„Vertriebene und Spätaussiedler: Brückenbauer in Europa“

Verständigungspolitische Reise des BdV nach Breslau und Oppeln

Ganz im Sinne des diesjährigen Leitworts zum Tag der Heimat „Vertriebene und Spätaussiedler: Brückenbauer in Europa“ fand in der Zeit vom 9. bis zum 12. September 2022 eine Delegationsreise des Präsidiums des Bundes der Vertriebenen nach Breslau und Oppeln statt. Neben BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius nahmen auch Vizepräsident Egon Primas und die Präsidiumsmitglieder Rita Hagl-Kehl MdB, Milan Horáček und Dr. Maria Werthan sowie Generalsekretär Marc-P. Halatsch an der Fahrt teil. Vor Ort stieß außerdem der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien – Nieder und Oberschlesien, Stephan Rauhut, als Gast dazu. Ziel war es, über Gesprächstermine und Begegnungen im Umfeld des 7. Kulturfestivals der deutschen Minderheit am 10. September in Breslau und der Eröffnung des Dokumentationszentrums der deutschen Minderheit am 11. September in Oppeln im Sinne der grenzüberschreitenden Verständigung den Kontakt zu den Deutschen in Polen zu stärken sowie sich über aktuelle Anliegen und gemeinsame Strategienauszutauschen.

Empfang im Generalkonsulat Breslau

Bereits am 9. September 2022 hatte das Generalkonsulat Breslau zu einem Empfang eingeladen, der Gelegenheit bot, die „neuen“ deutschen Diplomaten in Polen kennenzulernen. Denn bereits im Juli hatte es in der Deutschen Botschaft in Warschau eine Umbesetzung gegeben: In der Nachfolge von Dr. Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven hatte Dr. Thomas Bagger das Amt des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Polen übernommen. Im August erfolgte die Amtsübernahme des neuen Generalkonsuls in Breslau, Martin Kremer, von seinem Vorgänger Hans Jörg Neumann, und auch im Oppelner Konsulat war mit dem Wechsel von Birgit Fisel-Rösle auf Peter Herr eine Neubesetzung erfolgt.

Generalkonsul Kremer und Botschafter Bagger eröffneten den Empfang in Breslauund versicherten den anwesenden Vertretern der deutschen Minderheit, dass diese auch angesichts aktueller politischer Debatten in den diplomatischen Vertretungen weiterhin verlässliche Ansprechpartner hätten. Beide freuten sich, dass mit Natalie Pawlik MdB auch die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten für ein Grußwort und Gespräche anwesend war, begrüßten ausdrücklich die BdV-Delegation und dankten Dr. Bernd Fabritius für seinen Einsatz in dessen Zeit als Bundesbeauftragter. Als Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) sprach auch Rafał Bartek ein Grußwort. Bartek, zugleich Präsident des Oppelner Regionalparlamentes, bedankte sich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den diplomatischen Vertretern und der Minderheit, warb aber auch um Unterstützung für das aktuell drängendste Anliegen der Deutschen in Polen: die muttersprachliche Diskriminierungdurch die polnische Regierung.

Jubiläum 30 Jahre BJDM

Am Abend folgte eine Gala des Bundes der Jugend der deutschen Minderheit in Polen (BJDM). Der BJDM hatte das Kulturfestival zum Anlass genommen, mit vielen Gästen und Ehrengästen sein 30. Jubiläum zu feiern. Imagefilme zur Geschichte, zur aktuellen Situation und zum Zukunftsauftrag des Verbandes, kurze Grußworte etlicher Ehrengäste, kleine Podiumsdiskussionen, Auszeichnungen und eine Vielzahlan Gesprächen prägten das Bild der kurzweilig vom BJDM-Vorsitzenden Oskar Zgonina und seiner Stellvertreterin Zuzanna Herud, zugleich Beauftragte der Woiwodschaft Oppeln für kulturelle Vielfalt, moderierten die Veranstaltung.

Zuspruch gab es unter anderem erneut von der Bundesbeauftragten, Natalie Pawlik, und Botschafter Thomas Bagger, die gemeinsam mit Generalkonsul Martin Kremer an der Veranstaltung teilnahmen. Grüße aus dem Sejm, dem polnischen Parlament in Warschau, überbrachte der Abgeordnete der Minderheit, Ryszard Galla. Die Oppelner Regionalregierung war durch Vizemarschallin Zuzanna Donath-Kasiura vertreten. Rafał Bartek und sein Amtsvorgänger als VdG-Vorsitzender Bernard Gaida, der auch Sprecher der Arbeitsgemeinschaft deutsche Minderheiten (AGDM) in der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) ist, gratulierten „ihrer“ Jugendorganisation sehr herzlich. Spannende Erinnerungen an die Gründung des BJDM hatte der erste Vorsitzende des Verbandes, Krzysztof Bramorski, mitgebracht, der heute als Rechtsanwalt in Breslau tätig ist und sich als Honorarkonsul für Luxemburg in den Woiwodschaften Niederschlesien und Oppeln für die polnisch-luxemburgische Verständigung einsetzt. Dank und Anerkennung gab es auch für den Bund der Vertriebenen, der mit seinen Landsmannschaften und Landesverbänden ein wichtiger Ansprechpartner in Deutschland sei. Im Anschluss an den offiziellen Teil konnte die BdV-Delegation, anknüpfend an die Gespräche zuvor im Generalkonsulat, mit den genannten Ehrengästen und Würdenträgern in weiteren Austausch treten.

Gespräche und Begegnungen beim Kulturfestival

Mit einem ökumenischen Gottesdienst im Breslauer Dom wurde am 10. September 2022 das 7. Kulturfestival der deutschen Minderheit eingeläutet. Die katholischen Bischöfe der Diözesen Breslau und Oppeln, Dr. Józef Kupny und Dr. Andrzej Czaja, der evangelische Bischof des Bistums Oppeln, Waldemar Pytel, sowie Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinden und katholische Seelsorger der Minderheit aus ganz Polen, darunter Pfarrer Karol Długosz, Pfarrer Dr. Peter Tarlinski und Domherr André Schmeier, sorgten gemeinsam mit Gläubigen, Chor und Bläsern für eine feierliche Gestaltung. Die BdV-Delegation wurde als Ehrengäste begrüßt und kam am Rande des Gottesdienstes ins Gespräch mit der Geistlichkeit.

Das Kulturfestival selbst fand erneut in der Breslauer Jahrhunderthalle statt. Die zur Zeit ihrer Errichtung 1913 größte freitragende Halle der Welt bot eine imposanteKulisse für ein Spektakel der Kultur und Verständigung, zu dem mehr als 3.500 Vertreter der deutschen Minderheit aus ihren Heimatorten in ganz Polen angereist waren, dazu mehr als 450 Künstler und eine Vielzahl an Gästen aus Deutschland und anderen Nachbarländern Polens. Mit schriftlichen Grußworten hatten die Präsidenten Deutschlands und Polens, Dr. Frank-Walter Steinmeier und Andrzej Duda, ihre Schirmherrschaft über das Festival erklärt und den Beitrag der Minderheit zur Zivilgesellschaft gelobt. Die Bundesregierung war vor Ort durch die Bundesbeauftragte, Natalie Pawlik, vertreten, die ein persönliches Grußwort sprach.Die polnische Regierung jedoch glänzte trotz der Schirmherrschaft des Präsidentendurch Abwesenheit. Weitere kurze Reden und Grußworte gab es unter anderem vom VdG-Vorsitzenden Rafał Bartek, der BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius und die Delegation herzlich begrüßte, von der Oppelner Vize-Marschallin Zuzanna Donath-Kasiura und vom Breslauer Honorarkonsul Krzysztof Bramorski.

Erstmals war die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen mit einem eigenen Stand beim Festival vertreten und begrüßte dort herzlich die Vorsitzende ihres Kuratoriums, Rita Hagl-Kehl, und ihren Stellvertreter, Dr. Bernd Fabritius. Es gab eine spannende Begegnung und ein Gespräch mit einer Kulturgruppe der deutschen Minderheit in Lettland, die auf Einladung der Kulturstiftung nach Breslau gekommen war.

Konstruktiver Austausch mit dem VdG-Vorstand

Parallel zum Kulturprogramm hatte der VdG-Vorstand die BdV-Delegation zu einem offenen und konstruktiven Austausch eingeladen. Schonungslos stellte Rafał Bartek dabei die Situation dar und sprach über die drohenden Folgen der seit Jahresbeginn um zehn Millionen Euro geringeren Förderung sowie der Kürzung des muttersprachlichen Unterrichts von 3 auf 1 Wochenstunde. 

Ohne Sprache gebe es keine Identität, ohne Identität keine Kultur und ohne diese drei Säulen keine deutsche Minderheit, so der VdG-Vorsitzende zur diskriminierenden Behandlung der Minderheit durch die polnische Regierung. Unter Nutzung sämtlicher Netzwerke, Dank großer Solidarität im kommunalpolitischen Bereich und mit einem beispiellosen Kraftakt sei es an vielen Orten bislang noch gelungen, das Schlimmste zu verhindern. So seien Stadtverwaltungen für die ausbleibenden Gelder des Bildungsministeriums eingesprungen, um den Deutschunterricht in den lokalen Schulen weiter aufrechterhalten zu können. Außerdem stehe man im Gespräch mit deutschen Firmen, die in Polen produzieren und von deutschen Sprachkenntnissen profitieren. Zu befürchten sei jedoch die Kündigung von Lehrern bzw. deren Abwanderung in die Wirtschaft. Daher seien dauerhafte Lösungen nötig, vielleicht auch über neue Förderungen aus Deutschland. 

Dr. Bernd Fabritius freute sich darüber, dass diesem existenziellen Problem der Minderheit mit so viel positiver Kreativität begegnet werde und stimmte zu, dass mehr Rückhalt von deutscher Seite nötig sei. Dieser Rückhalt müsse sich zuallererst dadurch äußern, dass die Diskriminierung der deutschen Minderheit in bilateralen Verhandlungen zwischen den Ländern thematisiert, deutlich kritisiert und von deutscher Seite auf eine Rücknahme hingearbeitet werde. 

BdV und VdG vereinbarten, den Austausch zukünftig weiter zu intensivieren. Der VdG habe auch mit dem BdV in Berlin und in Bonn einen Ansprechpartner und Mitstreiter für die Anliegen der deutschen Minderheit in Polen, so BdV-Präsident Fabritius.

Eröffnung des Ausstellungs- und Dokumentationszentrums der deutschen Minderheit

Am 11. September besuchte die BdV-Delegation zunächst den deutschen Gottesdienst in Oppeln, der vom ehemaligen Minderheitenseelsorger Prälat Wolfgang Globisch geleitet wurde.

Danach war der BdV in Oppeln zu Gast bei der Eröffnung des Ausstellungs- und Dokumentationszentrums (DAZ) der deutschen Minderheit in Polen. Vor rund zehn Jahren am Runden Tisch zwischen den beiden Ländern als Institution beschlossen, um die Geschichte der Deutschen in Polen aufzuarbeiten und darzustellen, hatte Dr. Bernd Fabritius in seiner Zeit als Bundesbeauftragter das Projekt gemeinsam mit dem VdG anstoßen können. Mit Geldern der Stiftung für die Entwicklung Schlesiens war ein Gebäude mit bemerkenswerter Symbolik direkt am zur Oder gehörenden Mühlgraben erworben worden. Die Umbauarbeiten wurden aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) finanziert, für den laufenden Betrieb steht die Woiwodschaft Oppeln ein, die das Gebäude als Teil der Woiwodschaftsbibliothek betreibt. 

Grußworte zur Eröffnung sprachen unter anderem die amtierende Bundesbeauftragte, Natalie Pawlik, der Marschall der Woiwodschaft Oppeln, Andrzej Buła, der Deutsche Botschafter in Warschau, Dr. Thomas Bagger, und der VdG-Vorsitzende und Sejmik-Präsident, Rafał Bartek. Dank und Anerkennung gingen an viele Adressen, darunter auch an Dr. Bernd Fabritius für Tatkraft und Empathie bei der Umsetzung des Projektes.

Ein Rundgang in der Ausstellung bot der BdV-Delegation Gelegenheit zum Austausch mit den anderen Gästen. Beeindruckt zeigte sich das Publikum von der Konzeption des Gebäudes, das auf relativ engem Raum den Besucher inhaltlich ausgewogen, aber auch emotional mit auf die Reise durch die Geschichte der deutschen Minderheit nimmt. Multimediale Elemente und Interaktivität gehören zu den Kerncharakteristika, sodass auch Jugendliche leichter angesprochen werden können.

Gespräch mit Bischof Czaja und Pfarrer Tarlinski

Im Anschluss hatte der Oppelner Bischof, Andrzej Czaja, gemeinsam mit dem amtierenden Minderheitenseelsorger, Pfarrer Peter Tarlinski, die BdV-Delegation zu einem intensiven Gespräch zur Situation der Minderheitenseelsorger in der Diözese Oppeln eingeladen. BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius berichtete von Erfahrungen mitder Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien, die bis heute für alle Siebenbürger Sachsen in Rumänien, aber auch in Deutschland und in der Welt die Heimatkirche und somit ein besonderer Ort der Gemeinschaft geblieben sei.Bischof Czaja wiederum zeichnete die Entwicklung der „Gottesdienste in der Sprache des Herzens“ nach, im Zuge derer die deutsche Sprache wieder in die Gotteshäuser zurückgekehrt sei und wodurch die Kirche auch für die Minderheit wieder verstärkt zu einem Stück Heimat geworden sei. Darüber hinaus setze sich die katholische Kirche in Oppeln bis heute selbst dafür ein, dass die deutsche Sprache in der Region nochpräsenter werde, zum Beispiel über die deutsch-polnische Joseph-von-Eichendorff-Zentralbibliothek. Ein gemeinsamer Besuch dieser Bibliothek vervollständigte diesen Termin. Archiv-Referent Diakon Marek Dziony, der auch stellvertretender Minderheitenseelsorger ist, gab einen Einblick in die Arbeit vor Ort.

Besuch der Schule der deutschen Minderheit in Oppeln-Malino

Den Abschlusstermin der Delegationsreise bildete der Besuch der zweisprachigen Schule der deutschen Minderheit in Oppeln-Malino. Direktorin Margarethe Wysdak, das Team der Schule und des dazugehörigen Kindergartens sowie des Trägervereins Pro Liberis Silesiae bereiteten dem BdV einen herzlichen Empfang. Die Delegation wurde durch das 2014 renovierte und nach der Schulreform in Polen nochmals erweiterte Schulgebäude und den Kindergarten geführt. Die Mitarbeiter berichteten zur Entstehungsgeschichte und den Aktivitäten im Jahreskreis. Insgesamt bot sich das Bild einer erfolgreichen und sehr gut gemanagten Einrichtung. Eine andere Stimmung zeigte sich im Gespräch zur aktuellen Lage nach der Mittel- und Unterrichtskürzung durch die polnische Regierung. Auch wenn kommunale Initiativen etwas Linderung verschafft hätten, herrsche die Befürchtung, das Lehrerkollegium nicht mehr lange halten zu können. Deutlich wurde, dass die Sorgen nicht in erster Linie dem Selbsterhalt gelten, sondern sich vielmehr auf den möglichen Wegfall der muttersprachlichen Bildungsangebote und dessen Auswirkungen auf die Identität der Minderheit richten. Leidenschaftlich wurde um Unterstützung aus Deutschland gebeten. Die BdV-Delegation sicherte zu, die Situation des muttersprachlichen Unterrichts in Polen auch selbst nochmals in Deutschland zum Thema von Gesprächen mit der Regierung zu machen.