsche Volkgruppe in Polen wesentlicher Bestandteil ihrer Identität und Kultur. Über Jahrzehnte hinweg war sie ihr strikt verboten. Es besteht dringend Nachholbedarf. Sie muss auf breiter Ebene gefördert werden.

Es kann und darf nicht bei der jetzigen Praxis bleiben.

Polen ist verpflichtet, die deutlichen Aufforderungen des Europarates umzusetzen.

Die Feststellungen des Sachverständigenausschusses müssen aber auch Eingang in die Gespräche zwischen Deutschland und Polen finden. Hier ist die Bundesregierung gefordert, mehr als bisher zu tun.

Der deutschen Volksgruppe kommt für die deutsch-polnischen Beziehungen eine wichtige Brückenfunktion zu. Diese wird sie umso besser erfüllen können, wenn sie in Polen ausreichend gefördert, sowie als selbständiges und bereicherndes Element wahrgenommen wird.

Trotzdem: Ich stelle mit Freude fest, dass sich nur noch eine absolute Minderheit von Ländern ihrer historischen Verantwortung für die Vertreibung der Deutschen entzieht. Es gibt von offizieller staatlicher Seite der meisten betroffenen Länder inzwischen Zeichen des Mitgefühls und der Zuwendung. Und es gibt intensive Beziehungen zwischen Regierungen und unseren Landsmannschaften. Das ist eine gute Entwicklung.

Solidarität mit den Deutschen aus Russland

Ein besonderes Schicksal haben die Deutschen aus Russland zu tragen.

Wenige in Deutschland wissen, welchen Drangsalierungen die Deutschen in der Sowjetunion jahrzehntelang ausgesetzt waren. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 wurden sie wegen ihres Deutschtums in Kollektivhaftung genommen und aus dem europäischen Teil der UdSSR nach Sibirien und Mittelasien verbannt. Sie mussten jahrelang Zwangsarbeit leisten, der Gebrauch der deutschen Sprache sowie die Rückkehr an ihre früheren Wohnorte waren verboten. All dies wirkt in den Familien als Kriegsfolgenschicksal nach. Sie bedürfen nach wie vor unserer Solidarität.

Die Zuzugszahlen sind seit Jahren rückläufig und seit Jahren fordern wir eine Regelung zur Familienzusammenführung, die dem Schicksal der Deutschen aus Russland gerecht wird.

Deshalb ist es gut, dass der Deutsche Bundestag kürzlich eine Regelung beschlossen hat, die getrennten Familien von Spätaussiedlern eine Chance auf ein gemeinsames Leben in Deutschland ermöglicht. Das darf jetzt nicht zerredet oder durch restriktives Verwaltungshandeln ausgehebelt werden. Die Neuregelung ist menschlich angemessen und gesellschaftlich sinnvoll.

Panikmache aufgrund der Neuregelung ist weder berechtigt noch angebracht sondern unverantwortlich. Die Deutschen aus Russland sind eine Bereicherung für unser Land. Und sie haben unser aller Solidarität nach Jahrzehnten schwerster Drangsal verdient.

Unser kulturelles Erbe

Unser diesjähriges Leitwort lautet: „Unser Kulturerbe, Reichtum und Auftrag“.

Deutschland ist mit einem reichhaltigen Kulturerbe gesegnet.

Das kulturelle Erbe der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler ist integraler Bestandteil des nationalen Kulturerbes aller Deutschen. Unser Leitwort ist mit seiner Weisung gleichzeitig auch ein Programm für die Zukunft.

Gelingen kann es in seiner ganzen Fülle nur im Zusammenwirken mit unseren östlichen Nachbarn.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrem Grußwort zum diesjährigen Tag der Heimat deutlich gemacht:

„Erinnerung heißt Bewahrung - und Bewahrung hat etwas mit Wahrheit zu tun. Es ist ein ureigenes menschliches Bedürfnis, sich ein möglichst vollständiges, ein ungeschöntes und wahres Bild eigener geschichtlicher Wurzeln zu machen. So vergewis­sern wir uns unserer Identität. Nur wer sich der Vergangenheit bewusst ist, kann auch Lehren aus ihr ziehen. Daher ist uns Erinnerung immer auch Mahnung. …

… Zur Erinnerung gehört auch das Wissen um die jahrhundertelange Siedlungsgeschichte Deutscher in Osteuropa, die Teil unserer deutschen Kulturgeschichte ist. Vertriebene haben viele ihrer althergebrachten Traditionen bewahrt. Zudem finden sich auch heute noch zahlreiche Spuren der Deutschen in unseren östlichen Nach­barländern. Dieses reiche Kulturerbe lebendig zu halten, hat sich die Bundesregie­rung ebenso zur Aufgabe gemacht, wie der Bund der Vertriebenen.

Kulturelle Zusammenarbeit ist Verständigungs- und Versöhnungsarbeit. Sie bringt Menschen und Nationen unseres Kontinents einander näher. Aus ihr erwachsen Respekt voreinander und ein Bewusstsein der Verantwortung füreinander.“

Das BVFG hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Erinnerung an Schicksal und Kultur der Heimatvertriebenen nicht erloschen ist. Dieses Gesetz hat auch geholfen das kulturelle Erbe aus dem Osten zu behüten.

Zukunft braucht Erinnerung

Gesetze allein vermögen aber nicht, Bewusstsein zu schaffen. Dazu bedarf es der Menschen.

Das Trauma von Flucht und Vertreibung ist noch nicht überwunden. Es wirkt nach. Auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen.

Auf der einen Seite stehen die Opfer, die Erlebnisgeneration – auf der anderen Seite die Nachgeborenen und jene, die als Zeitgenossen das bittere Schicksal von Flucht und Vertreibung nicht teilen mussten.

Das Wissen um die historischen Fakten und die Opferzahlen reicht dabei alleine nicht. Es geht auch darum, Verständnis für das menschliche Schicksal des Einzelnen zu wecken und das gesamte kulturelle Vermächtnis zu bewahren.