„Krieg und Vertreibung - Geißeln der Menschheit“

Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen 2023



Programm

Französische Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt, 26. August 2023, ab 12 Uhr

 

Begrüßung und Ansprache

Dr. Bernd Fabritius 
Präsident

Festrede

Peter Beuth MdL
Hessischer Minister des Innern und für Sport

Grußwort

S.E. Oleksii Makeiev
Botschafter der Ukraine in Deutschland

Geistliches Wort und Gedenken

Weihbischof Dr. Reinhard Hauke
Bevollmächtigter der Deutschen Bischofskonferenz für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge

 

Kranzniederlegung an der Ewigen Flamme

Im Anschluss an den Festakt findet um 15:30 Uhr unter Anwesenheit des Festredners, Minister Peter Beuth MdL, die Kranzniederlegung auf dem Theodor-Heuss-Platz statt. Es sprechen (aktueller Stand):

Staatssekretär a.D. Rüdiger Jakesch
Vorsitzender des Berliner Landesverbandes des Bundes der Vertriebenen

Bürgermeister Stefan Evers
Senator für Finanzen

Peter Beuth MdL
Hessischer Minister des Innern und für Sport

Dr. Bernd Fabritius
Präsident des Bundes der Vertriebenen

Die höchsten Staatsämter, die Bundesländer, Ministerien und Mitgliedsorganisationen des Bundes der Vertriebenen lassen Kränze niederlegen. 



Ansprache zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 26. August 2023 in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius

 

Sehr geehrter Herr Minister Beuth,
sehr geehrte Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter,
Exzellenz, Herr Botschafter Makeiev, 
sehr geehrter Herr Weihbischof Dr. Hauke, Herr Oberkirchenrat Iro, lieber Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Herr Dainow, 
geehrte Exzellenzen und Eminenzen, geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages, der Landtage, liebe Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler,
verehrte Ehrengäste aus Bund, Ländern und Gemeinden, liebe Vertreter der deutschen Minderheiten aus den Nachbarländern,
liebe Landsleute,
meine Damen und Herren,

zur diesjährigen Auftaktveranstaltung zum Tag der Heimat 2023 des Bundes der Vertriebenen heiße ich Sie in der Französischen Friedrichstadtkirche ganz herzlich willkommen!

Ich bin sehr dankbar, dass Sie, Herr Minister Beuth, heute die Festrede halten werden und begrüße Sie als Hessischen Minister des Innern und für Sport ganz herzlich in unserer Mitte.

Wir empfangen Sie, lieber Herr Beuth, auch als Träger der Verdienstmedaille des BdV-Landesverbands Hessen, mit der Sie im Juni ausgezeichnet wurden. Diese allerhöchste Ehrung wird nur Personen zuteil, die sich durch ihren herausgehobenen Einsatz für die Belange der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler ganz besonders verdient gemacht haben.

Erwähnt sei nur, dass Sie sich in guter Abstimmung mit der Landesbeauftragten Frau Ziegler-Raschdorf die ich ebenfalls begrüße, lieber Herr Minister, erfolgreich für die stete Erhöhung der Fördermittel für Vertriebene und Spätaussiedler in Ihrem Bundesland tätig geworden sind. Das „offene Ohr“, liebe Her Minister, das Sie jederzeit für die Belange der Vertriebenen sowie für deren Projekte haben, hat sich weit über die Grenzen Hessens hinaus herumgesprochen. Danke dafür!

Wir freuen uns ebenfalls sehr, dass Sie, geehrter Herr Botschafter Makeiev, unser Gast sind und das Podium des heutigen Tages nutzen werden, um uns über die Situation in Ihrem Land, der Ukraine, zu berichten. Dieser unselige Krieg, der von der Russischen Föderation gegen Ihr Land geführt wird, erfüllt uns mit großer Anteilnahme für Ihr Volk und weckt bei vielen von uns tiefsitzende Emotionen.

Krieg und Vertreibung – Geißeln der Menschheit. Unter dieses Leitwort hat der Bund der Vertriebenen den diesjährigen Tag der Heimat gestellt. Und meine Damen und Herren, es ist keine zufällige Parallele zwischen dem Grauen des Zweiten Weltkriegs und dem, was heute in der Ukraine geschieht. Nein, es ist eine ganz bewusst gewählte Mahnung, die gerade diese Assoziation fordert!

Herzlich willkommen in unserer Mitte, Herr Botschafter.

Ihnen, sehr geehrter Herr Weihbischof Dr. Hauke, sind wir ebenfalls zu Dank verpflichtet. Sie werden mit dem geistlichen Wort als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge unseren Tag der Heimat würdig und angemessen beschließen.

Ich freue mich natürlich, dass traditionell die Potsdamer Turmbläser da oben unter der Leitung von Stephan Rudolph unsere Veranstaltung musikalisch umrahmen werden. Ganz herzlichen Dank an die Musiker.

Und natürlich übertragen wir auch in diesem Jahr unsere zentrale Auftaktveranstaltung live im Internet – damit wir auch jene Menschen erreichen die heute nicht anwesend sein können.

Meine Damen und Herren, liebe Landsleute,

„Krieg und Vertreibung – Geißeln der Menschheit“: Angesichts des unseligen Krieges Russlands suchen wir mit dem Leitwort den unmittelbaren Bezug zu dieser Tragödie und verleihen damit auch der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Gewalt in einem unserer europäischen Nachbarländer Ausdruck. Tausende von Toten sind Tausende Toten zu viel.

Die Kriegsopfer, die vor Gewalt und Vernichtung geflüchtet sind, genau wie die Zuhausegebliebenen, drohen generationenübergreifend und langfristig unter diesem Kollektivverbrechen zu leiden.

Gerade wir, denen das Schicksal der aus dem Kriegsgebiet flüchtenden Menschen wie ein höhnisches Déjà-vu der Geschichte unter die Haut geht ... – gerade wir stellen uns die Frage: Werden diese Menschen als über längere Zeit Entwurzelte jemals wieder in ihr früheres Leben zurückkehren können? Wiederholt sich Geschichte, wie wir sie aus der Mitte des letzten Jahrhunderts kennen erneut?

Wir Vertriebene und Spätaussiedler können wie niemand sonst in Deutschland aus eigener Erfahrung glaubhaft von den Folgen von kriegsbedingter Flucht und Vertreibung berichten! Und immer gibt es unschuldige Opfer – auf allen Seiten.

Ob durch Flucht und Vertreibung im direkten zeitlichen Bezug zu einem Krieg oder in den darauffolgenden Verbrechen als Kriegsfolgeschicksal, welch Begriff, wie Deportation, Zwangsarbeit, Entrechtung, Enteignung, Ausgrenzung: Die Vertreibung und der damit verbundene Verlust der Heimat verändern das Leben der Betroffenen und ihrer Kinder und Kindeskinder drastisch. Vertreibung und Verlust der Heimat traumatisieren bis in die Enkelgeneration. 

Man spricht von einem nachweisbaren kollektiven Trauma bis in die dritte Generation der Nachkommen von Heimatvertriebenen.

Das ist eine der unwidersprechbaren Begründungen, mit welcher wir immer wieder – auch nach den Erfahrungen des von Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieges und den entsetzlichen Verbrechen des Nazi-Regimes – ein internationales, strafbewehrtes Vertreibungsverbot fordern. Das ist eine Forderung des BdV, die wir so lange erheben, bis sie weltweit erfüllt ist. 

Meine Damen und Herren, 

ich will heute offen sprechen: Der Bund der Vertriebenen ist keine Regierung und auch keine Partei. Es ist nicht an uns, als überparteilicher Opferverband und Interessengemeinschaft Forderungen an die Kriegsparteien zu stellen. 

Aber eines können wir: eindringlich und absolut glaubhaft dazu mahnen, unschuldigen Menschen nicht länger Leid anzutun – durch einen Krieg, der sie ihrer Heimat, ihrer Menschenwürde und oft auch ihres Lebens beraubt.

An die Verursacher in Russland: Hören Sie endlich damit auf! Lassen Sie die Menschen in der Ukraine – und überall auf der Welt – in Frieden leben!

Was für eine große Aufgabe wird es sein, die katastrophalen Schäden wieder aufzuräumen. Ich spreche nicht nur von den Zerstörungen der Städte, der Dörfer und der Infrastruktur. Ich spreche auch hauptsächlich davon, dass erneut zwischenmenschliche Feindbilder ein friedliches, lange eingeübtes Miteinander zerstören.

Ganz bewusst denke ich auch an unsere deutschen Landsleute – sowohl in der Ukraine, herzlich willkommen Wolodymyr Leysle, als Vorsitzender des Rates der Deutschen in der Ukraine, als auch in der Russischen Föderation. Herzlich willkommen Olga Martens, die vorherige Vertreterin im IVDK.

Viele Mitglieder der deutschen Minderheit in der Ukraine haben Angehörige in Sicherheit gebracht und setzen sich für die Verteidigung ihrer Heimat ein. Viele Flüchtlinge, Aussiedler und Spätaussiedler aus der Ukraine engagieren sich hier und unterstützen ihre Familien „daheim“. Ihnen allen gebührt großer Respekt.

Bei der Aufnahme in Deutschland – sei sie vorübergehend oder endgültig – gibt es, trotz unserer intensiven Bemühungen unseres Verbandes und der zuständigen Landsmannschaften, leider administrative Probleme und Unklarheiten. Dazu komme ich später noch im Detail zu sprechen.

Aber wir denken auch an unsere Landsleute in der Russischen Föderation, die jetzt erneut aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit unter Generalverdacht geraten, drangsaliert und ausgegrenzt werden.

Hilfe uns Solidarität sind wichtig, und wir leisten diese aus Überzeugung. Der BdV hat als Verband gemeinsam mit der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und mit weiteren Mitgliedsorganisationen insgesamt mehr als 80.000 Euro Spenden für eine bereits in den ersten Kriegstagen durch uns gestartete Hilfsaktion für die deutsche Minderheit in der Ukraine eingeworben.

Für diese Spenden, die zu einem erheblichen Teil von unseren Basisgliederungen stammen und mit denen wir – gemeinsam mit unseren Partnerverbänden in der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten in der FUEN, in der Ukraine selbst, aber auch in Rumänien, Polen, der Slowakei oder Ungarn – akute Notlagen lindern konnten, hat uns in diesem Jahr Bundeskanzler Olaf Scholz bei unserem Jahresempfang seinen Dank und Respekt gezollt.

Seine Worte möchte ich hier gern wiederholen. Der Bund der Vertriebenen habe sich – ich zitiere –

„(…) über alle Maßen engagiert (…). Sie haben Hilfe für Flüchtlinge in der Ukraine organisiert (…). Auch über die Landsmannschaften haben Sie Spenden- und Hilfsaktionen ins Leben gerufen. In der Krise hat sich wieder einmal gezeigt, wie gut und eng die Verbindungen (…) in die osteuropäischen Staaten sind – sie sind wahre Brückenbauer. (…) Ihr Einsatz – davon bin ich sehr überzeugt – hat auch etwas mit Empathie zu tun, mit der Fähigkeit, sich in die Not anderer hineinzuversetzen. Dafür sage ich Ihnen von ganzem Herzen: Vielen Dank!“ Soweit das Zitat.

So, meine Damen und Herren, die anerkennenden und wohlmeinenden Worte des Bundeskanzlers, die unsere Arbeit wertschätzen.

Dieser „Brückenbau“ – also unsere verständigungspolitische Arbeit wie sie technisch heißt – verbindet uns und insbesondere unsere Landsmannschaften fast „familiär“ mit den deutschen Minderheiten in allen deutsch besiedelten Gebieten in Mittel- und Südosteuropa sowie mit den Deutschen in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und ihren Selbstorganisationen, ich sage dazu – mit unseren ehemaligen Heimatgebieten und ich freue mich sehr an dieser Stelle dem Vorsitzender der AGDM in der FUEN, Bernard Gaida als Vertreter all dieser Minderheiten zu begrüßen.

Abgestimmt mit diesen Verbänden hat der BdV sich immer wieder dafür eingesetzt, dass die jeweilige Bundesregierung ihre aus der Geschichte resultierende Verantwortung gegenüber diesen Volksgruppen annimmt und sie in ihr politisches Handeln einbezieht.

Das Kriegsfolgeschicksal der Deutschen im historischen Russland endet nicht per Dekret, es kann nicht ignoriert oder weggeschwiegen werden.

Es bleibt unsere Aufgabe im BdV, solidarisch über alle 17 Landsmannschaften hinweg einzufordern, dass die deutsche Diplomatie, aber auch die noch in Russland verbliebenen Stiftungen und Organisationen sich öffentlich entgegenstellen, wenn in der Russischen Föderation die deutschen Minderheiten diskreditiert wird, wenn Repressionen zunehmen und Diskriminierung Raum greift.

Diejenigen Landsleute, die als Spätaussiedler nach Deutschland kommen wollen, haben einen berechtigten Anspruch, mittels eines verlässlichen, gerechten und geordneten Verfahrens Aufnahme zu finden.

Auch hier gibt es viel zu tun. Rechtsprechung und Verwaltungspraxis müssen sich immer auch an der aktuellen Lebenswirklichkeit der Betroffenen messen lassen. Gerade hier sehen wir als Bund der Vertriebenen derzeit großen Nachholbedarf.

Ein von der aktuellen Bundesregierung unnötig restriktiv ausgelegtes Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 2021 führt nämlich etwa seit Mitte 2022 – also genau in der Kriegszeit – zu massiven Verfahrensverschlechterungen.

Es geht darum, kurz gesagt, dass eine nicht-deutsche Nationalitäteneintragung aus der Sowjetzeit in Personenstandsurkunden oder Personaldokumenten automatisch als willentliches „Gegenbekenntnis“ ausgelegt wird und zur Ablehnung der Aufnahme führt.

Wie kann so etwas sein? Sind neuerdings ehemalige sowjetische „Behörden“, die einem Antragsteller vor Jahrzehnten im kommunistischen Unrechtsstaat Sowjetunion eine russische oder kasachische oder wie auch immer geartete andere Volkszugehörigkeit in Geburtsurkunde oder Pass eingetragen haben, für die deutsche Verwaltungspraxis der Maßstab für Rechtsstaatlichkeit und für eine freie Entscheidungsbildung?

Gerade wenn alle weiteren Bedingungen wie Abstammung und Sprache erfüllt sind, kommt eine Ablehnung eines Aufnahmeantrages als Spätaussiedler einer nachträglichen Legitimierung der kommunistischen Diktatur in diesen Punkten und einer Negierung des Kriegsfolgeschicksals der dortigen deutschen Minderheiten gleich.

Wir drängen darauf, dass ein früheres „Gegenbekenntnis“ durch ein neueres Bekenntnis zum deutschen Volkstum – ganz im Sinne der 2013 vom Deutschen Bundestag beschlossenen X. Novelle des BVFG - korrigiert werden kann und in seiner Bewertung vor Sowjetische Eintragungen zurücktritt.

Die jetzige Verwaltungspraxis haben wir frühzeitig öffentlich kritisiert und Änderungen gefordert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser und die Aussiedlerbeauftragte Natalie Pawlik sagten zu, dass eine Gesetzesänderung noch vor der Sommerpause in die parlamentarische Beratung gebracht werden sollte. In der Verbandsanhörung dazu hatten wir positives unterstrichen und wichtigen Ergänzungsbedarf angemeldet.

Doch die Zusagen wurden leider nicht eingehalten: Die Regierung hat wohl einen Entwurf zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes zur Erleichterungen in der Spätaussiedleraufnahme fertiggestellt. Aber dieser kam trotz Zusagen in der letzten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages nicht mehr wie versprochen nicht mehr auf die Tagesordnung – angeblich aufgrund von Differenzen innerhalb der Koalition in völlig anderen Politikbereichen!

Ich sage dazu ganz klar: Hier haben Teile der Regierungsfraktionen gezeigt, dass sie kein Gespür für die Dringlichkeit dieses Anliegens haben und mit herzlosem politischen Geschacher allen Betroffenen einen Bärendienst erwiesen. Das ist für uns nicht hinnehmbar. 

Hinter der notwendigen BVFG-Änderung stehen menschliche Schicksale, die gerade jetzt im Krieg Russlands gegen die Ukraine von Gewalt, Verfolgung und Diskriminierung betroffen sind – beiderseits der Grenze!

Die angekündigte Änderung des BVFG muss jetzt kommen und das Problem „Gegenbekenntnis“ der sowjetischen Machthaber ein für alle Mal abräumen!

Mit Blick auf die russische Aggression in der Ukraine bleiben wir außerdem bei unserer Forderung eines Ministererlasses, der deutlich erklärt, dass eine längere kriegsbedingte Flucht nicht zu einem Verlust des Anspruchs auf Aufnahme als Spätaussiedler führen darf.

Wenn wir – den aktuellen Entwicklungen geschuldet, meine Damen und Herren – verstärkt von dem Leid der Deutschen in der Ukraine und den Benachteiligungen der Deutschen in der Russischen Föderation sprechen, müssen wir zwangsläufig feststellen, dass auch hier im Inland unser Engagement gefordert bleibt: Die Benachteiligung von Aussiedlern und Spätaussiedlern im deutschen Rentenrecht belasten das Gerechtigkeitsempfinden der Betroffenen ganz massiv.

Wir haben immer wieder die Einstandspflicht Deutschlands für das besondere Kriegsfolgeschicksal von Aussiedler und Spätaussiedler betont. Wir haben mehrfach Korrekturen im Rentenrecht gefordert, um die nachweisliche Altersarmut im Personenkreis der deutschen Aussiedler und Spätaussiedler zu beseitigen.

Es mutet, erlauben Sie mir diese deutlichen Worte, schon etwas wie Hohn und Spott an, wenn Spätaussiedler – unter bestimmten ganz engen Zuzugs- und Altersvoraussetzungen –mit einer geringen pauschalen Einmalzahlung aus einem Härtefallfonds abgefunden werden, statt ihre Lebensleistung zu honorieren.

Eine angemessene Anerkennung der Arbeitsbiografien und der Lebensleistung von Aussiedlern und Spätaussiedlern kann nur durch eine Korrektur der Kürzungen aus den 1990er Jahren erfolgen. Diese Kürzungen sind die Hauptursachen der Altersarmut dieser Menschen.

Statt hier anzusetzen und dringend notwendige Rechtsanpassungen im Sozialrecht vorzunehmen, wird nun mit dem Härtefallfonds Augenwischerei betrieben.  Das betrachten wir als unredlich.

Auch an dieser Sache bleiben wir als BdV ganz bestimmt und hartnäckig dran.

Meine Damen und Herren, liebe Gäste,

der Bund der Vertriebenen hat schon immer über das jeweils aktuelle Geschehen hinausgeblickt und seine immerwährenden Aufgaben wahrgenommen.

Es trifft zwar zu, dass wir seit Monaten auf die Folgen fokussieren, die der russische Angriffskrieg für unsere Landsleute in ihrer Heimat, für Deutschland und für Europa hat.

Deswegen halten wir trotzdem an dem Einsatz fest, der zur DNA unseres Verbands gehört: Wir sind die legitimen Vertreter der Interessen all jener Menschen und Verbände, die unter dem Unrecht der Flucht und der Vertreibung der Deutschen in der Mitte des letzten Jahrhunderts gelitten haben und bis heute leiden. Diese Aufgabe steht in jeder Zeile unserer Satzung und bleibt uns ewiger Auftrag.

Wir sind es, die unsere Landsmannschaften und die Landesverbände vereinen, die Arbeit bündeln und befeuern.

Wir sind es, die mit einer Stimme sprechen, wenn wir uns Gehör verschaffen müssen. Alles, was wir erreichen wollen in einem – zugegeben, in diesen Zeiten überaus – schwierigen Umfeld, steht direkt oder mittelbar mit dem Bundesvertriebenengesetz in Verbindung. 

Das BVFG (die Kurzbezeichnung) erkennt uns Heimatvertriebene und Spätaussiedler als Leidtragende an und motiviert uns durch Wortlaut und Intention, unsere Interessen öffentlich zu vertreten.

Das BVFG ist eine Erfolgsgeschichte, die sich in diesem Jahr zum 70. Mal jährte: Am 5. Juni 1953 trat es in Kraft. Es gilt gemeinhin als Abschluss der westdeutschen Vertriebenengesetzgebung nach dem Zweiten Weltkrieg und als wesentlicher Meilenstein auf dem Weg zu sozialer und wirtschaftlicher Gleichstellung.

Die Vertriebenengesetzgebung insgesamt, aber insbesondere das BVFG ist die konsequente politische Umsetzung dessen, was bereits in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 als Forderungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu ihrer Eingliederung in die Nachkriegsgesellschaft enthalten ist. 

Die Vertriebenen selbst gestalteten die Gesetzgebung entscheidend mit und nahmen als Binnenvertriebene ihre staatsbürgerlichen Rechte wahr.

Das BVFG wurde über die Jahrzehnte wiederholt novelliert und den jeweiligen Erfordernissen angepasst. Das ist, das ist auch jetzt nötig.

Was sagte Bundeskanzler Willy Brandt seinerzeit zum BVFG? „Unser Staat und unsere Wirtschaft stünden nicht dort, wo sie heute stehen, wenn ihnen nicht so starke Kraftströme durch die vertriebenen Landsleute zugeflossen wären. Unsere Demokratie wäre nicht krisenfest, wenn sie nicht von den Vertriebenen und Flüchtlingen mitgestaltet und mitgetragen würde.“

Auch das, meine Damen und Herren, haben einige Koalitionsparteien anscheinend vergessen.

Die Vertriebenen hatten bereits in den Anfängen der Bundesrepublik großen Anteil an Deutschlands Weg in eine sichere und in eine friedliche Zukunft. Das kann uns keiner wegnehmen.

Heute wissen wir auch, wie weitsichtig unsere Vordenker damals mit der Verabschiedung des sogenannten Kulturparagrafen 96 gewesen sind. Dessen Aufträge laut Gesetzestext sind der Kulturerhalt „im Bewusstsein des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes“, die wissenschaftliche Erforschung sowie die „Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge“ und diese Aufträge haben im Laufe der Jahrzehnte immer größere Relevanz erhalten.

Die Inhalte des Paragrafen sind 1990 sogar in den Einigungsvertrag eingeflossen. Dadurch erhielt die Sicherung, Erforschung und Fortentwicklung unseres kulturellen Erbes nochmals eine herausgehobenere Rechtsqualität sowie eine besondere Bestandskraft.

Gerade auch für die Vertriebenen in der ehemaligen DDR, das erwähne ich ganz absichtlich, die über 40 Jahre ihr Schicksal tabuisiert sahen, war und ist das kulturelle Erleben von großer Bedeutung. Für uns als BdV ist es daher wichtig, dass der Bund und alle Bundesländer dieser gesetzlichen Verpflichtung vollumfänglich nachkommen und die Arbeit auch in Krisenzeiten angemessen fördern. Dass ich das gerade heute betonen muss, hat leider seinen Grund.

Der Bund der Vertriebenen vertritt eine geschichtsbewusste Sicht auf die Zukunft und wir verstehen uns als „Arbeiter der Verständigung“ mit unseren östlichen Nachbarn.

Unsere Arbeit ist kein Selbstzweck, sondern Ausdruck der Gewissheit, dass wir im Interesse unseres Landes, der Völkerverständigung und des Friedens handeln. So weit, so gut – auch wenn etwas mehr politischer Rückhalt im aktuellen politischen Berlin für die Vertriebenenverbände wünschenswert wäre und nicht den aktuellen Strömungen des Zeitgeistes geopfert würde…

Unsere Arbeit hat jedoch noch eine weitere Seite. Sie hat mit Emotionen, mit Sehnsüchten, mit Erinnerungen, mit Traditionen und Brauchtum und Kultur zu tun.

Wir pflegen die mitgebrachte, entwurzelte Kultur unter erschwerten Bedingungen. Aber wir tun es mit Herz und Seele und aus Überzeugung!

Dafür erwarten wir, dass der Bund und die Länder –auf Basis des Paragrafen 96 BVFG! – unsere Kulturarbeit angemessen und sich fördert.

Von den auf Bundesebene zur Verfügung stehenden 2,14 Milliarden Euro im Kulturhaushalt ist unsere Arbeit dieser Bundesregierung etwa ein Hundertstel – 20,7 Millionen Euro wert – soviel hat sie für die Kulturförderung der Deutschen Heimatvertriebenen Aussiedler und Spätaussiedler über ein Drittel unserer Gesellschaft heute übrig.

Diese Mittel können nicht im Ansatz die nötigen Kulturprojekte anschieben, geschweige denn substanziell unterstützen, die erforderlich sind, um die Kultur aller historischen deutschen Landschaften zu sichern und abzudecken.

Um dem die Krone aufzusetzen, werden diese Mittel, meine Damen und Herren, von unserer Bundesregierung für die Zukunft weiter gekürzt, um eine Million auf nur noch 19,7 Millionen Euro.

Auch wenn wir, wie bereits betont, für eine grenzüberschreitende, kulturverbindende Arbeit stehen; auch wenn wir zum Teil aus Zentren kultureller Vielfalt stammen, so gilt unser Einsatz und auch die Zielrichtung des Kulturparagrafen doch ausdrücklich auch dem Erhalt und der Weiterentwicklung unser aller kulturellen Erbes. 

Er umfasst den ganz klaren Auftrag und den Anspruch darauf, dass wir auch in der neuen Heimat unser mitgebrachtes Brauchtum und unsere Kultur leben können. Daran halten wir fest – ohne Wenn und Aber!.

Meine Damen und Herren, liebe Gäste des Heimattages, es bleibt offen, wie die Kürzungen im Bereich der Kulturarbeit nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes, die uns auch im kommenden Jahr belasten werden, abgefedert werden können. Wir haben das Gespräch mit der amtierenden Staatsministerin Claudia Roth gesucht und ihr unsere auf die Zukunft ausgerichtete Kulturarbeit – gerade auch unter dem Aspekt der Identitätssicherung der jungen Generationen - vorgestellt. Es verwundert daher sehr, dass die Fördermittel auch nächstes Jahr weiter gekürzt werden. Und erlauben Sie mir diese Feststellung, alleine mit Sparzwängen lässt sich eine solche Kürzung jedenfalls nicht erklären.

Dankbar sind wir dafür, dass diese Bundesregierung auch in Zeiten von harten Sparmaßnahmen Haushaltsansätze zumindest im verständigungspolitischen Bereich in gleicher Höhe fortschreibt. Wir sehen darin eine Bestätigung der Notwendigkeit dieses Aspektes unserer Arbeit und dafür sage ich Ihnen liebe Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter aus dem Bundesministerium des Innern herzlichen Dank. Wir wissen das sehr zu schätzen. 

Meine Erkenntnis der letzten Monate ist, dass jedenfalls Teile der Bundesregierung und dazu zählen Sie, in diesem Fall nicht Frau Staatssekretärin, von der Arbeit der deutschen Vertriebenen und Spätaussiedler zu wenig wissen. Das Sie an unserer Seite stehen, können wir schon heute durch Ihre Teilnahme erkennen. 

Das gilt gerade auch für die Arbeit der Verbände im kulturellen Bereich. Es ist sehr schade und das wollen wir aktiv und konstruktiv, so wie der BdV unterwegs ist, für die Zukunft ändern.

Meine Damen und Herren, liebe Landsleute,

wie jedes Jahr spreche ich zum Schluss meinen ganz, ganz herzlichen Dank aus: Ihnen persönlich, sowie allen unseren Mitstreitern in den Landes- und Kreisverbänden, in den Landsmannschaften, in den Landesverbänden und den besonderen Verbänden unseres Verbandes.

Die Schicksalsgemeinschaft, die sich im Bund der Vertriebenen zusammengeschlossen hat, hält wie eh und je zusammen.

Es gibt viel zu tun, wir packen es an! Danke schön.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Grußwort zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 26. August 2023 in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin

Botschafter Oleksii Makeiev

 

Sehr geehrter Herr Dr. Fabritius,
sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrter Herr Weihbischof Dr. Hauke, 
meine Damen und Herren,

es ist mir eine Ehre, heute hier zu sein, und Sie haben mich gebeten, Herr Dr. Fabritius, zu erzählen, wie es in der Ukraine geht, wie die Situation in meinem Lande ist und wie es auch vielen ukrainischen Landsleuten geht. In der Ukraine oder sonst wo.

Ich als Diplomat verstehe ganz genau, was Heimat heißt. Als Diplomat bin ich sehr viel unterwegs und schaue auf die Ereignisse, zurück in der Ukraine, aus weiter Ferne. Aber ich will Ihnen heute ein paar persönliche Geschichten erzählen, wie es jedem Ukrainer geht. Weil „Tag der Heimat“ in Zeiten des Krieges heißt, dass wir jeden Tag „Tag der Heimat“ haben. Diese Heimat muss verteidigt werden. Dass auch jeder Tag ist „Tag des Friedens“, weil jeden Tag erkämpfen ukrainische Soldatinnen und Soldaten diesen Frieden, und ukrainische Bürger, mit diesem Mut – und Resilienz. Sie haben auch davon erwähnt, Herr Minister: der ganzen Welt zeigen, dass wir diesen Krieg gewinnen müssen, weil das ist ein Vernichtungskrieg, und den müssen wir gewinnen.

Wenn Sie sich selber fragen: Wann habe ich selber verstanden, dass in Europa hier in der Nachbarschaft ein Krieg herrscht? Und viele von Ihnen würden ehrlich sagen: erst vor anderthalb Jahren. Aber Vertreibung herrscht schon seit neun Jahren. Als die Russen Krim besetzt haben, Donezk und Luhansk. 

Was heißt das für die Menschen? Viele meiner Freunde aus Donezk und Luhansk haben ihre Heimatstätte seit neun Jahren nicht gesehen. Die Kinder, die dort geboren waren, die wissen es überhaupt nicht, wie dort zu Hause geht. Die Krimtataren dürfen seit neun Jahren nicht auf die Krim zurück – dort, wo sie erst 1990 zurückgekommen waren nach der ersten Vertreibung noch in 40er Jahren von Sowjets. Und jetzt ist Krim wieder besetzt wie im Zweiten Weltkrieg, aber jetzt von einer anderen Imperie, von einem anderen Reich: dem Russischen Reich.

Wie fängt Ihr Tag, ihr Morgen an? Für viele Millionen Ukrainer fängt es mit einer WhatsApp-Message an. Man schickt eine Message an die Lieben, an die Männer und Frauen in den Schützengräben, an Freunde oder an Eltern. Das mache ich auch jeden Morgen. Ich schreibe meiner Mutter und meinem Vater an. Und das Tollste für viele von uns ist, dass ich in diesem Messanger zwei blaue Häkchen sehe. Das heißt, die Nachricht ist gelesen. Das heißt, man ist am Leben. Und wenn dann auf deine Nachricht „Bist du ok?“ kommt eine kurze Antwort „Ich bin ok!“, dann alles ist in Ordnung. 

Wenn man aufwacht und sieht, dass Russland diese Nacht wiederum uns mit Raketen und Drohnen beschossen hat, oder wenn dann plötzlich irgendwo man sieht, ein Haus in der Nähe von meinen Freunden ist getroffen, dann schickt man diese Nachricht und kriegt lange keine Antwort. Und man hat Angst, dass es hat etwas passiert. Ich hab in meinem Telefonbuch schon sehr viele Namen, die mir nie antworten werden. Und jedes, jeder Mensch in der Ukraine, jede Familie hat jemanden in diesem Krieg verloren, hat geflüchtet, Haus zerstört, jemand ist heute in den Schützengräben. Und die Familien von vielen Ukrainer hier in Deutschland – über 1 Millionen haben hier Schutz gefunden –, die hoffen, so bald wie möglich in die Ukraine zurückzukommen. 

Gestern kurz nach Mitternacht hat mir meine Mutter geschrieben, es ist schon zum achten Mal an diesem Tag, dass die Flugalarm-Sirene ertönt: „Ich schaffe es nicht mehr!“ Ich weiß, dass Sie nicht runter geht mit meinem Vater zum Schutzbunker. Es ist nicht einfach für Sie, und wir haben auch keinen Schutzbunker, dort wo meine Eltern wohnen. 

Und das Einzige, was ich meiner Mutter sagen kann, um Sie zu beruhigen, ist zu sagen: Mutter, es wird alles gut sein. Vor ein paar Tagen sind aus Deutschland weitere Flugabwehrraketen und Flugabwehrsysteme gekommen. Du bist heute gut geschützt. War das die volle Wahrheit? Nicht alles kann abgefangen werden, nicht alle Raketen können heute abgefangen werden, und nicht alle Städte in der Ukraine sind geschützt. Zwei hochmoderne Iris T System aus Deutschland sind wirklich toll mit einer fast 100 %-igen Abfangquote, aber das sind zwei Systeme, die reichen vielleicht für eine Stadt, aber nicht für hunderte Städte. 

Mein anderer Freund aus Odessa sagt: Oleksii, danke dir, dass du es auch möglich gemacht hast, dass auch mehr Gepard Flakpanzer aus Deutschland gekommen sind. Jetzt schützen diese Gepard Flakpanzer die Häfen und Häuser in Odessa, die jetzt von Russland attackiert werden. 

Und mein Präsident sagte auch jedem Botschafter: Bitte bedankt euch bei unseren Freunden überall auf der Welt, die uns diese Waffen zu Verfügung gestellt haben, weil diese Waffen retten unser Leben. Deswegen danke ich jedem hier jedem Deutschen, jedem deutschen Steuerzahler, die es ermöglichen, dass meine Mutter ruhig schlafen kann. 

Es gibt auch weitere gute Nachrichten. Zum Beispiel heute wurde berichtet, dass elfukrainische Kinder, die nach Russland verschleppt wurden, sind in die Ukraine zurückgekommen, und das ist eine tolle Nachricht. Aber leider hunderte tausend von ukrainischen Kindern sind nach Russland verschleppt. Die kommen in neue Familien, denen wird alles Ukrainische fast ausgelöscht aus den Köpfen, die kriegen neue Namen, neue Familien, und die werden als Russen bezeichnet. Die finden nie dann den Weg zurück, und das ist eine Riesenaufgabe für uns: Wie erreichen wir diese Kinder, wie wissen wir etwas von denen? 

Und das macht diese Zeitspanne von vierziger Jahren bis zu vielleicht vierziger Jahren in diesem Jahrhundert extrem wichtig. Ich bin aufgewachsen und meine Großeltern haben mir natürlich vom Zweiten Weltkrieg erzählt. Mein Großvater war ein Soldat, hat kaum was erzählt. Aber meine Großmutter berichtete, wie es in Chmelnyzkyj-Region gewesen war unter deutscher Besatzung. Und dann plötzlich habe ich festgestellt, dass ich damals – wir waren alle so froh, dass nach dem Zweiten Weltkrieg und europäische Nachkriegsordnung es sicher macht, dass keine Kriege mehr in Europa passieren und jetzt habe ich festgestellt, dass meine Tochter die heute, die jetzt 23 Jahre alt ist, wird Ihren Großkindern erzählen, wie es gewesen war in Kiew unter russischen Bomben und so zu leben. Mehr als 100 Jahren, und die Geschichte wiederholt wieder. Nach achtzig Jahren sprechen wir wieder von einer Vertreibung, von Kriegsverbrechen, von Erschießungen, von Vergewaltigungen. Unsere Generalstaatsanwaltschaft eröffnete jetzt und untersucht einhunderttausend Fälle von Kriegsverbrechen. Und wir müssen natürlich, nachdem wir diesen Krieg gewinnen, auch für dafür zu sorgen, dass diejenigen, die es verursacht haben, zur Rechenschaft gezogen werden.

Meine Damen und Herrn, 

ich freue mich sehr, dass Deutschland jetzt seit anderthalb Jahren eine tolle Solidarität mit den Ukrainern zeigt. Überall ukrainische Fahnen. Deutsche haben sehr viel gespendet und über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer haben hier Schutz gefunden. Haben Sie eine zweite Heimat gefunden? Das bezweifele ich, weil in vielen Augen sehe ich, dass Sie zurück in die Ukraine wollen, so schnell wie möglich. Aber was Sie sicherlich hier in Deutschland gefunden haben, ist eine neue Familie. Und es ist ein tolles Gefühl, überall in Europa sich wie zu Hause fühlen in einer Familie, wie es gehört.

Meine Damen und Herrn, 

bitte unterstützen Sie uns weiter, aber nicht aus Mitleid, sondern aus Bewunderung. Ich bin heute der stolze Botschafter eines stolzen und mutigen Volkes, das kämpft.

Ich danke Ihnen.


Geistliches Wort zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 26. August 2023 in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin

Weihbischof Dr. Reinhard Hauke

 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

das Thema des diesjährigen „Tages der Heimat“ benennt ein trauriges Thema, bei dem wir aktuelle Bilder vor Augen haben und betroffen sind von der Tatsache, was Menschen einander antun. Es ist mir jedoch ein wichtiges Anliegen, Wege aufzuzeigen, wie denn das unsägliche Leid, das durch Krieg und Vertreibung entsteht, beseitigt werden kann. 

Ich lebe immer noch aus den Erfahrungen des Weltjugendtages in Lissabon, an dem ich vom 31. Juli bis zum 6. August teilnehmen konnte. 1,5 Millionen katholische Jugendliche waren aus der ganzen Welt mit Papst Franziskus versammelt, um zu zeigen, wie durch die christliche Botschaft das Miteinander der Völker in friedlicher Weise möglich sein kann. 

Papst Franziskus hatte dazu Themen angegeben, die sich vor allem um das Thema „Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft“ drehten. Wie gelingt es, trotz aller Unterschiedlichkeit versöhnt und in Frieden miteinander zu leben und die Geißeln der Menschheit, den Krieg und die Vertreibung, zu überwinden?

In seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ schreibt Papst Franziskus: „215. (...) Ich habe wiederholt dazu eingeladen, eine Kultur der Begegnung zu entwickeln, die über die stets aneinandergeratenen Dialektiken hinausgeht. Es ist ein Lebensstil, der eine Polyederbildung mit vielen Facetten und sehr vielen Seiten, die aber zusammen eine nuancenreiche Einheit bilden, fördert.“ Weiterhin zitiert der Papst aus seinem Apostolischen Schreiben „Evangelium gaudium“: „Das Ganze ist dem Teil übergeordnet.“

Jeder von uns könnte jetzt aufgrund seiner eigenen Lebenserfahrung Beispiele beisteuern, in denen die Vielfalt der Meinungen deutlich wird, die uns begegnet. Nicht immer sind wir in der Lage, sofort eine Antwort auf Fragen zu geben, die uns heute gestellt werden. Nach der Entscheidung der Bundesregierung zum Assistierten Suizid sind nun alle Mitarbeiter in Krankenhäusern und Altenheimen mit der Frage konfrontiert, wie reagiert werden soll, wenn der Wunsch nach Assistiertem Suizid an die Mitarbeiter herangetragen wird, denn es gibt nun keine Ausführungsbestimmungen. Die beiden Entwürfe wurden ja abgelehnt. Wie entscheiden wir, wenn die Frage aufkommt: Freiheitliche Selbstbestimmung oder Lebensschutz – was ist höherwertig? Auch ist zu überlegen, wie mit der Möglichkeit der Künstlichen Intelligenz umgegangen werden soll. Ist es eine Chance oder eine Gefahr für die Gesellschaft? Wir können uns gute Argumente für beide Seiten anschauen und müssen dann eine Entscheidung fällen. 

Papst Franziskus schreibt dazu in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“: „219. Wenn ein Teil der Gesellschaft beansprucht, alles zu genießen, was die Welt zu bieten hat, als würde es die Armen nicht geben, dann hat dies irgendwann Folgen. Die Existenz und die Rechte anderer zu ignorieren führt früher oder später zu irgendeiner Form von unerwarteter Gewalt…Eine echte gesellschaftliche Begegnung bringt die großen kulturellen Formen, die die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, in einen wahren Dialog.“

Aktuell erleben wir die Auseinandersetzungen in den Fragen des Klimaschutzes und die Diskussionen, welche Methoden gerechtfertigt sind, um auf die Problematik hinzuweisen. Auch hier ist der Dialog der einzige Weg, um gemeinsam etwas zu bewegen. Die Polyederbildung, die Papst Franziskus als Idee eingebracht hat, mag vielleicht manchem als zu unbestimmt und unklar erscheinen, aber diese Idee zeigt auf, wie trotzt Unterschiedlichkeit eine Einheit möglich werden kann. 

Papst Franziskus schlägt einen Kulturpakt aller Menschen vor, in den auch besonders die Armen einzubeziehen sind. Er schreibt in seiner Enzyklika: „221. Dieser Pakt bedeutet zu akzeptieren, dass man eventuell etwas für das Gemeinwohl aufgeben muss. Niemand wird die ganze Wahrheit besitzen und alle seine Wünsche erfüllen können. Ein solcher Anspruch würde nämlich dazu führen, den anderen zu zerstören, indem man ihm seine Rechte verweigert. Die Suche nach einer falschen Toleranz muss dem Realismus des Dialogs weichen, dem Realismus derer, die überzeugt sind, ihren Prinzipien treu bleiben zu müssen, gleichzeitig aber anerkennen, dass der andere ebenso das recht hat, zu versuchen, den eigenen Prinzipien treu zu sein.“

Papst Franziskus lädt zusätzlich dazu ein, in Freundlichkeit das Miteinander zu gestalten. Er verweist auf den Galaterbrief des Apostels Paulus, in dem dieser mit dem griechischen Wort  chrestotes einen Seelenzustand beschreibt , „der nicht rau, grob oder hart ist, sondern gütig und sanft, der stützt und tröstlich ist.“ So kennen wir auch Papst Franziskus, der trotz aller Probleme, die er in sich trägt und bewältigen muss, doch die Zuversicht und Freude nicht verliert. So haben wir ihn in Lissabon auch erlebt.

Ich kann mir gut vorstellen, dass solche Gedanken und Einladungen zu Geschwisterlichkeit trotz Unterschiede zum Widerspruch anregen, denn unsere Welt zeigt alles andere als den Willen zur Gemeinschaft. Wir leben mit einem Krieg in Europa, der zwar nicht alle Völker bedroht, aber doch in die Verantwortung ruft, den Flüchtlingen zu helfen, für den Frieden zu beten und zu überlegen, welche militärischen Schritte gegangen werden müssen, um den Frieden wieder herzustellen, wobei ich mir bewusst bin, dass hier keine leichten Entscheidungen gefällt werden. Bei den Kriegstoten aus dem militärischen und zivilen Bereich kann ich nicht von guten und bösen Toten sprechen, sondern alle sind Opfer und zu beklagen. Der Papst schlägt Wege zur Bewältigung von Konflikten vor, die vom Gedanken an eine höhere Einheit geprägt sind, die über jeglichem Konflikt steht. Die Versöhnung kann jedoch nicht eingefordert werden, sondern ist eine persönliche Leistung. Papst Franziskus erinnert an die Verfolgung der Juden im 2. Weltkrieg – an die Shoah -. Er wiederholt dabei sein Gebet, das er 2014 in Yad Vashem gesprochen hat: 

„Denk an uns in deiner Barmherzigkeit. Gib uns die Gnade, uns zu schämen für das, was zu tun wir als Menschen fähig gewesen sind, uns zu schämen für diesen äußersten Götzendienst, unser Fleisch, das du als Lehm geformt und das du mit deinem Lebensatmen belebt hast, verachtet und zerstört zu haben. Niemals mehr, o Herrn niemals mehr.“

Sklavenhandel, Atombombe in Hiroshima und Nagasaki, aber auch die Vertreibung der Menschen aus ihrer Heimat aufgrund politischer Entscheidungen oder aufgrund von Krieg und Hunger sind Realitäten, die wir als Menschheit zu verkraften haben, indem wir sie als furchtbare Realität ansehen und nach Wegen suchen, sie in Zukunft zu verhindern. „Vergebung beinhaltet nicht das Vergessen.“ – schreibt der Papst. 

Weiterhin lesen wir: „251. Diejenigen, die vergeben, vergessen nämlich nicht. Aber sie weigern sich, von der gleichen zerstörerischen Kraft besessen zu werden, die ihnen Leid zugefügt hat. Sie durchbrechen den Teufelskreis und stoppen das Vordringen der zerstörerischen Kräfte. Sie beschließen, die Gesellschaft nicht weiterhin mit der Rachsucht anzustecken, die früher oder später wieder auf sie selbst zurückfällt.“

Meine Erfahrungen als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Seelsorge an den Vertriebenen und Aussiedler ermöglicht mir, sowohl die grausamen Ereignisse der Flucht und Vertreibung der Deutschen den ehemaligen deutschen Gebieten kennen zu lernen als auch zu erleben, wie diese Vertriebenen sich mit großem Engagement hier in Deutschland für den Aufbau der Gesellschaft eingesetzt haben. Sie haben Gemeinden gegründet und Kirchen gebaut. Sie haben den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg befördert. Die Charta der Vertriebenen von 1950, die in Stuttgart formuliert worden war, ist ein deutliches Zeichen für den Willen zu Versöhnung und Neubeginn. Wenn es auch bis heute noch um die Aufarbeitung des Unrechts geht, so sind doch Zeichen der Versöhnung mit den Politikern in Polen und der Tschechei wichtige Ereignisse, die es bekanntzugeben gilt. Die Ansprache eines tschechischen Politikers beim Sudentendeutschen Tag in Regensburg Pfingsten 2023 war ein solches Zeichen, das von vielen Seiten als wichtiger Meilenstein auf dem Weg der Völkerversöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet wurde. Religion wurde zum Kraftquell für den Neubeginn.

Sich religiös zu zeigen ist immer eine Herausforderung, der wir uns auch im Jahr 2024 beim Katholikentag stellen werden müssen. Mit Christen und Nichtchristen wollen wir das Leben feiern und den Horizont für Größeres öffnen, was bisher nicht im Blick war oder nur geahnt wurde. Ich erlebe das Entstehen von kleinen Religionen, wenn es keine Berührungspunkte mit Kirche oder größeren Religionsgemeinschaften gibt. „Wir haben es nicht gelernt, Christen zu sein.“ - ist eine gängige Antwort auf die Frage, warum man kein Christ ist. Aber es gibt auch das Unverständnis für freie Schulen, in denen schon ab der 5. Klasse Schwerpunkte in der Schulbildung gesetzt werden, und nicht erst in der 8. Klasse, wie es die LINKE in Thüringen fordert. Warum ist uns individuelle Förderung wichtig? – Weil wir die Fähigkeiten als Geschenk Gottes sehen, um die wir uns kümmern müssen und die wir individuell fördern wollen, weil wir nicht unbedacht sie einfach auf sich beruhen lassen wollen. Es braucht ein Gespräch über die Werthaftigkeit des Individuellen und ich sehe auch Kontaktmöglichkeiten im Gespräch mit Politikern und Künstlern. Gerade bei den Künstlern gibt es eine große Offenheit für die christlichen Werte. 

„Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft“ – es sind Werte, die wir als Christen mit vielen Menschen guten Willens teile. Unser Christsein hat deshalb immer eine soziale Auswirkung, die wir niemals zu klein sehen dürfen. Sie hat mit Gott zu tun, der durch seine Liebe und Kraft uns groß machen will, wie er auch die eigentlich unbedeutende Frau aus Nazareth, Maria, bedeutsam und groß gemacht hat, weil sie sich auf Gott eingelassen hatte. Dazu will ich ermutigen und einladen. Wer eine Veränderung betreffs der Friedlosigkeit in der Welt sucht, der darf das Gottvertrauen nicht gering achten.