Rede zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 18. August 2007 in Berlin

BdV-Präsidentin Erika Steinbach MdB

Es gilt das gesprochene Wort!

Elementare Fragen nach Woher und Wohin

Jahr für Jahr treffen sich deutsche Vertriebene zum Tag der Heimat. Seit 1950. Es gibt diesen Erinnerungstag schon viele Jahre, bevor der BdV überhaupt gegründet war. Gewaltsamer Heimatverlust, Flucht und Vertreibung, diese archaischen Erfahrungen wirken nach bis heute.

Gustav Seibt resümierte in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung: „Inzwischen ist genügend Zeit verstrichen und genügend geschehen, um auch die deutschen Leiden als Teil einer Katastrophe der Humanität anzuerkennen... . Brand und Flucht gehen der Nachkriegsgesellschaft voraus und haben sie in ihrem Kern bestimmt. Alle anderen Traditionen mussten vor diesen Grunderfahrungen zurücktreten. Die oft beobachtete Geschichtslosigkeit Deutschlands nach 1945 dürfte hier mindestens ebenso ihre Ursache haben wie in verdrängter Schuld und der Einebnung sozialer Unterschiede ... . Wer immer nur „Aufrechnung“ fürchtet und selbst elementare Tatsachen nur politisch-ideologisch betrachten will, verkennt die Macht von Erfahrungen und Erinnerungen, die auf jeden Fall wirksam bleiben. Das Gefühl für die Heimat stand, jedenfalls in den Dichtungen der Menschheit, neben der Erinnerung an Flucht und Entwurzelung.“ Und er schließt seinen Beitrag mit der Frage: „Warum sollte das ausgerechnet heute anders sein?“

Ja, warum sollte das ausgerechnet heute anders sein? Nein, es ist nicht anders! Deshalb gibt es den Tag der Heimat seit 57 Jahren. Deshalb treffen wir uns Jahr um Jahr.

Gerade in heutiger Zeit mit neuer Unübersichtlichkeit und der Globalisierung gibt es weit verbreitet eine verstärkte Rückbesinnung auch Nichtvertriebener auf Herkunft und Heimat. Die Menschen stellen wieder elementare Fragen nach dem Woher und Wohin. Dazu bedarf es der konkreten Selbstvergewisserung in Raum und Zeit. Heimat ist dabei eine zentrale Kategorie. Für uns, die Vertriebenen, ist sie Nukleus der Gefühlswelt.

Die unzähligen Schicksale, der unterschwellig fließende Strom von Heimweh und vielfältigen Leidenserlebnissen, die vieltausendfachen nächtlichen Albträume, in denen Kindheitsschrecknisse, Blut und Tränen, Vergewaltigung und der gewaltsame Heimatverlust Nacht für Nacht auftauchen, sie haben Wirkungsmacht bis zum heutigen Tage.

Erinnerungen miteinander, nicht gegeneinander

Heinz Schön, ein Überlebender des Untergangs der „Wilhelm Gustloff“, verfolgen bis heute die Bilder von hunderten von Kinderbeinchen, die aus der eisigen Ostsee gen Himmel ragten, weil die Schwimmwesten die schwereren Köpfchen der Kinder unter Wasser gedrückt hatten. So wie ihm geht es Millionen.  „Diese Zeit werde ich, egal wie alt ich werde, niemals vergessen.“ schrieb eine Zeitzeugin, die als Zehnjährige den „Brünner Todesmarsch“ bei der Vertreibung aus der Tschechoslowakei überlebte, an die BILD-Zeitung, die dankenswerterweise, wie viele andere Medien auch, Zeitzeugenerinnerungen veröffentlichte.

Die deutschen Vertriebenen haben aus eigener Kraft diesen breiten Strom der Erinnerungen früh kanalisiert. Mit der Charta von Stuttgart haben sie im  August 1950 deutlich gemacht, dass Rache und Gewalt für sie keine Wege in die Zukunft sind und sie haben früh erkannt, dass dauerhafter Frieden nur in einem geeinten Europa, in dem die Völker miteinander und nicht gegeneinander wirken, zu finden sein wird.

Dafür bin ich den Männern und Frauen, die damals als Vertriebene darum gerungen haben, zutiefst dankbar. Es war ein Ringen, es war nichts Selbstverständliches. Es gab auch andere Stimmen. Unser Land und auch Europa sähe anders aus, wenn es diese Selbstüberwindung, denn eine solche war die Charta der deutschen Heimatvertriebenen, nicht gegeben hätte.

Heimat der Vertriebenen

Hier in diesem Saale haben sich heute Menschen zusammengefunden, die ihre Heimat in unterschiedlichen Gebieten Mittel-, Ost- und Südosteuropas hatten. Sie kommen aus Estland, Lettland, Litauen, aus Bessarabien und dem Buchenland, aus dem Banat, aus Siebenbürgen, den Karpaten und dem Sathmar, es sind Dobrudscha- und Bulgariendeutsche unter ihnen, sie hatten ihre Heimat in Ostbrandenburg, in Schlesien, in Pommern oder Ostpreußen, in Danzig, in Westpreußen oder im Weichsel-Warthe-Gebiet in Polen, sie kommen aus Ungarn und dem donauschwäbischen Gebiet des früheren Jugoslawien und sie kommen als Russlanddeutsche bis zum heutigen Tage aus den Deportationsgebieten, in die sie durch Stalin verfrachtet wurden. Ihre Heimat aber lag überwiegend an der Wolga, im Schwarzmeergebiet und im Kaukasus.

Gedenkminute

Heute gedenken wir miteinander unserer Heimat. Ich bitte Sie, sich zu erheben.

Wir denken an die Heimat, an die Heimat der Eltern und Großeltern. Wir werden sie in unseren Herzen bewahren und ihr Erbe weitertragen. Wir gedenken der Kinder, Frauen und Männer, die auf der Flucht ihr Leben lassen mussten, weil die Straßen verstopft und verschneit waren und die Panzer sie überrollten. Wir gedenken derer, die das Eis nicht  hielt, das über dem Haff und den Flüssen gefror und von Waffen gesprengt wurde. Wir gedenken derer, über denen die Wellen zusammenschlugen und die in den eisigen Fluten versanken, als sie auf Schiffen der todbringenden Front entfliehen wollten.

Wir gedenken der Kinder, Frauen und Männer, die verschleppt wurden und seither verschollen sind, die an irgendeiner Landstraße liegen blieben und erschossen wurden oder die am Rande einer Bahntrasse in den Weiten Sibiriens unter einer Schneedecke unbestattet liegen blieben. Wir gedenken aller, die in Todeslagern ihr Leben lassen mussten oder durch Massaker umgebracht wurden, weil sie Deutsche waren.

Wir gedenken aller, die bis viele Jahre nach Kriegsende in Viehwaggons oder in Todesmärschen aus der Heimat getrieben wurden. Wir gedenken in Dankbarkeit der Männer und Frauen anderer Völker, die ungeachtet eigener Gefahr in bitterster Not Hilfe geleistet haben.

Wir nehmen heute Anteil am Schicksal aller Menschen anderer Völker, die vertrieben wurden oder in diesen Tagen vertrieben werden. Wir fühlen mit ihnen.

Die Toten haben ihren Frieden gefunden. Sie mahnen uns, für Frieden und Toleranz einzutreten. Wir werden die Heimat und alle, die bei Flucht, Vertreibung und Deportation ihr Leben lassen mussten, nicht vergessen. Sie haben einen Platz in unserem Herzen.

Erinnerung im historischen Kontext

Unserem Schicksal ging Grauenhaftes voraus. Hitler hat die Büchse der Pandora geöffnet. Das wissen wir deutschen Vertriebenen elementarer als andere, da wir in eine schreckliche Kollektivhaftung dafür genommen wurden.

Aber allzu oft wurde die Tatsache der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft über Europa als Stopschild missbraucht um einer gesamthistorischen Debatte aus dem Wege zu gehen oder gar die Massenvertreibungen zu rechtfertigen und Mitgefühl zu unterbinden. Ein kardinaler Fehler. Schon Willy Brandt, der Mann, der Türen in Richtung Polen aufgestoßen hat, machte 1966 deutlich: „Niemand wird nachträglich seine Zustimmung zum bitteren Unrecht der Vertreibungen geben oder uns abverlangen können.“

Alle Bundesregierungen vor ihm und nach ihm haben den Unrechtscharakter immer wieder betont und deutlich gemacht, dass Menschenrechte unteilbar sind – dass sie natürlich auch für Deutsche zu gelten haben. Damals wie heute.

Ja, Hitler hat die Büchse der Pandora geöffnet. Aber Münchner, Hamburger oder Berliner wurden nicht vertrieben, selbst wenn sie Hitler gewählt hatten, selbst, wenn sie Mitglied der SS oder der SA waren.

Die Vertreibungen fanden ausschließlich in den Staaten statt, die jenseits des sich herausbildenden Eisernen Vorhangs lagen. Und vertrieben wurden dort selbst Verfolgte des Nationalsozialismus wie Wenzel Jaksch, Herbert Hupka oder Hans Lukaschek. Stalin war der  Schirmherr des Grauens. Die Initiativen dazu aber waren originäre Entscheidungen der vertreibenden Staaten. Für die Vertreibung der Sudetendeutschen hat Edvard Beneš die Tschechoslowakei an Stalin verkauft.

Unter dem Maßstab von Rache und Aufrechnung, mit der Begründung der Gewaltherrschaft Hitlers, hätten Belgien, Dänemark oder Frankreich nicht mehr oder weniger Grund gehabt, ihre Deutschen, die es dort auch gab, zu vertreiben wie Beneš. Dort geschah es eben nicht.

Schicksal der Vertriebenen geht alle an

Das gesellschaftspolitische Klima hat sich in den letzten Jahren geöffnet. Es gibt heute deutlich mehr Verständnis für dieses deutsche Schicksalsthema als noch vor wenigen Jahren. Es ist erleichternd für viele Betroffene, dass das Thema Vertreibung der Deutschen eine Intensität im öffentlichen Bewusstsein erlangt hat wie seit Jahrzehnten nicht.

Fast verschwunden aus der Berichterstattung sind inzwischen auch gnadenlose Mitleidlosigkeit oder - was noch schlimmer war - Häme oder solche Thesen wie die von der „gerechten Strafe.“ Es gibt mentale Zuwendung, es gibt Mitgefühl und es gibt - gerade in der jüngeren Generation - Neugier und Engagement für diesen einschneidenden Teil deutscher Geschichte.

Wer aber glaubt, die Vertreibung der Deutschen in der Mitte des 20. Jahrhunderts sei allein eine Sache der davon persönlich Betroffenen, der irrt fundamental und der ignoriert zweierlei:

  1. Er übersieht, dass allein die geographische Lage des Wohnortes entschied, wer vertrieben wurde und eben nicht die Kategorien persönlicher Schuld oder Unschuld.
  2. Er übersieht zudem, dass mit der Vertreibung ein kultureller Umbruch bislang ungeahnter Dimension eintrat, der den Kern unserer deutschen Kultur dauerhaft tief berührt. Historische deutsche Kulturlandschaften wurden nahezu völlig ausgelöscht. Vieles an kulturellen Traditionen ist verschwunden oder überlebt nur museal.  Anderes bleibt Kernbestand unserer Kultur, ist aber seinem historischen Entstehungsort entrissen. Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ ist untrennbar mit Königsberg, das der Philosoph  Zeit seines Lebens niemals verlassen hat, ebenso verhaftet wie Gerhart Hauptmanns „Weber“ mit Schlesien. Die Orte haben sich dramatisch verändert, sind in ihrer gewachsenen Kultur erloschen. Die Werke und ihre Schöpfer aber bleiben unverzichtbar für uns Deutsche.

Darum geht es alle in Deutschland an, denn es ist ein Teil unserer gesamtdeutschen Identität und unseres kulturellen Erbes, das uns prägt. Ein Volk ohne Erinnerung ist wie eine Pflanze ohne Wurzeln.

ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN

Eines wird deutlich, wenn man zurückschaut: Initialzündung für das neue gewaltige Interesse war auch der Entschluss des BdV im Jahr 2000, die Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN zu errichten. Es lässt sich bei der Auswertung der Medienberichterstattung deutlich verfolgen, dass seit diesem Zeitpunkt ein lebhaftes Interesse für unser Schicksal erwacht ist, nicht erst mit Günter Grass’s Novelle „Im Krebsgang“. Die erschien erst, als das Thema Vertreibung vom falschen Ruch des Revanchismus längst befreit war.

Dazu beigetragen hat unsere ausgezeichnete Stiftungskonzeption mit ihrem europäischen Ansatz. Dazu beigetragen haben renommierte Persönlichkeiten, die sich an die Seite unserer Stiftung gestellt haben, wie Peter Glotz, wie György Konrád, wie Imre Kertész oder Ralph Giordano, Peter Scholl-Latour, Julius Schoeps, Rabbiner Walter Homolka, Rüdiger Safranski, Christian Thielemann und Arnulf Baring um nur einige Namen zu nennen. Dazu beigetragen haben mehr als 400 deutsche Städte und Gemeinden, die innerhalb kürzester Zeit Pate unserer Stiftung geworden sind. Ich begrüße sehr, dass der Hessische Ministerpräsident, Sie, lieber Herr Koch, verkündet hat, dass das Land Hessen auch Pate unserer Stiftung werden wird. Hessen ist damit das erste Bundesland. Und es sieht so aus, als ob weitere Bundesländer folgen wollen. Dazu beigetragen hat aber auch eine kontroverse Debatte über unsere Stiftung und ihre Ziele.

Insofern gilt heute mein Dank  nicht nur allen Unterstützern, sondern auch den ausgewiesenen Gegnern. Ohne ihren hinhaltenden Widerstand wäre das lebhafte Interesse vielleicht nicht in dem Maße erwacht.

Die Ausstellung „Erzwungene Wege“ im Berliner Kronprinzenpalais hat innerhalb von nur acht Wochen Dauer rund 60.000 Besucher angezogen. 130 Schulklassen haben die Ausstellung besucht. Sie war ein voller Erfolg! Jetzt haben wir mit Hilfe der Bundesregierung eine Wanderausstellung daraus konzipieren lassen. Erste Station war die Frankfurter Paulskirche. Nächste Station ist ab November München. Weitere Anfragen liegen vor. Auch aus dem Ausland.

Gedenkort in Berlin nur mit den Betroffenen

Und eines ist gewiss: Ohne unsere Stiftung hätte die Bundesregierung mit Sicherheit keine Koalitionsvereinbarung geschlossen, in der sie sich verpflichtet hat, ein „sichtbares Zeichen zu Flucht und Vertreibung in Berlin“ zu errichten. Wir waren und sind die treibende Kraft.

Dabei ist es eine längst überfällige Aufgabe Deutschlands, endlich eine Dokumentationsstätte in Berlin zu errichten, in der das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedler und ihre Siedlungs-, Kultur- und Sozialgeschichte deutlich werden. Von diesem Schicksal ist nahezu jede vierte Familie in Deutschland betroffen.

Eines ist unabdingbar für das geplante „sichtbare Zeichen“. Über die Köpfe der Betroffenen hinweg kann und darf eine solche Einrichtung nicht entwickelt werden. Und das wird auch nicht geschehen.

Im BdV spiegeln sich zahllose menschliche Schicksale aber insbesondere auch Siedlungs- und Kulturgeschichte Mittel- und Osteuropas lebendig wider. Dieses Wissen ist ein Schatz und bei der Umsetzung unverzichtbar.

Die Bundeskanzlerin hat mir gegenüber sehr deutlich gemacht, dass es nicht sein darf, bei diesen Planungen die Vertriebenen wie Angehörige zu behandeln, derer man sich schämt. Die Bundeskanzlerin und ich sind uns darin einig, dass sowohl der Bund der Vertriebenen als auch die Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN angemessen sowohl in die Planungen sowie in die spätere Arbeit der Einrichtung eingebunden werden.

Wenn dieses Projekt gelingt - und ich bin sehr zuversichtlich, dass es gelingt - dann werden die deutschen Heimatvertriebenen sich hier endgültig angekommen und angenommen fühlen können. Und für die Erlebnisgeneration wird es am Ende ihres Lebens ein tröstliches Gefühl sein, dass ihr Schicksal nicht vergessen ist, sondern einen festen Ort im kollektiven Gedächtnis unseres Vaterlandes gefunden hat.

Gemeinsame europäische Aufgabe

Die Völker Europas leben bewusst oder unbewusst auf dem Fundament des christlichen Abendlandes. In Baukunst, Musik, Dichtung, Wissenschaft und Forschung gab es über die Jahrhunderte hinweg ein beständiges zumeist friedliches Geben und Nehmen. Dieser Austausch war und ist bereichernd und fruchtbar.

Dies vor Augen und in diesem positiven Bewusstsein dürfen wir aber auch nicht ausblenden, was es an Menschenunwürdigem, an Unchristlichem in unserer gemeinsamen Vergangenheit gegeben hat.

Wir müssen uns unserer europäischen Vergangenheit in all ihren Facetten gemeinsam stellen und in voller Kenntnis und Versöhnungsbereitschaft unsere europäische Zukunft daraus gestalten. Ich begrüße es sehr, dass Sie, Herr Präsident Pöttering, die Achtung der Menschenwürde als zentralen europäischen Wert in den Mittelpunkt ihrer Präsidentschaft gehoben haben. Und ich hoffe sehr, dass diese Botschaft dazu beiträgt, Menschenrechtsdefizite auch in Bezug auf unsere Vertreibung, die in einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union durchaus immer noch vorhanden sind, abzubauen. Wer Menschenrechte nur als wohlfeile Vokabel ausschließlich in Sonntagsreden verwendet und nicht wenigstens versucht, ihnen auch zur Verwirklichung zu verhelfen, der vergeht sich an den Menschenrechten.

Ich glaube an ein versöhntes Europa, in dem die Völker ohne Zwang und Furcht voreinander leben können. Und unser Verband mit seinen Millionen Heimatvertriebenen trägt dazu bei. Tagtäglich.

Guter Wille ist vielfach erkennbar

Vieltausendfache Kontakte in die alte Heimat haben Vertrauen, Partnerschaften, sogar Freundschaften wachsen lassen. Durch die Europäische Union sind die Völker und Staaten enger miteinander verbunden als jemals zuvor. Seitens vieler europäischer Regierungen gibt es Gesten des Mitgefühls, der Anteilnahme und der Erkenntnis.

Es gibt heute Hunderte kleiner und großer Gedenkorte, durch die an deutsche Schicksale erinnert wird. Ob in Rudolfsgnad bei Belgrad oder Wudersch in der Nähe von Budapest, ob in Wekelsdorf in der Tschechischen Republik oder auch in vielen Orten Polens oder Kroatiens. Das alles sind Zeichen der Hoffnung. Viele Signale des Verständnisses und auch des Mitgefühls sind inzwischen in unseren Nachbarländern zu finden.

Es ist wunderbar, dass im November das ungarische Parlament eine Gedenkdebatte zur Vertreibung ihrer Deutschen halten wird, wie mir die ungarische Parlamentspräsidentin Dr. Katalin Szili berichtete. Über ihre persönliche Einladung, daran teilzunehmen, habe ich mich sehr gefreut.

Die Brücken zwischen unseren europäischen Völkern werden umso tragfähiger sein, je offener wir den Dialog führen. Wir brauchen das Miteinander und wollen das Gegeneinander der Völker überwinden. Dazu muss es gemeinsames Anliegen sein, den Schutt der Geschichte beiseite zu räumen und aus ihren Trümmern Neues zu bauen. Aber kennen muss man die Geschichte und jeder hat auch zu den je eigenen Schattenseiten zu stehen.

Ich bin bei allen Defiziten, die es immer noch gibt, von einem zutiefst überzeugt: Die Menschen unseres Kontinents verbindet unendlich mehr als sie voneinander trennt. Das wird bei vielen Begegnungen immer wieder deutlich. Und davon bin ich vorgeprägt. Als Geigerin im Sinfonieorchester meines Mannes habe ich jahrelang erlebt, dass Deutsche und Ungarn, Polen, Tschechen und Engländer, Spanier und Franzosen gemeinsam die großen musikalischen Werke von Beethoven über Brahms, Dvořak, Smetana, Chopin oder Bruckner zum Erklingen gebracht haben. So wünsche ich mir Europa.

Zum 10. Male darf ich heute als Präsidentin des BdV den Tag der Heimat eröffnen. Dieses Amt hat mich sehr gefordert und es hat Kräfte in mir geweckt, von denen ich keine Ahnung hatte. Keinen Tag dieser Jahre möchte ich missen. Ich danke allen, die mich dabei liebevoll, engagiert, aber auch mit konstruktiver Kritik begleitet haben.