Zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung über Oberschlesien erklärt BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius:
Der Bund der Vertriebenen erinnert heute an die Volksabstimmung, mit der die Bewohner Oberschlesiens am 20. März vor 100 Jahren über das Schicksal ihrer Heimat abstimmten.
Es hat eine besondere geschichtliche Tragik, dass der „Schmelztiegel“ Oberschlesien, in dem unterschiedliche Volks- und Sprachgruppen bis dato einträchtig miteinander gelebt hatten, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zum Schau- und Kampfplatz nationalistischer Interessenskonflikte wurde.
Mitbürger, Nachbarn und Freunde – insgesamt rund 1,22 Millionen Stimmberechtigte – waren angehalten, sich zwischen Deutschland oder Polen zu entscheiden. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 98 Prozent stimmten 59,4 Prozent für einen Verbleib bei Deutschland. 40,4 Prozent stimmten für eine Abtretung an Polen. Damit waren überraschend mehr Menschen dafür, den Status quo zu erhalten, als der hohe Anteil von Polen im Abstimmungsgebiet hatte erwarten lassen.
Was als klare Entscheidung hätte gewertet werden können, führte zum Dritten Polnischen Aufstand in Oberschlesien, der in der Schlacht am St. Annaberg im Mai 1921 gipfelte. Auch weil die polnische Regierung diesen Aufstand offiziell verurteilte und nicht etwa guthieß, verfügten die Siegermächte des Ersten Weltkrieges mit Bezug auf den Versailler Vertrag am 20. Oktober 1921 die Teilung Oberschlesiens.
Dieses vielerorts als Willkür bewertete Vorgehen wurde in den Folgejahren insbesondere von den deutschen Nationalsozialisten auf ihrem Weg an die Macht und in den Zweiten Weltkrieg instrumentalisiert.
Die Volksabstimmung über Oberschlesien mahnt daher in besonderem Maße, das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu achten. Gerade in multiethnischen Regionen müssen nationale Interessen auch auf die Vermeidung ethnischer Konflikte gerichtet sein.
Auch aus diesem Grund haben sich die deutschen Heimatvertriebenen schon 1950 in ihrer Charta der „Schaffung eines geeinten Europas“ verschrieben, „in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können“. Dies ist bis heute die Basis unseres verständigungspolitischen Einsatzes über die Grenzen hinweg.