Hans Graf von Lehndorff hat das Grauen der späten Kriegs- und der Nachkriegszeit miterlebt. Als Assistenzarzt war er 1941 nach Insterburg gekommen und schloss sich dort bald schon der Bekennenden Kirche an. 1945 leitete er als ziviler Arzt ein Lazarett in der Schlacht um Königsberg und musste dort Plünderungen, Mord und Massenvergewaltigung mit ansehen. Er wurde von den Sowjets interniert, konnte flüchten, aber erreichte erst 1947 Westdeutschland – nach einer langen Odyssee durch Ost- und Westpreußen. Zwei seiner Brüder waren im Krieg gefallen, seine Mutter wurde zunächst von den Nationalsozialisten verhaftet und später auf der Flucht von den Rotarmisten erschossen. Die traumatischen Erinnerungen an jene Tage bewegten Lehndorff immer wieder. Er schrieb sie in mehreren Büchern nieder und wurde mit seinem „Ostpreußischen Tagebuch“ zu einem prominenten Zeitzeugen. Krieg und Vertreibung setzte er seinen Glauben und sein Engagement für den Frieden zwischen den Völkern entgegen.
„Komm in unsre stolze Welt“, dieses intensive Gebet (Info d. Red.: siehe Seitenleiste bzw. unter dem Text), ist zwar kein klassisches Weihnachtsgedicht, aber es spiegelt die Grundstimmung des Advents und der Weihnacht: die Sehnsucht nach der Ankunft Gottes in Jesus Christus – als Mensch, als kleines und hilfloses Kind, aber dennoch als Verkünder der Friedensbotschaft. Als Lehndorff seine Zeilen 1968 veröffentlichte, tobte in Fernost der Vietnam-Krieg und riss auch in Deutschland Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg wieder auf. Heute – 55 Jahre später – erleben wir mit Russlands völkerrechtswidrigem Angriff auf die Ukraine wieder Krieg in Europa. Wir sehen auch Israels Kampf gegen die Hamas – um das Bestehen der einzigen Demokratie im Nahen Osten und gegen antisemitische Ausrottungsfantasien. In alledem erkennen wir deutlich, was wir als Bund der Vertriebenen mit unserem Leitwort in diesem Jahr angemahnt haben: Krieg und Vertreibung sind Geißeln der Menschheit.
Tag der Heimat 2023 mit Minister Peter Beuth und Botschafter Oleksii Makeiev
Ganz im Zeichen dieses Leitworts stand unser diesjähriger Tag der Heimat am 26. August in der Französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt. Der Hessische Innenminister, Peter Beuth, betonte in seiner Festrede, dass der BdV „zu den bestaufgestellten Fachverbänden Deutschlands“ gehöre und gerade unsere menschenrechtliche Arbeit angesichts der weltpolitischen Lage hochaktuell bleibe. Das Wissen um und das Bewusstsein für die eigene Geschichte seien wichtig, um Krieg und Vertreibung wirksam vorbeugen und verhindern zu können. Besonders in Erinnerung blieb das emotionale Grußwort des Ukrainischen Botschafters, Oleksii Makeiev. Er bezeichnete den russischen Angriff als „Vernichtungskrieg“ und erinnerte daran, dass Frieden nicht um den Preis von Menschenrechtsverletzungen erkauft werden dürfe. „Im Krieg ist jeder Tag der ‚Tag der Heimat‘“, so Makeiev mit Blick auf den Anlass seiner Rede.
Neuwahl des Präsidiums des Bundes der Vertriebenen
Für mich war es eine Ehre, dass ich unseren Tag der Heimat als einen Tag zuvor wiedergewählter Präsident des Bundes der Vertriebenen erneut eröffnen durfte. Das Vertrauen der Delegierten unserer Landsmannschaften, Landesverbände und außerordentlichen Mitglieder, das sich auch im Wahlergebnis ausdrückt, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Auch das neue, wiederum verjüngte Präsidium bleibt den Anliegen des Verbandes verpflichtet. Es setzt sich jetzt wie folgt zusammen:
Präsident:
Dr. Bernd Fabritius
Vizepräsidenten:
Stephan Grigat, Raimund Haser MdL, Steffen Hörtler, Stephan Mayer MdB, Egon Primas und Johann Thießen
Weitere Mitglieder:
Rita Hagl-Kehl MdB, Milan Horáček, Siegbert Ortmann, Stephan Rauhut, Brunhilde Reitmeier-Zwick, Heiko Schmelzle und Dr. Maria Werthan (kraft Amtes)
Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen 2023 für Dr. Christoph Bergner
Am 25. August haben wir außerdem dem ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Christoph Bergner, in Berlin unsere höchste Auszeichnung, die Ehrenplakette, verliehen. Dr. Bergner hat sich in seiner achtjährigen Amtszeit leidenschaftlich für die Menschen- und Minderheitenrechte, insbesondere für die kulturelle Selbstbestimmung, gegen Vertreibungen sowie für die grenzüberschreitende Verständigung in Europa und mit den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion eingesetzt. Eine besondere Freude war es mir, dass wir die Ehrung in der Landesvertretung des Landes Sachsen-Anhalt und in Anwesenheit der zuständigen Staatssekretärin vornehmen konnten, zumal der Geehrte auch in Sachsen-Anhalt als Ministerpräsident gewirkt hat.
Jahresempfang 2023 mit Bundeskanzler Olaf Scholz
Einer der Höhepunkte 2023 war sicher unser traditioneller Jahresempfang, zu dem wir am 28. März in der Katholischen Akademie in Berlin zusammenkamen. Erstmals nach dem Regierungswechsel 2021 konnten wir Bundeskanzler Olaf Scholz bei uns begrüßen – und das bei zeitgleich andauernden Debatten im Koalitionsausschuss, aufgrund derer er fast alle Termine absagte. Es hat mich schon mit Stolz erfüllt, dass die Rede des Bundeskanzlers bei uns zu den wenigen Terminen zählte, die er dennoch wahrnahm. Ausdrücklich bekannte er sich darin dazu, den Bund der Vertriebenen und seine Versöhnungsarbeit auch weiterhin zu unterstützen. „Sie sind wahre Brückenbauer! Dafür sage ich Ihnen von ganzem Herzen: Vielen Dank!“, so Olaf Scholz.
Nationaler Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni 2023
Große Bedeutung hat für uns immer auch die vom Bundesministerium des Innern und für Heimat durchgeführte Gedenkstunde zum nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Diese kehrte am 20. Juni ins „historische Berlin“ zurück und fand erstmals im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt statt. Emotionaler Höhepunkt war aus meiner Sicht die Lesung der Journalistin und stellvertretenden Regierungssprecherin Christiane Hoffmann, die anschaulich schilderte, wie sich Vertreibung und Heimatverlust auf ihre Familie auswirkten. Für die Bundesregierung sprach Innenministerin Nancy Faeser und wies auf die Unterschiedlichkeit der Schicksale bei Vergleichbarkeit der Erfahrung des Heimatverlusts damals und heute hin. Gute und unumstrittene Tradition ist das Schlusswort des BdV-Präsidenten, wo ich nochmals betont habe, wie wichtig es ist, dass an diesem Tag auch der eigenen Opfer gedacht werden kann und dass jede Vertreibung und jede ethnische Säuberung immer ein Verbrechen ist.
Spätaussiedleraufnahme und deutsche Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und Russland
Inhaltlich und politisch lag unser Schwerpunkt in diesem Jahr deutlich bei unserem Einsatz für die Deutschen in der Ukraine und in Russland, aber auch in den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die zum einen als Spätaussiedler nach Deutschland kommen möchten oder zum anderen aufgrund des Krieges flüchten müssen. Für die Spätaussiedlerbewerber wurde aufgrund eines höchstrichterlichen Urteils und der nachfolgend angepassten Verwaltungspraxis in Deutschland ein aus kommunistischen Unrechtszeiten stammendes „Bekenntnis zu einem fremden Volkstum“ zum Ablehnungsgrund. Den Flüchtlingen wiederum wurde bei jedem länger als sechs Monate andauernden Aufenthalt außerhalb der Aussiedlungsgebiete eine „Wohnsitzaufgabe“ unterstellt, was einen Anspruch auf Aufnahme als Spätaussiedler dauerhaft unmöglich machte. In zahlreichen Gesprächen, durch Pressemeldungen, Briefe und Stellungnahmen sowie in Zusammenarbeit mit der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten in der FUEN haben wir den Entscheidern in Politik und Verwaltung die Lebensrealität der Menschen nahegebracht, über deren Schicksal hier entschieden wird. So ist es uns gelungen, eine Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) zu initiieren, mit der nun die Situation insgesamt verbessert wird. Es ist gut, dass die Bundesregierung mehrfach betont hat, das Tor nach Deutschland für Spätaussiedler solle offenbleiben. Die Umsetzung der beschlossenen BVFG-Änderung – für die wir, ehrlich gesagt, noch größere Hoffnungen hatten – wird sich daran messen lassen müssen. Dies werden wir als Verband eng und konstruktiv begleiten.
Inhaltliche Kernforderungen und Sorgen über den Haushalt
Weitere wesentliche Themen, für die wir uns über das Jahr, aber auch im Rahmen unserer Bundesversammlung eingesetzt haben, waren etwa die Situation in der Vertriebenen-Kulturarbeit, die Förderung der deutschen Minderheiten und die Lage der Deutschen in Polen sowie die Zukunft der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE). Zu Kernforderungen hat unsere Bundesversammlung erneut Entschließungen verabschiedet, die schon in diesem Jahr in unsere Arbeit eingeflossen sind, die aber auch im kommenden Jahr eine Richtschnur für unser Handeln als Schicksals- und Solidargemeinschaft bleiben werden.
Aktuell sind es die Haushaltssparmaßnahmen der Bundesregierung, die uns in mehreren Arbeitsfeldern Sorge bereiten. So gilt es z.B., unsere Kulturarbeit nach § 96 BVFG vor weiteren Kürzungen zu bewahren. Schon jetzt bangen Museen und Institutionen, aber auch Projektmittelempfänger um die Fortführung anerkannter Programme und können Stellen nicht nachbesetzen. Außerdem leidet die kulturelle Breitenarbeit immens. Damit wird der gesetzliche Auftrag des lebendigen Kulturerhalts gefährdet. Ein anderes Arbeitsfeld, das ich benennen möchte, ist die MBE, wo wir als Verband maßgeblich für die Unterstützung und Beratung der zu uns kommenden Spätaussiedler verantwortlich sind. In Zeiten eines ungebrochenen Zuzugs nach Deutschland gerade im Bereich der Integration eine Etatkürzung um ein Drittel zu planen, ist nicht nachvollziehbar und hat zu großen Herausforderungen für unsere Träger geführt, die ich sehr bedauere. Auch hier setzen wir uns weiterhin für eine Korrektur ein. Bei allem Verständnis für Sparmaßnahmen zeigt sich in all unseren Arbeitsbereichen überdeutlich, dass es kein Kürzungspotenzial gibt. Die Mittel, die zur Verfügung stehen, decken immer nur ein Minimum dessen ab, was eigentlich benötigt wird.
Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen
Bei allen berechtigten Sorgen gibt es aber auch positive Ausblicke: In unserer Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV) wird aktuell die sechste Ausstellung „Stillgeschwiegen! – Vertriebene in der SBZ und DDR“ fertiggestellt. Die Eröffnung ist für den 5. März 2024 in Berlin geplant. Indes geben die fünf bekannten Wanderausstellungen weiterhin Einblicke in eine Vielzahl der uns betreffenden historischen und gesellschaftlichen Themen. Nutzen Sie die Möglichkeit, die Ausstellungen über die Bundesgeschäftsstelle zu buchen, vor Ort zu präsentieren und durch Begleitveranstaltungen zu ergänzen. Verschenken Sie gern auch die Ausstellungskataloge als eine Gesamtübersicht über das Schicksal und die Geschichte der Deutschen im östlichen Europa.
Leitwort, Tag der Heimat und Ehrenplaketten 2024
In seiner letzten Sitzung des Jahres 2023 hat das BdV-Präsidium u.a. über das Leitwort für das kommende Jahr beraten. Im Fokus stand dabei, dass verständigungspolitischer Einsatz von beiden Seiten vorhandener Staatsgrenzen gerade angesichts der Lage in Europa und der Welt immer wichtiger wird. Für die deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland sind die deutschen Minderheiten in ihren Heimat- und Siedlungsgebieten natürliche Partner in diesem Einsatz. Sie bilden das „andere Ende“ der viel gelobten Brücken, die wir mit dem Ziel eines geeinten und friedlichen Europa ganz im Sinne unserer Charta der Heimatvertriebenen bauen. Um diese gemeinsame Arbeit zu akzentuieren und zu intensivieren, hat das Präsidium beschlossen,
„Heimatvertriebene und Heimatverbliebene: Gemeinsam für ein friedliches Europa“
zum Leitwort für 2024 zu bestimmen. Dies soll somit auch der zentrale Gedanke für den Auftakt zu unserem Tag der Heimat sein, den wir am 24. August 2024 in Berlin begehen werden. Die beiden Personen, die wir im kommenden Jahr mit unserer Ehrenplakette auszeichnen möchten, werden diesem Gedanken ebenfalls in besonderem Maße gerecht. Seien Sie gespannt!
Dank, Weihnachts- und Neujahrswünsche
Zum Ausklang möchte ich Ihnen allen meinen herzlichen und aufrichtigen Dank aussprechen: Unsere erfolgreiche Arbeit als Gesamtverband ruht bei jeder Herausforderung und in jeder politischen Großwetterlage auf den Schultern jedes Einzelnen. Mit Ihrer Treue, mit Ihrer Kreativität und Ihrer Kritik sowie mit Ihrem ganz überwiegend ehrenamtlichen und aufopfernden Einsatz sorgen Sie mit dafür, dass unsere Anliegen im Gespräch bleiben, leisten einen unverzichtbaren Teil der Kultur- wie der grenzüberschreitenden Verständigungsarbeit und engagieren sich in der Unterstützung für unsere Aus- und Spätaussiedler sowie für die in der Heimat verbliebenen Landsleute. Ohne Sie geht es nicht!
Wie in jedem Jahr möchte ich Sie außerdem ermutigen, gerade auch zum Weihnachtsfest ganz bewusst und stolz die mitgebrachten Traditionen aus der Heimat in Ihren Familien zu leben. Sie tun damit aktiven Dienst am Erhalt unseres vielfältigen Brauchtums und unserer Kultur. Kinder und Enkel werden es Ihnen irgendwann einmal danken.
Ein gesegnetes Weihnachtsfest im Kreis Ihrer Lieben und einen gesunden Start in ein hoffentlich gesundes und friedliches Jahr 2024 wünscht
Ihr
Dr. Bernd Fabritius
Info der Redaktion: Der Weihnachtsbrief des BdV wid ab dem 08.12.2023 postalisch und per Mail versandt.