Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede und Begrüßung!
„Wahrheit und Dialog – Schlüssel zur Verständigung“. Eine schlichte, aber nur scheinbar selbstverständliche Botschaft für diesen Tag der Heimat. Denn: Oft genug ist die reine Wahrheit eine nicht leicht zu bewältigende Last, der man sich als Zumutung versperrt, verweigert.
Das gilt von Mensch zu Mensch, aber deutlich erkennbar genauso zwischen Staaten und Völkern.
Die wunderbare sudetendeutsche Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach hat sehr treffend festgestellt: „Wir alle suchen die Wahrheit, finden wollen wir sie aber dort, wo sie uns beliebt.“ Wenn es um die deutsche und europäische Geschichte und die Verwerfungen im 20. Jahrhundert geht, ist die Wahrheit eine kaum zu tragende, ja kaum zu ertragende Bürde. Und sie ist vielschichtiger, tiefergreifend als die meisten wahrhaben wollen.
Um ihr auszuweichen werden zu häufig Wahrheitsfragmente benutzt.
Das Gedenken an den 50. Jahrestag des Mauerbaus war wieder ein plastisches Beispiel dafür. Für die Linksparteichefin Gesine Lötsch war offenkundig die innerdeutsche Gefängnisgrenze das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und Folge des Krieges mit der Sowjetunion 1941.
Der Journalist Daniel Deckers hat zu dieser Art der Verantwortungsdeformierung sehr Treffendes festgestellt als er schrieb: „Jedes Datum hat mehrere Wahrheiten, auch der 13. August 1961. Sicher, die Geschichte der Teilung ist nicht ohne die Ereignisse des Jahres 1941 zu schreiben, diese nicht ohne die Geschichte des Nationalsozialismus, die ihrerseits nicht ohne den Ausgang des Ersten Weltkrieges zu verstehen ist. Eine immanente Logik hat diese Kette von Ereignissen nicht, weder in der Abfolge noch in der Rückschau. Denn mit noch mehr Recht als dem, mit dem auf der linken Seite des politischen Spektrums die Chronik des Mauerbaus auch 50 Jahre später noch immer vorzugsweise mit Hitler-Deutschland beginnt, muss darauf beharrt werden, dass der 8. Mai 1945 für Millionen Deutsche kein „Tag der Befreiung“ war, sondern einer des Übergangs von einer Diktatur in eine andere.“
Das Grauen der nationalsozialistischen Gewalt- und Rassenpolitik muss nach wie vor, insbesondere bei innerdeutschen Debatten, für nahezu Jedes und Alles herhalten, wenn eine scharfe Waffe gebraucht wird. Selbst für heutige Integrationsdebatten.
Jahre zuvor schon argumentierte Günter Grass, dass die deutsche Teilung die Strafe für Auschwitz sei. Der Schriftsteller Peter Schneider kommentierte am 13. August diesen Jahres mit der Replik: „Wenn das wirklich eine Strafe für die Hitlerei gewesen wäre, warum sollten dann nur die Ostdeutschen darunter leiden, und mit ihnen die Osteuropäer, nicht aber die Westdeutschen?! Das macht keinen Sinn“, so Schneider.
Diese so banale wie zutreffende Antwort und der Kommentar von Daniel Deckers gelten natürlich gleichermaßen, wenn es um die Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa geht. Hitlers Herrschaft gab es auch in Westeuropa. Milde war sie auch dort nicht. Den Belgiern ging es kaum wesentlich besser als den Tschechoslowaken. Massaker gab es hier wie dort. Auch in Frankreich. Oradour und Vinkt stehen exemplarisch für beide Länder. Wer das bestreitet, verweigert sich den Realitäten und übersieht geflissentlich, dass weder aus Belgien, Frankreich oder Dänemark die jeweiligen deutschen Volksgruppen vertrieben wurden.
Natürlich hätte es ohne den Nationalsozialismus und den durch Hitler begonnenen Krieg weder die Vertreibung der Deutschen geben können, noch die Teilung Deutschlands oder die Berliner Mauer. Aber die Verantwortlichkeiten für millionenfache Menschenrechtsverletzungen, für Unterdrückung, Terror und Vertreibung nach 1945 liegen bei denen, die die Herrschaft hatten.
Mit dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft kehrten in Ost-, Mitteleuropa über viele Jahrzehnte beileibe keine Menschenrechte ein.
Buchenwald und Theresienstadt wurden fleißig weiter betrieben, auch ohne Hitler. Menschenrechte, Demokratie und Freiheit jenseits der deutsch-deutschen Grenze bis tief nach Osteuropa hinein, gab es auch ohne Hitler nicht. Dafür kommunistische oder nationalistische Diktatur, Zwangsarbeit und Deportationen. Das stalinistisch geprägte kommunistische Herrschaftssystem vieler Staaten in Mittel-Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg war mörderisch und menschenverachtend.
Und so kann ich keinerlei Verständnis dafür aufbringen, wenn demokratische Politiker an den jährlichen Siegesparaden in Moskau teilnehmen. Hitler und Stalin waren Spießgesellen, Brüder im menschenverachtenden Geiste, die sich zunächst ihre Beute genüsslich teilten, bis der eine über den anderen herfiel. Es ist für mich atemberaubend und erschreckend, mit welcher Milde bis zum heutigen Tage das stalinistische Regime und seine Nachfolger von etlichen Mitgliedern des Deutschen Bundestages betrachtet werden.
Für Deutsche, die ihre Heimat in Russland hatten, ist der morgige Tag ein traumatisches Datum. Am 28. August, vor 70 Jahren, wenige Wochen nachdem Hitlers Truppen in die Sowjetunion einmarschierten, erließ Stalin ein Dekret, das die Deportation der Wolgadeutschen einleitete. Alle Deutschen wurden deportiert. Es war unerheblich, dass sie loyale Staatsbürger der Sowjetunion waren.
Zuvor waren bereits die Deutschen aus der Krim, dem Kaukasus und den Schwarzmeergebieten verschleppt worden. Sibirien und Mittelasien waren für Jahrzehnte die Verbannungsgebiete der deutschen Volksgruppen in der Sowjetunion. Über Nacht wurden aus loyalen sowjetischen Mitbürgern Verfolgte, Verstoßene.
„Sie trieben uns raus wie obdachlose Hunde. Man hat uns Wolgadeutschen alles geraubt – die Häuser, das Land, das Vieh, das Geld, die Heimat, die Rechte“ berichtete eine Zeitzeugin.
Unter den im Ausland lebenden Volksgruppen hatten und haben die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion am längsten zu leiden. Im Jahre 1948 - also noch drei Jahre nach Kriegsende (wie war das noch mit dem „Tag der Befreiung“?) - beschließt der Oberste Sowjet eine Verbannung „auf ewige Zeiten“. Zigtausende hatten bis dahin schon ihr Leben verloren.
Deutschland hat eine besondere Verpflichtung Solidarität und Zuwendung zu geben, denn die Russlanddeutschen wurden in eine schreckliche Kollektivhaftung für Hitlers Verbrechen genommen, obwohl sie für diesen Mann und dieses System keinerlei Verantwortung trugen. In Russland waren sie die „Fritzen“, „Faschisten“, „Nazis“. Hier in Deutschland sind sie viel zu oft „die Russen“. Und das schmerzt sie mit Recht.
Der BdV steht an der Seite der Deutschen aus Russland. Zahlreiche ehrenamtliche Betreuer helfen den russlanddeutschen Spätaussiedlern hier Fuß fassen zu können und geben ihnen Hilfe und menschliche Zuwendung.
Auch ihr Schicksal muss durch die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ gebührenden Platz im Deutschlandhaus, hier in Berlin finden. Diese Bundesstiftung ist, nach den anfänglichen politischen Turbulenzen, auf einem guten Wege. Endlich. Dazu haben unsere sechs Stiftungsratsmitglieder maßgeblich beigetragen.
Ich begrüße nachdrücklich, dass der Stiftungsratsvorsitzende, Staatsminister Bernd Neumann, mehrfach deutlich gemacht hat, dass das Kernanliegen dieser Bundesstiftung das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen ist.
Es ist nunmehr erforderlich, dass der historische Kontext zum Vertreibungsgeschehen nicht kurzsichtig und ahistorisch an den Beginn des Zweiten Weltkrieges geknüpft wird. Peter Glotz, bis zu seinem frühen Tode, langjähriger Mitvorsitzender unserer eigenen Stiftung „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“, sah die Wurzeln der Vertreibung genauso wie der amerikanische Historiker Norman Naimark in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Glotz begründete: „Man darf die frühnationalen Erwecker, die nationalistischen Oberlehrer und Journalisten nicht aus der Verantwortung lassen … Wer wirklich gegen Vertreibungen … kämpfen will, der muss die ganze Kette der Ursachen beleuchten.“
Jeder seriöse Historiker wird die Glotz‘schen Argumente unterstreichen. Es gibt also triftige Argumente den historischen Kontext für die Dauerausstellung im Deutschlandhaus im 19. Jahrhundert anzusetzen.
Wichtig ist jetzt, dass die Arbeit endlich zügig vorangeht. Das Ausbautempo, insbesondere für die Stiftungskonzeption, ist durchaus beschleunigungsfähig. Die Letzten der Erlebnisgeneration sollen noch sehen können, dass ihr Schicksal nicht vergessen ist und einen festen Platz in der deutschen Hauptstadt hat.
Unabhängig davon setzt unsere eigene Stiftung „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ sehr engagiert ihre Arbeit fort. Zur Zeit laufen die Vorbereitungen für unser dritte Ausstellung auf Hochtouren. Am 25. Oktober diesen Jahres wird sie im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages Premiere haben. Unter dem Titel „Angekommen“ ist ihr Thema die schwierige Integration der Vertriebenen. Ab März nächsten Jahres werden wir dann alle drei Einzelausstellungen, die das „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ bislang gestaltet hat, als eine große Trilogie für drei Monate im Berliner Kronprinzenpalais vorstellen. Darüber hinaus steht im nächsten Jahr auch wieder die Verleihung unseres „Franz-Werfel-Menschenrechtspreises“ in der Frankfurter Paulskirche an.
Unsere Stiftung „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ wird sich also nicht auf ihren Erfolgen ausruhen sondern intensiv weiter arbeiten und treibende Kraft bleiben. Wir wollen das Schicksal der Heimatvertriebenen als Teil gesamtdeutscher Identität fest im Bewusstsein unserer Nation verankern. Gleichzeitig ist es unser nachdrückliches Anliegen, Vertreibungen grundsätzlich zu ächten.
Sie alle haben in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass diese Stiftung leistungsfähig ist. Ohne sie sowie die mehr als 450 Patengemeinden und Patenländer, wäre das nicht möglich gewesen.
Ein herzlicher Dank gilt allen Förderern und Unterstützern dieser BdV-Stiftung.
Heute aber insbesondere dem früheren Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Ihnen, lieber Roland Koch. Sie haben sich von Anbeginn an für das „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ ausgesprochen. Und ich kann mich noch sehr plastisch an den Tag erinnern. Es war der 29. Mai 1999 im Berlin Dom. Sie nahmen an der Veranstaltung des BdV aus Anlass des 50. Jahrestages des Grundgesetzes der BRD als amtierender Bundesratspräsident teil. Ganz taufrisch im Amt des Ministerpräsidenten. Der ebenfalls anwesende damalige Bundesinnenminister Otto Schily war auch noch kein Jahr im Amte und ich selbst war gerade ein Jahr BdV-Präsidentin. Drei Amtsneulinge beieinander. Und das „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ war zwar als Idee aber noch nicht juristisch auf der Welt. Es war eine spannungsgeladene Gedenkveranstaltung. Mancher Journalist sah bereits einen Eklat kommen.
Sie, aber auch Otto Schily, wurden durch meine Ansprache unvorbereitet öffentlich mit unserem Anliegen eines Vertriebenen-Zentrums, konfrontiert und – Sie beide sprachen sich spontan dafür aus. So wie es Ihre Art ist, lieber Roland Koch, haben Sie nicht nur Worte gemacht, sondern haben auch Taten folgen lassen. Dafür und für vieles Weitere danken wir Ihnen heute sehr. Aber ich will der Laudatio nicht vorgreifen.
Otto Schily, der als verlässlicher Partner des BdV bis zu seinem Abgang für das „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ eintrat, drang leider nicht gegen die Antikräfte der damaligen rot/grünen Bundesregierung durch.
Ein Wort des Dankes und gleichzeitig des Gedenkens gilt heute auch einem engagierten Mitstreiter für das „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ und die Anliegen der deutschen Vertriebenen insgesamt: unserem verstorbenen Freund Otto von Habsburg.
Energisch hat er sich gegen Vertreibung und Kollektivschuld gewandt. Otto von Habsburg hat mich in persönlichen Begegnungen zutiefst durch seine Menschenliebe bewegt. Hass war ihm genauso fremd wie das Denken in den Kategorien eines Michael Kohlhaas. Er war ein Vorbild aber auch Mahner, sich nicht im eigenen Leid zu verlieren. Otto von Habsburg hat auch dazu beigetragen, die Stiftung „ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN“ voranzubringen. Wir werden diesen großen Freund nicht vergessen.
2011 ist ein Jahr mit gewichtigen Erinnerungstagen. Dazu zählt auch der 20. Jahrestag der Erklärung des Slowakischen Parlaments zur Vertreibung der Karpatendeutschen. Eine erfreuliche Erinnerung.
Am 12. Februar 1991 hat das slowakische Parlament sein Bedauern über die Vertreibung der Karpatendeutschen eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht. In der Parlamentserklärung heißt es: „Wir verurteilen das Prinzip kollektiver Schuld, mit welchen Argumenten auch immer sie begründet sei. Wir sind uns bewusst, dass die Slowakei mit der Evakuierung und nachfolgenden Vertreibung deutscher Mitbürger eine ethnische Gruppe verlor, die über Jahrhunderte hinweg Teil der gemeinsamen Zivilisation war und in bedeutendem Maße für die kulturelle Mannigfaltigkeit unseres Landes sorgte. Heute reichen wir euch allen, Zeugen früherer Zwietracht, den Vertriebenen und ihren Nachkommen, von der Slowakei aus freundschaftlich die Hand. Versuchen wir, Streit und Unrecht zu vergessen. Lasst uns gemeinsam an der Gestaltung der vergangenen Heimat arbeiten.“ Von hier aus danke ich dem slowakischen Parlament und allen, die zu dieser Botschaft der Einsicht und der Zuwendung beigetragen haben.
Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert hat aus Anlass dieses Jubiläums ermöglicht, dass die Ausstellung zu „Geschichte und Kultur der Karpatendeutschen“ im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages über mehrere Wochen gezeigt werden konnte. Am 26. Januar diesen Jahres wurde sie von ihm gemeinsam mit dem Parlamentspräsidenten des slowakischen Parlaments, Richard Sulik, eröffnet. Ganz selbstverständlich war die Landsmannschaft der Karpatendeutschen auch von slowakischer Seite eng in die Vorbereitungen dafür eingebunden. Das alles war möglich, weil es seit vielen Jahren einen sehr lebendigen Dialog zwischen der Karpatendeutschen Landsmannschaft und der slowakischen politischen Spitze gibt!
Nicht nur seitens unserer slowakischen Nachbarn, sondern auch von Ungarn, den baltischen Staaten und einigen postjugoslawischen Regierungen oder Rumänien. Die Landsmannschaften des BdV haben seit Jahren gute und fruchtbare Kontakte in ihre Heimat. Und aus allen diesen Staaten gab und gibt es Botschaften der Zuwendung und des Bedauerns für das Schicksal der Vertriebenen. Seitens vieler europäischer Regierungen gibt es Gesten des Mitgefühls, der Anteilnahme und der Erkenntnis.
So hat der rumänische Außenminister Dr. Teodor Baconschi am diesjährigen Heimattreffen der Siebenbürger Sachsen in seiner Festrede die dunklen Seiten der Geschichte, namentlich die Deportationen der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben nach Russland und in die rumänische Bărăgan-Steppe angesprochen und sich vor den Opfern des kommunistischen Unrechts verneigt, wie er wörtlich sagte.
Nur einige wenige Staaten in Europa versperren sich nach wie vor dem Miteinander. Umso wichtiger ist es, dass die deutsche Politik auf diesem Weg dahin nachdrückliche Kraft wird. Dem bayerischen Ministerpräsident ist sehr zu danken, dass er seinen ersten Besuch in Prag daran knüpfte, dass ein Repräsentant der Sudetendeutschen seiner Delegation angehört. So konnte unser Freund Bernd Posselt Horst Seehofer bei dieser ersten Reise eines bayerischen Ministerpräsidenten in die Tschechische Republik begleiten. Das ist beispielhaft. Ich appelliere an die Bundesregierung, bei Staatsbesuchen auch Vertreter der Vertriebenen und nicht nur Wirtschaftsdelegationen mitzunehmen. Das ist gerade dann vonnöten, wenn es sich um historisch vermintes Gebiet handelt. Es dient der Dialogförderung.
In den Ländern, die sich auf oberster politischer Ebene bis heute dem Dialog mit den Vertriebenen versperren, lebt die Verständigung seit Jahren vom Engagement und der Dialogfreude der Vertriebenen, ihrer Kinder und Enkel und von der Offenheit der heutigen Neubürger.
Hundert-, ja tausendfache Begegnungen gibt es Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Daraus ist Vertrauen und Miteinander gewachsen. Eine Allensbach-Umfrage zum deutsch-polnischen Verhältnis spricht Bände. Danach glauben 48 Prozent der Deutschen, dass die bilateralen Beziehungen gut sind. Seitens der Vertriebenen sehen aber sogar 61 Prozent ein gutes Verhältnis. Ihre persönlichen Erfahrungen spiegeln sich darin wider.
Das Verhältnis von Mensch zu Mensch zwischen unseren Völkern ist über die traumatischen Erinnerungen hinweg wesentlich weiter als es manche öffentliche Aufwallung vermuten lässt oder suggeriert.
Die Aufarbeitung der Vertreibung der Deutschen und die Verurteilung dieses Vorganges wäre im Dialog mit unseren tschechischen und polnischen Nachbarn leichter gewesen, wenn es in dieser Frage einen innerdeutschen Gleichklang gegeben hätte und geben würde.
Erkennbar kann davon keine Rede sein. Schon vor Jahren hat der tschechische Intellektuelle Bohumil Dolezal eine Mahnung in Richtung Deutschland formuliert, die da lautet: „In der tschechischen Gesellschaft geht ein unspektakulärer, aber beharrlicher Kampf um eine gerechte Auffassung der Geschichte vor sich. Es ist bedauerlich, dass sich in diesem Kampf deutsche Politiker, Intellektuelle und Journalisten faktisch auf die Seite derer stellen, die die Geschichte verfälschen, die Verantwortung leugnen und die Freiheit unterdrücken wollen.
Ich will überhaupt nicht bezweifeln, dass die Deutschen diesen Fehler in guter Absicht machen. Sie dürfen sich jedoch nicht wundern, wenn ihnen ein Tscheche zuruft: ‚Wenn ihr doch wenigstens geschwiegen hättet.‘ “
Das jüngste mutige Dokument der Anteilnahme an deutschen Schicksalen war der Film „Töten auf tschechisch“ des Regisseurs David Vondráček und seine Filmarbeiten über Massengräber Deutscher.
In der Tschechischen Republik gab und gibt es beständig zunehmend Intellektuelle und junge Menschen die eine Aufarbeitung der Nachkriegsvorgänge einfordern. So kommt es nicht von ungefähr, dass mich als deutsche konservative Politikerin in diesen Fragen mehr mit dem linksintellektuellen Tschechen Petr Uhl verbindet, als mit Teilen der deutschen Politikerriege, die in Fragen der Vertreibung eines Sinnes ist mit extremen Nationalisten unserer beiden Nachbarländer.
Unterfüttert wurde diese Einordnung wieder im Rahmen der beiden Parlamentsdebatten im Deutschen Bundestag zur Charta der Heimatvertriebenen und unserer Forderung nach einem nationalen Gedenktag für die Vertriebenen. CDU/CSU und FDP haben sich für dieses Anliegen stark gemacht. Seitens der Opposition wurde mit teilweise unerträglichen Argumenten dagegen votiert.
Es ist im Übrigen, daran will ich erinnern, dankenswert, dass CDU und CSU, unterstützt seitens der FDP, im Jahre 2003 damals aus der Opposition heraus eine Entschädigung für die deutschen Zwangsarbeiter forderten. Sie scheiterten damit an der rot/grünen Bundesregierung. Eine solche Entschädigung ist längst überfällig.
In Abwandlung des Goethezitates rufe ich der Bundesregierung zu: „Der Versprechen sind genug gegeben, lasst uns auch endlich Taten sehen.“
Die jetzige Regierungskoalition hat nunmehr die wunderbare Möglichkeit all das umzusetzen, was ihnen andere politische Kräfte zuvor verweigert haben. Damit kann der Glaubwürdigkeit von Politik ein großartiger Dienst erwiesen werden.
Die jüngsten innerdeutschen, teilweise aggressiven Vertriebenendebatten sind Teil eines Klärungsprozesses, der auch in Deutschland immer noch nicht abgeschlossen ist. Auch im eigenen Lande brauchen wir den beständigen Dialog.
Damit schließt sich der Kreis zu unserem Leitsatz des heutigen Tages. Wahrheit und Dialog. Ja, im Dialog finden wir zur Verständigung. Selbst über die schrecklichsten Erinnerungen hinweg. „Das Grundmodell aller Verständigung ist der Dialog“, stellte der große Philosoph Hans-Georg Gadamer fest. Diese Dialogbereitschaft gibt es vielfältig.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit Recht 2009 hier in diesem Saale darauf hingewiesen, dass „die Geschichte von Flucht und Vertreibung“ uns alle angeht und „Teil unserer nationalen Identität und unserer gemeinsamen Erinnerungskultur“ ist. Solange das selbst in Deutschland immer noch nicht allen klar ist, brauchen wir nicht nur den europäischen Dialog.
Wahrheit und Dialog. Beides ist auch hier im eigenen Lande nötig und unverzichtbar.
Dieser Tag der Heimat fordert alle dazu auf.