„Heimatvertriebene und Heimatverbliebene: Gemeinsam für ein friedliches Europa“
Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen 2024
Programm
Französische Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt, 24. August 2024, ab 12 Uhr
Begrüßung
Dr. Bernd Fabritius
Präsident
Festrede
Juliane Seifert
Staatssekretärin bei der Bundesministerin des Innern und für Heimat
Ansprache
Dr. Bernd Fabritius
Präsident
Ansprache
Egils Levits
Präsident der Republik Lettland a.D.
Geistliches Wort und Gedenken
Prälatin Dr. Anne Gidion
Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung und der Europäischen Union
Kranzniederlegung an der Ewigen Flamme
Im Anschluss an den Festakt fand um 15:30 Uhr die Kranzniederlegung auf dem Theodor-Heuss-Platz statt. Es sprachen:
Staatssekretär a.D. Rüdiger Jakesch
Vorsitzender des Berliner Landesverbandes des Bundes der Vertriebenen
Falko Liecke
Staatssekretär bei der Senatorin für Bildung, Jugend und Familie
Dr. Bernd Fabritius
Präsident des Bundes der Vertriebenen
Die höchsten Staatsämter, die Bundesländer, Ministerien und Mitgliedsorganisationen des Bundes der Vertriebenen ließen Kränze niederlegen.
Festrede zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 24. August 2024 in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin
Staatssekretärin Juliane Seifert
Sehr geehrter Herr Dr. Fabritius,
sehr geehrter Herr Präsident Levits,
sehr geehrte Frau Prälatin Dr. Gidion,
sehr geehrte Damen und Herren, Abgeordnete, Exzellenzen und alle diejenigen, die heute hier sind.
Herr Dr. Fabritius Sie hatten es gesagt, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser wäre heute sehr, sehr gerne hier bei ihnen gewesen, ich kann Ihnen aus vielen Gesprächen der letzten Wochen bestätigen, dass ihr der Termin ganz besonders am Herzen lag. Dass ihr ihre Rede und ihre Anwesenheit hier am Herzen lag.
Aber wir haben alle erfahren, was für grauenvolle Ereignisse gestern Abend in Solingen stattgefunden haben, ich denke unsere ganzen Gedanken sind bei den Angehörigen, bei den Familien, bei den Verletzten, bei den Einsatzkräften, bei den Bürgerinnen und Bürger in Solingen und deswegen bittet die Bundesinnenministerin um Verständnis, dass sie sich jetzt schon auf dem Weg nach Solingen befindet oder vielleicht auch schon da ist.
Aber zu der Veranstaltung heute hier, zum Tag der Heimat.
In dem Punkt 2 der Charta der deutschen Heimatvertriebenen heißt es:
„Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.“
So wurde es in der Charta im August 1950. Ein Jahr zuvor war die Bundesrepublik Deutschland gegründet worden. Der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg und die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus lagen gerade einmal fünf Jahre zurück. Europa lag in Schutt und Asche, über 60 Millionen Leben waren ausgelöscht, darunter allein 6 Millionen jüdische Männer, Frauen und Kinder, die Opfer des Holocaust wurden. Unser Land hatte schwerste Schuld auf sich geladen, angetrieben von Hass, von Rassenwahn und blindem Nationalismus.
Auf die Schrecken des Krieges folgte das Leid von Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung. Traumatisierende Erfahrungen, die über Generationen hinweg weiterlebten und unsere gemeinsame europäische Geschichte tief geprägt haben. Angesichts dieser Vergangenheit war das Bekenntnis der Charta zu einem geeinten Europa zukunftsweisend – wie die Charta auch insgesamt. Denn aus ihr spricht die Einsicht, dass eine friedliche Zukunft nur auf Basis von Versöhnung, Aussöhnung und Verständigung zu schaffen ist – und eben nicht durch „Rache und Vergeltung“.
An die Verkündung des sogenannten „Grundgesetzes der Vertriebenen“ erinnert Jahr um Jahr der „Tag der Heimat“, den wir heute hier begehen. Er bringt heute zusammen unter dem Leitwort: „Heimatvertriebene und Heimatverbliebene: Gemeinsam für ein friedliches Europa“. Und dieses Leitwort ist gerade in diesen Zeiten besonders passend gewählt. Denn darin liegt eine verdiente Würdigung dessen, was Vertriebene, was Aussiedler und Spätaussiedler für das Zusammenwachsen von Europa ganz konkret geleistet haben.
In Ihrem Leitwort, es reicht darüber hinaus, denn es liegt darin auch ein Auftrag für uns alle: Denn wir alle müssen – über Grenzen hinweg – zusammenrücken, um die Vision eines friedlichen Europas lebendig zu erhalten! Der spätere Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt hat schon 1943 gesagt:
„Der Tag wird kommen, an dem der Hass, der im Krieg unvermeidlich scheint, überwunden wird. Einmal muss das Europa Wirklichkeit werden, in dem Europäer leben können.“
Auch für ihn war Europa vor allem ein Friedensprojekt. Diese Idee, sie stand am Anfang der europäischen Integration, die uns – seit den Tagen von Robert Schumann und Jean Monnet – Schritt für Schritt, Etappe für Etappe, zur heutigen Europäischen Union geführt hat. Sie ist heute ein wichtiger Garant für viele weitere Errungenschaften: Rechtsstaatlichkeit, Wohlstand und Sicherheit – für weit mehr als 400 Millionen Menschen.
Trotzdem durchlebt das Projekt Europa aktuell schwierige Zeiten. Die Abfolge von Krisen hat ihre Spuren hinterlassen: Die europäische Idee hat für viele an Strahlkraft verloren, einstige Errungenschaften fühlen sich selbstverständlich an. Populisten und Extremisten machen Front gegen die europäischen Werte und Institutionen, predigen einen Weg zurück ins nationalstaatliche nationalistische Klein-Klein. Ein Blick in die Geschichtsbücher aber zeigt: Dieser Weg führt schnell in den Abgrund.
Lieber Herr Levits, Sie haben es in Ihrer „Hamburger Rede zur Zukunft Europas“ vom vergangenen Jahr gesagt: „Ein schwaches Europa, ein schwacher Westen kann den Frieden nicht sichern.“
Und deshalb ist es kurzsichtig und verantwortungslos, das europäische Projekt aus politischem Kalkül zu beschädigen – sei es durch antieuropäische Polemik, sei es durch unsolidarische Alleingänge auf Kosten der europäischen Partner. Stattdessen brauchen wir ein Europa, das auch in Zukunft für vertrauensvollen Dialog und konstruktiven Austausch steht. Den kulturellen Grundstein dafür haben nicht zuletzt die Heimatvertriebenen gelegt.
Die Brücken, die die Heimatvertriebenen in ihre alten Heimatgebiete geschlagen haben, haben sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte vervielfacht und verbreitert. Ihre Pfeiler sind zu einem belastbaren Fundament eines geeinten Europas geworden. Eine Leistung, auf die Sie zurecht stolz sein können.
Sehr geehrte Damen und Herren, der Neuanfang der Bundesrepublik und in der Bundesrepublik war für Vertriebene hart, konfliktreich und voller Entbehrungen. Mit den Ankommenden prallten unterschiedlichste Kulturen und Konfessionen, Mentalitäten und Dialekte aufeinander. Der Historiker Andreas Kossert schildert das sehr plastisch: „Bauern aus Galizien trafen auf urbane Württemberger, Prager Großbürger auf Oberfranken auf dem Land.“
Zu den kulturellen kamen die materiellen Probleme. Denn auf dem Boden der allgemeinen materiellen Not wuchs der Neid auf die Millionen neu ins Land Gekommenen. Schließlich kamen sie meist völlig mittellos. Vielerorts stießen die Entwurzelten auf Ablehnung, auf Abwertung und auf Ausgrenzung seitens der angestammten Bevölkerung.
Und zum Verlust der Heimat kam für viele der Schmerz, auch unter Deutschen in der Fremde zu sein.
Und trotzdem: Die Mitglieder ihrer Landsmannschaften haben sich nach der traumatisierenden Erfahrung von Vertreibung und Flucht hier eine neue Heimat aufgebaut. Sudetendeutsche, Schlesier, Pommern, Ost- und Westpreußen, Siebenbürger Sachsen und Ungarndeutsche – um nur einige zu nennen: Sie haben sich alle eingebracht und solidarisch an der Entwicklung unseres demokratischen Gemeinwesens mitgearbeitet.
Was sie erlebt und erlitten haben, brachten sie in unser gesellschaftliches Wertefundament ein, das auf die Würde des Menschen gegründet ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, am Anfang der Erfolgsgeschichte unserer Bundesrepublik stand eine unglaubliche Integrationsleistung. Sie war zu großen Teilen ein Verdienst der Heimatvertriebenen selbst. Und sie hat unsere Gesellschaft stärker und offener werden lassen.
Die Vertriebenen und Geflüchteten von damals haben all das geschafft: nicht obwohl, sondern weil sie nie Ihr kulturelles Erbe vergessen haben. Sogar ganz im Gegenteil – Sie pflegen Ihre Traditionen und machen sie so für nachfolgende Generationen erfahrbar. Damit helfen Sie, unsere Gesellschaft in ihrem Zusammenhalt und ihrer Vielfalt zu stärken und dafür gilt ihnen unser ausdrücklicher und ganz herzlicher Dank!
Dank verdient auch die zweite Gruppe, die das Leitmotiv, wir sehen es hier, der heutigen Veranstaltung anspricht: Die nämlich die Heimatverbliebenen. Denn die deutschen Minderheiten in den ost- und südosteuropäischen Staaten sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Kulturen, zwischen Nationen, zwischen Zivilgesellschaften. Und das ganz besonders in diesen Tagen, in der heutigen Zeit. Sie sind geborene Wegbereiter der Verständigung.
Und genau in dieser Rolle sehe ich es als unsere Pflicht, sie zu unterstützen. Minderheitenpolitik muss aus unserer Sicht als Innenministerium, beides leisten: Minderheiten in ihrer kulturellen Identität zu fördern und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Vielfalt zu schaffen. Denn Minderheitenpolitik zeigt auf, wie uns einerseits unsere Herkunft prägt und uns Identität verleiht. Zugleich vermittelt sie Offenheit für eine von vielfältigen Identitäten und Geschichten geprägte Gesellschaft. Gute Minderheitenpolitik bietet Halt und überwindet trotzdem Grenzen.
Die Bundesregierung ist sich ihrer besonderen Verantwortung für die deutschen Minderheiten bewusst und wir fördern sie umfänglich. Und, das, das ist mir sehr wichtig zu betonen, selbst angesichts der bestehenden Sparzwänge. Auch im kommenden Bundeshaushalt werden wir vollumfänglich und ohne Wenn und Aber diese wahrnehmen.
Das Geld, dass uns auch im kommenden Bundeshaushalt zur Verfügung stehen wird, wollen wir gut nutzen. Um – beispielsweise – in Polen dafür Sorge zu tragen, dass die außerschulische Sprachförderung der dortigen Deutschen verstärkt und intensiviert werden kann.
Dort sind wir auch nach schwierigen Jahren jetzt auf einem besseren und auf einem zuversichtlich stimmenden Weg, den wir weitergehen wollen.
Um in der Ukraine die Begegnungsstättenarbeit zu fördern und Angebote zu schaffen, von denen vor allem Jugendliche und Senioren profitieren. Um in Rumänien sicher zu stellen, dass in Siebenbürgen und im Banat Alten- und Pflegeheime weiter betrieben werden können. Denn hier schlagen massive Lohn- und Preissteigerungen zu Buche, die eine akute Gefahr für den Fortbestand dieser Einrichtungen darstellen.
Der Bund steht damit zu seiner Verantwortung, die er in den 1990er Jahren übernommen hat. So wie diese Bundesregierung fest an der Seite der deutschen Minderheiten steht.
Wir verleihen dieser Verbundenheit auch ganz konkret Ausdruck. Mit Projekten wie im polnischen Chronstau, wo wir mit einer Million Euro ermöglicht haben, dass der zweisprachige Kindergarten renoviert und ausgebaut wird. Damit haben wir die Möglichkeiten geschaffen, dort zwei Gruppen von je 25 Kindern in den Kindergarten aufnehmen. Für die erste Gruppe ging es auch bereits im vergangenen Jahr los.
In Chronstau gibt es übrigens auch die erste „Miro Deutsche Fußballschule“ für die deutsche Minderheit. Sie ist, wie man sich denken kann, nach Miroslav Klose benannt, der im heutigen Opole geboren ist, selbst ein Spätaussiedler und ein ganz wunderbarer, erfolgreicher und wichtiger Botschafter für den Sport, für seine Werte und für unser Land.
Auch die Angehörigen der deutschen Minderheiten leisten einen wertvollen Beitrag für die zwischenstaatlichen Beziehungen unseres Landes. Einen Beitrag, der in diesen Zeiten wichtiger ist denn je.
In Zeiten, da Konflikte aufbrechen und sich Gräben auftun – innergesellschaftlich, aber auch zwischenstaatlich. In denen zuweilen Politik kalkuliert auf dem Rücken von Minderheiten gemacht wird. Das haben wir – mit Blick auf die deutsche Minderheit – zum Beispiel über einige Jahre hinweg, ich habe es eben erwähnt, in Polen erlebt, als es um die Mittel für den Sprachunterricht ging.
In solchen Zeiten rückt wieder ins Bewusstsein, dass Minderheitenpolitik im Kern Friedenspolitik ist. Und wir spüren, wie weit wir – angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine – von einem friedlichen Europa entfernt sind, wie es in der Charta der Heimatvertriebenen umrissen ist.
Einem Europa ohne Furcht vor dem mörderischen, russischen Imperialismus, ohne den Zwang, sich der russischen Aggression erwehren zu müssen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich mache mir große Sorge um die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Ukraine. Und ich bin sehr sicher, dass es vielen von Ihnen genauso geht, und dass Sie dieses Gefühl teilen. Die täglichen Gräueltaten des verbrecherischen Krieges treffen dort alle Menschen und machen eben auch vor der deutschen Minderheit nicht halt.
Die zerstörte Begegnungsstätte der deutschen Minderheit in Mariupol ist zu einem Symbol für die Schrecken dieses menschenverachtenden Krieges geworden. Und umso wichtiger ist mir, dass wir als Bundesregierung ganz klare Signale der Solidarität an die deutsche Minderheit schicken: Mit dem Erwerb eines Hauses in Mukatschewo – im Westen des Landes, Ende des vergangenen Jahres aus Mitteln des BMI-Förderprogramms.
In dieses „Deutsche Haus“ ist inzwischen die „Deutsche Jugend Transkarpatien“ eingezogen und setzt ihr vielfältiges Engagement fort, unter anderem mit Jugendprojekten, mit Sprachkursen und mit generationenübergreifenden Aktionen. So helfen wir ganz konkret dabei, den Jugendlichen ein Stück Normalität zurückzugeben und etwas hoffungsvoller in die Zukunft zu blicken.
Dieses Engagement der deutschen Minderheit in der Ukraine zeigt auch sehr anschaulich die große Widerstandskraft der Menschen in diesem Land.
Trotz des Krieges arbeitet man in der Ukraine hart daran, die Voraussetzungen für einen EU-Beitritt zu schaffen. Dazu gehört auch ein modernes Minderheitengesetz. Der Vorsitzende des „Rates der Deutschen der Ukraine“, Volodymyr Leysle, hat dazu wesentliche Impulse beigetragen.
Und hier wird ganz konkret, wie deutsche Minderheiten mithelfen, das geeinte Europa zu schaffen, und weiterzuentwickeln, das geeinte Europa, von dem Eingangs die Rede war. Sie helfen – und sie verdienen, dass wir ihnen helfen. Gerade jenen, die heute vor Krieg und Gewalt aus der Ukraine fliehen.
Bei Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern standen wir dabei vor einer rechtlichen Hürde: Das bisherige Bundesvertriebenenrecht sah vor, dass jeder, der seinen Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet aufgibt und sich anderswo für längere Zeit niederlässt, unweigerlich seine Rechte als potenzieller Spätaussiedler einbüßt – darunter bisher auch Geflüchtete vor dem russischen Angriffskrieg. Ein Zustand, den viele ungerecht empfanden und den viele auch zu Recht ungerecht empfanden. Die Ministerin hat diese Kritik ausdrücklich geteilt.
Und deswegen sind wir ausgesprochen froh, dass eigentlich die Ministerin, aber jetzt ich, an dieser Stelle verkünden kann, dass es uns gelungen ist, per Verordnung abzusichern, dass Ukraine-Geflüchtete ihre potenziellen Ansprüche als Spätaussiedler behalten. Und das auch rückwirkend ab dem Tag des Kriegsbeginns.
Damit ist sichergestellt, dass alle Betroffenen von den neuen Regelungen profitieren – und zwar von Anfang an. Auch Personen, die in Zusammenhang mit ihrer kriegsbedingten Flucht bereits erfolglos einen Spätaussiedlerantrag gestellt haben, sie können jetzt ihren Anspruch geltend machen, und ihr Anliegen wiederaufgreifen. Sofern sie natürlich die rechtlichen weiteren Voraussetzungen des Bundesvertriebenengesetzes hierfür erfüllen.
Diese Verordnung ist ein wichtiger Schritt, wir sind froh, dass sie jetzt eben auch in Kraft tritt. Wir gehen damit den Weg weiter, den die Änderung des Bundesvertriebenengesetzes im vergangenen Jahr geebnet hat. Sie wissen, dass der Deutsche Bundestag das Gesetz im letzten November beschlossen hat.
Und auch was die Regelungen mit Blick auf das Bekenntnis zum deutschen Volkstum anging, hat das Parlament die Aufnahme von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler damit erleichtert. Denn bei diesem Thema waren die Anforderungen der Gerichte oftmals schwer zu erfüllen und wurden den Lebensrealitäten der Spätaussiedler nicht immer gerecht. Auf diese Gesetzesänderung sind wir ebenfalls sehr stolz.
Schließlich geht es um Menschen, es geht um Recht und um Gerechtigkeit. Also um genau die Werte, für die wir in Deutschland und Europa einstehen.
Sehr geehrte Damen und Herren, gerade, dass wir in einem Rechtsstaat leben, ist eine unschätzbar wertvolle Errungenschaft. Unser gemeinsames Europa ist auf der Herrschaft des Rechts gebaut. Sie ist fester Bestandteil unserer freiheitlichen und demokratischen Verfassung, des Grundgesetzes. Sie ist ein tragender Teil unserer Erfolgsgeschichte.
Und an dieser Geschichte haben Heimatvertriebene und Heimatverbliebene als Botschafter der Verständigung und des Friedens ganz maßgeblich mitgeschrieben.
Und sie haben sie nicht nur mitgeschrieben, sondern sie schreiben sie auch in unserer aktuellen Gegenwart fort, wenn ich etwa an den Austausch mit den Angehörigen der deutschen Minderheit in Lettland denke, die heute hier, anlässlich dieses Tages der Heimat, zu Gast beim Bund der Vertriebenen sind.
Solche Begegnungen sind wichtig, um sich mit der Vergangenheit nicht nur abstrakt auseinanderzusetzen, sondern sich ganz persönlich über Kontakten in Begegnungen zu erleben, sich über die Gegenwart zu verständigen und damit auch weiter in die Zukunft blicken zu können und den Weg fortgehen zu können. Das Programm bietet dazu viele Möglichkeiten und es freut mich, dazu als Bundesministerium des Innern und für Heimat einen Beitrag geleistet zu haben.
Aber den wirklich wichtigen Beitrag den leisten Sie, als Heimatvertriebene und Heimatverbliebene, als Wegbereiter und Brückenbauer. Ohne Ihren Beitrag wäre das Europa, das wir heute kennen, nicht möglich. Ein Europa, das unsere gemeinsame Heimat ist.
Lassen Sie es uns gemeinsam bewahren.
Ganz herzlichen Dank!
Ansprache zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 24. August 2024 in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius
Sehr geehrter Herr Staatspräsident a.D. Levits,
sehr geehrte Frau Staatssekretärin Seifert,
sehr geehrte Frau Bevollmächtigte, Prälatin Dr. Gidion,
geehrte Exzellenzen, Eminenzen,
geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestags der Landtage,
geehrte Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler,
verehrte Ehrengäste aus Bund, Ländern und Gemeinden,
geehrte Vertreter der deutschen Minderheiten aus den Nachbarländern,
liebe Landsleute,
meine Damen und Herren!
Zur diesjährigen Auftaktveranstaltung zum Tag der Heimat 2024 des Bundes der Vertriebenen heiße ich Sie ganz herzlich willkommen!
An dieser Stelle meine Damen und Herren hätte ich jetzt Frau Ministerin Faeser als Bundesministerin des Innern und für Heimat der Bundesrepublik Deutschland ganz herzlich begrüßt. Ich habe gerade mit Frau Bundesminister Faeser telefoniert. Sie ist extra für unseren Termin heute nach Berlin angereist, befindet sich jetzt aber unterwegs nach Solingen. Ich habe Frau Bundesministerin unser Verständnis ausgedrückt und in dem Telefonat herzlich dafür gedankt, dass sie die Bereitschaft und auch den Willen hatte, heute bei uns zu sein – und habe gleichzeitig Verständnis dafür geäußert, dass wir bei einem derart niederträchtigen und schrecklichen Ereignis wie es gestern Abend in Solingen passiert ist – mit mehreren Toten und Schwerverletzten – völliges Verständnis dafür haben, dass sie als Bundesinnenministerin nach Solingen reist. Besonders dann, wenn der Täter sich vermutlich noch auf der Flucht befindet.
Ich habe Frau Faeser ausdrücklich dafür gedankt, dass Sie unsere Einladung aus Überzeugung angenommen hat und habe Ihr gesagt, dass wir sie unterwegs nach Solingen wissend mit unseren Gedanken begleiten und unser Mitgefühl den Angehörigen der Opfer dieses niederträchtigen Ereignisses gilt.
Ich danke Ihnen, liebe Frau Staatssekretärin Seifert, dass sie selbstverständlich sofort eingesprungen sind und das Bundesministerium des Inneren heute hier, wie wir sie kennen, würdig und engagiert vertreten werden Danke dafür, dass Sie hier sind. Wir begrüßen Sie ausdrücklich als Repräsentantin des Ministeriums, das in der Bundesregierung für einen ganz wichtigen Teil von unseren Themen zuständig ist und unseren Verband im anerkannten Bundesinteresse fördert. Auch dafür möchte ich an dieser Stelle sehr herzlich danke schön sagen. Wir freuen uns auch, dass Sie die Festrede, die Frau Bundesminister Faeser vorbereitet hat, für sie vortragen werden. Nehmen Sie unseren Dank auch an Frau Bundesminister Faeser mit. Sie hat im Telefonat eine Einladung ausgesprochen, dass wir als BdV in einen engen Dialog treten. Diese Einladung nehme ich an und wir werden, wenn das geht eine Terminfindung zu vereinbaren, mit dem gesamten Präsidium des BdV in einen Dialog eintreten. Auch dafür danke schön.
Eine ganz besondere Freude ist uns allen, dass Sie, sehr geehrter Herr Staatspräsident Levits, Ehrengast unseres Tags der Heimat sind und an unserer Hauptveranstaltung teilnehmen. Während Ihrer Amtszeit als Präsident der Republik Lettland, aber auch als ehemaliger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, waren die friedenstiftende Rolle der Minderheiten in Europa sowie die Allgemeingültigkeit von Menschenrechten stets Leitlinien Ihres Handelns.
Das ist auch sehr im Sinne des BdV als einen der führenden Menschenrechtsverbände in Deutschland. Wir freuen uns deswegen sehr auf Ihre Ansprache.
Der Kontakt kam im Übrigen zustande über die deutsche Minderheit in Lettland, die heute auch mit einer Abordnung unter der Leitung der Verbandsvorsitzenden, Frau Ilze Garda, hier ist. Auch Ihnen allen aus Lettland ein herzliches Willkommen!
Ihnen, sehr geehrte Frau Prälatin Dr. Gidion, sind wir ebenfalls zu Dank verpflichtet. Sie werden mit dem geistlichen Wort als Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland unseren Tag der Heimat würdig und angemessen beschließen.
Ich freue mich, dass traditionell die Potsdamer Turmbläser unter der Leitung von Stephan Rudolph unsere musikalische Umrahmung bieten. Ich darf Ihnen ankündigen, dass auch unsere Besucher aus Lettland nach der Rede ihres ehemaligen Präsidenten ergänzend einen kleinen musikalischen Beitrag bieten werden.
Und auch in diesem Jahr übertragen wir unsere zentrale Auftaktveranstaltung live im Internet. Hallo da draußen! Wir werden so auch jene Menschen erreichen, die heute nicht in Berlin anwesend sein können.
(Es folgte die Ansprache der Staatssekretärin Juliane Seifert.)
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Seifert, wir danken ausdrücklich für Ihre Worte und sind sehr erfreut zu hören, dass die Rechtsverordnung, um die wir so lange gemeinsam gekämpft haben, nun auf der Zielgeraden ist. Danke ausdrücklich auch für das Bekenntnis des Bundesministeriums des Innern für die weitere Förderungen der deutschen Minderheiten, unsere Heimatverbliebenen in den Heimatgebieten. Ich denke, dass in allen Ländern, die Sie explizit angesprochen haben, heute so manche Steine vom Herzen gefallen sind. Die besten Grüße gehen an die Heime der deutschen Minderheit in Siebenbürgen an dieser Stelle.
Meine Damen und Herrn,
unser Leitwort in diesem Jahr lautet „Heimatvertriebene und Heimatverbliebene: Gemeinsam für ein friedliches Europa“. Ich möchte, bevor ich mich anderen Themen zuwende, zum diesjährigen Leitwort ein paar Gedanken mit Ihnen teilen – über Heimatvertriebene, über deutsche Minderheiten in unseren östlichen Nachbarländern, und ja, auch über Frieden in Europa.
„Wer seine Heimat verliert, erleidet nicht einfach nur irgendeinen Verlust, sondern den größten, den man sich vorstellen kann.“ Das waren die Worte, die vor einem Jahr an ebendiesem Rednerpult der damalige Hessische Minister für Inneres und Sport, Peter Beuth, gewählt hat.
Von den mehr als 18 Millionen Deutschen im Osten verloren bis zu 15 Millionen ihre Heimat, weit über 2 Millionen verloren ihr Leben oder blieben bis heute vermisst.
Peter Beuth benannte in seinen Worten zutreffend das Empfinden der Heimatvertriebenen: Man verliere „ein Stück der Seele, bis ans Ende des Lebens“. Auch dann, wenn diese Menschen heute ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft sind und mit ihren Schicksalen, ihren Identitäten, ihrem kulturellen Erbe ganz selbstverständlich zu Deutschland gehören.
Lassen Sie mich heute auch über unsere Heimatverbliebenen sprechen. Sie haben es auch schon getan, Frau Staatssekretärin Seifert. Sie gehören – wie die zweite Seite einer Medaille – zu uns, mit ihrem Kriegsfolgeschicksal auch zu Deutschland.
Sie leben heute als deutsche Minderheiten in unseren östlichen Nachbarländern, von Polen über Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Serbien, Rumänien bis hin zu einigen der Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Auch wenn der Krieg und seine Folgen unsere Volksgruppen geographisch auseinandergerissen haben, gehören wir Heimatvertriebene und Heimatverbliebene doch genau und selbstverständlich zusammen.
Was für diejenigen, die Flucht und Vertreibung noch selbst erlebt haben, bis heute die Heimat im Herzen geblieben ist, ist für die anderen – die Heimatverbliebenen – deren täglicher Lebensraum.
Sie sind nach dem Krieg als tradiertes Sozialgefüge, als Volksgruppe und Gemeinschaft radikal dezimiert worden. Gewachsene Strukturen gingen verloren. Mehrheiten wurden zu Minderheiten. Familien fanden sich in der Folgezeit zwischen hüben und drüben zerrissen.
Das heutige Wirken der nationalen Selbstorganisationen erinnert uns immer wieder daran, dass die Geschichte nur dann vollständig erzählt ist, wenn Heimatvertriebene und Heimatverbliebene zusammen gedacht werden.
Für den Bund der Vertriebenen, lieber Bernard Gaida – ich betone das immer wieder – sind die deutschen Minderheiten und ihre Verbände Partner auf Augenhöhe, die in unseren östlichen Nachbarländern eine unverzichtbare Arbeit leisten – sowohl für die eigenen Volksgruppen als auch für unsere jeweiligen Heimatländer. Sie sind wahre Botschafter deutscher Kultur im Ausland und als Akteure eines multiethnischen Miteinanders die geborenen Vertreter des europäischen Gedankens.
Meine Damen und Herren, wir im Bund der Vertriebenen verstehen unsere Partnerschaft mit unseren heimatverbliebenen Landsleuten so, dass wir füreinander einstehen und untereinander unterstützen.
Deswegen wirkt der BdV beispielsweise mit Nachdruck auf die Bundesregierung ein, auch die Förderung der deutschen Minderheiten in unseren Nachbarländern verlässlich und angemessen zu garantieren – wie Sie das heute getan haben, liebe Frau Staatssekretärin Seifert – anstatt unter Ausblendung der vorher geschilderten Zusammenhänge über zum Teil existenzielle Kürzungen nachzudenken. Ich meine damit nicht das BMI, sondern die Bundesregierung im Ganzen.
Ebenso deutlich treten wir auf, wenn die Bundesregierung gefordert ist, gegen Missstände anzugehen und diplomatisch auf Lösung der Probleme zu drängen. Etwa wenn die deutschen Minderheiten sich Benachteiligungen seitens der jeweiligen Regierung ihres Heimatlandes ausgesetzt sehen – so wie zuletzt geschehen bei der diskriminierenden Kürzung des muttersprachlichen Deutschunterrichts nur für deutschen Minderheit in Polen.
Ein weiterer Bereich gemeinsamen Interesses ist die Pflege und Weiterentwicklung unserer spezifischen Kultur. Die deutsche Kultur im östlichen Europa war und ist bis heute wesentlicher Bestandteil nicht nur unserer, sondern der gesamteuropäischen Kultur- und Geistesgeschichte. Diese dem Vergessen preiszugeben oder aus Unverständnis wegzusparen, meine Damen und Herren, ist für uns keine Alternative!
Annäherung, Verständigung, Verständnis und Freundschaft und Frieden gelingen nur, wo die gemeinsame wie die unterschiedliche Kultur mit einbezogen werden. Daher verbinden wir den Ansatz der Wahrung, Erforschung und Dokumentation des kulturellen Erbes der deutschen Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler zukunftsorientiert mit dem Gedanken einer auch kulturell orientierten Völkerverständigung.
Umso wichtiger ist es den intensiven Kontakt zu den Kulturregionen der Heimatgebiete, zu den deutschen Minderheiten, aber auch zu den heutigen Mehrheitsbevölkerungen dort zu pflegen.
Das, liebe Entscheidungsträger der Politik, ist ein wesentliches Merkmal der Arbeit und des Selbstverständnisses der Vertriebenen in Deutschland.
Meine Damen und Herren, liebe Landsleute, die Kultur der Heimatvertriebenen, deren Träger von heute, aber auch deren Förderung und deren Zukunft sind ein fortwährendes Thema in unseren Kreisen.
Ich erinnere daran, dass die Gesamtheit der Kultur der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler ihre Wurzeln ausnahmslos in Regionen und Landstrichen hat, die nicht auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland liegen.
Was wir in unseren Landsmannschaften und in sämtlichen unseren Verbänden in Deutschland heute leben, pflegen und weiterentwickeln, das sind „Setzlinge“, meine Damen und Herren, die einst dem Boden der Heimat entrissen wurden und die hier neu und vielfältig ausgetrieben haben.
Die kulturellen „Mutterpflanzen“ aber, wenn ich Sie so nennen darf, befinden sind noch in der alten Heimat. Es muss daher, meine Damen und Herren, ein Gebot bundesdeutscher Vernunft bleiben, die lebendige Kulturarbeit dort, einschließlich der nicht beweglichen Kulturgüter wie Bauten und Denkmäler, Kirchen, Kirchenburgen und Friedhöfe, ebenfalls zum Gegenstand unserer Politik und Förderung zu machen.
Es ist uns nicht egal, wie mit unserer mehrere Hundert Jahre alten Kulturgeschichte umgegangen wird. Sie ist die Wiege, aus der wir stammen! Sie ist eine wichtige Triebfeder dafür, dass wir als Freunde die Hand in jene Nachbarländer reichen, reichen können, die historisch betrachtet einmal Vertreiberstaaten gewesen sind.
Mehr noch: Unsere gemeinsame Kultur ist ein maßgeblicher Teil unserer Identität – in Deutschland und in Europa. Und nur wenn wir erklären können, wo wir als Land und als Volk herkommen und was uns ausmacht, können wir integrationswilligen Menschen heutiger Tage überhaupt zeigen, wie man hier ankommt und Heimat finden kann. Selbst wenn man – ganz anders als wir! – aus fremden Kulturkreisen zu uns kommt.
Wir sind es, die hier Wissenslücken in Deutschland, die offen kundig bestehen, schließen können. Unsere Volksgruppen, meine Damen und Herren, zeigen, dass Vielfalt wirklich zum Schatz einer Gesellschaft werden kann – und zwar dann, wenn alle sich ihr zugehörig fühlen! Bayern und Sudetendeutsche, Rheinländer und Siebenbürger Sachsen, Niedersachsen und Schlesier –. jede Volksgruppe bringt ihre spezifische Kultur ein in ein großes Ganzes.
Genau diesen Anspruch haben alle Vertriebenen. Wir alle sind ein Teil des Ganzen.
Was unsere spezifisch deutschen Spuren in der europäischen Kultur angeht, so will ich nur so viel sagen: Interesse an Dokumentation und Aufarbeitung von Geschichte scheint der menschlichen DNS eingeschrieben. In vielen Ländern Europas, in zahllosen Städten und Kommunen gibt es Bestrebungen, etwas über die vertriebenen Deutschen und deren Geschichte zu erfahren. Ich konnte etwas unglaublich Bewegendes in Rumänien erleben, geehrte Frau Botschafterin: das unbändige Interesse der rumänischen Mehrheitsgesellschaft an der Kultur und Geschichte der einst dort lebenden Deutschen. Vielfach sucht man den Kontakt zu uns, zu unseren Organisationen und Heimatsammlungen. Wo es nicht anders geht, ist man sogar archäologisch tätig.
Aber hier in Deutschland, meine Damen und Herren, wo die Verantwortung am größten sein sollte, müssen wir für diese Kulturarbeit am allermeisten kämpfen. Manchmal, sehen sie mir die Deutlichkeit nach, beschleicht mich sogar das Gefühl, man wolle sich „dieses Themas ein bisschen entledigen“.
In dem Institut, das aus wissenschaftlicher Sicht für unsere Geschichte und unsere Kultur zuständig ist – und wo über die kulturellen Projekte der Landsmannschaften und BdV-Landesverbände entschieden wird –, streicht man den nationalen Identitätsbezug mal einfach so aus dem Namen. Es hieß vorher Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa! Und diese „Streichung der Deutschen“ ist ebenso schmerzhaft für die Deutschen, die heute noch im östlichen Europa leben.
Unsere eigene Kulturstiftung, meine Damen und Herren, droht vollständig aus der Bundesförderung zu fallen – eine existenzbedrohende Situation! Die ohnehin spärlichen Fördermittel für die aktive kulturelle Basisarbeit unserer Verbände werden wohl erneut gekürzt. Ehrenamtliches Engagement mit einem Höchstmaß an Herzblut steht auf dem Spiel.
Dabei erwächst der Arbeitsauftrag für alle Institutionen, Verbände, Museen und Gruppierungen, die sich der Kulturarbeit der Vertriebenen verschrieben haben, aus einem Bundesgesetz. In § 96 des Bundesvertriebenengesetzes verpflichten sich Bund und Länder, so ist es gesetzlich festgeschrieben, „Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistung der Vertriebenen und Flüchtlinge zu fördern“. Meine Damen und Herren, das sind ganz eindeutige und unmissverständliche Formulierungen.
Darin ist das Fundament dafür gelegt, dass die Vertriebenen mit ihren Verbänden und Institutionen sowohl Adressaten als auch Akteure einer erfolgreichen Kulturpolitik sein sollen.
Deswegen sagen wir als Akteure sehr deutlich: Finger weg von der Schwerpunktsetzung der 96er-Institutionen! Und Finger weg, meine Damen und Herren, von der Förderung der Arbeit, die wir selbst leisten! Unsere kulturelle Basisarbeit und die Kulturstiftung der deutschen Heimatvertriebenen gehören weiterhin nachhaltig und verlässlich gefördert!
Damit bin ich, meine Damen und Herren, mittendrin im Thema „Erinnerungskultur“, welches ich heute ebenfalls erneut ansprechen muss.
Die Erinnerung an Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg, an ihre Eingliederung und ihre Aufbauleistungen, aber auch an ihren grenzüberschreitenden Brückenschlag in Europa, den Sie Frau Staatssekretärin Seifert dankenswerterweise gewürdigt und beton haben, ist ein eigenständiger, und doch selbstverständlicher Bestandteil der gesamten deutschen Erinnerungskultur.
Diesen Teil deutscher Geschichte einer „von Migration und Mobilität geprägten Gesellschaft“ zuzuordnen – wie unlängst ein Konzeptpapier der Bundesregierung zur Erinnerungskultur es tat – ist gefährlich falsch! Denn damit werden historische und soziologische Unterschiede zur Einwanderung heutiger Zeit ignoriert oder verwischt. Auch wenn das Papier nach deutlichster Kritik förmlich zurückgezogen worden ist, das Denkmuster hat vermutlich weiter Bestand und das treibt mich mit Sorge um.
Der Bund der Vertriebenen erwartet, dass eine Debatte über die Grundsätze der Erinnerungskultur und die Erweiterung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes breiter geführt wird. Sonst besteht die Gefahr einer staatlich gelenkten Geschichtsinterpretation und Erinnerungskultur. Und das kann niemand wollen – zuallerletzt die bis zu fünf Millionen Aussiedler und Spätaussiedler, die in Ostblocksysteme hineingeboren wurden, oder unsere Mitbürger, die den Unrechtsstaat DDR und das dortige staatliche gelenkte Geschichtsinterpretationswesen noch persönlich erleiden mussten.
Neben den bestehenden Themen NS-Diktatur und SED-Unrecht und den aktuell diskutierten Themen wie Kolonialismus, Migrationsgeschichte oder Demokratiebewegungen muss doch der kollektive Biografiebruch unseres Volkes, Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, einbezogen werden. Warum ist davon bislang nichts zu hören oder zu lesen?
Die Frage muss ich stellen, und zwar muss ich sie deswegen stellen, weil die vergleichende Betrachtung von Geschichte und Gegenwart an dieser Stelle ganz genau dem unverzichtbaren interkulturellen Dialog entspricht: Erfolgreich und mit positiven Ergebnissen verläuft beides nur, wenn man Gemeinsamkeiten und Unterschiede entdeckt und diese ehrlich und unverblümt herausarbeitet. Ideologische Filter hingegen führen zielsicher zu falschen Ergebnissen.
Aus unserer Arbeit hier in Deutschland und der Arbeit der deutschen Minderheiten in der Heimat, aus unserer Geschichte und unserer Kultur im Zusammenspiel mit anderen Kulturen in den Heimatgebieten, aus unserem Vertreibungsschicksal, unserem Schicksal als Minderheiten in diktatorischen Regimen, aus unserer Ankunft in Deutschland und unserer selbst gestalteten und vorangebrachten Eingliederung ergibt sich, meine Damen und Herren, ein wunderbares Lehrstück für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft, für den grenzüberschreitenden Zusammenhalt von Gesellschaften untereinander – und für die Sicherung des Friedens!
Das ist es, was unsere Verbandsgründer mit dem Ziel eines freien, geeinten und friedlichen Europas schon 1950 als ein Fundament unserer Arbeit in die Charta hinein geschrieben haben. Und das ist mit dem Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine und die freie Welt, mit Blick auf andere Konfliktherde unseres Kontinents und auch mit dem Blick, auf das was heute innenpolitisch vorgeht, vielleicht wichtiger denn je!
Meine Damen und Herren, liebe Gäste, gestatten Sie mir zum Ende heute ein paar Gedanken zu Spätaussiedlern in unseren Reihen, auch da mit Ihnen, liebe Frau Staatssekretärin Seifert, das zuständige Bundesministerin anwesend ist.
Bereits Mitte November 2023 wurde die Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) im Bundestag verabschiedet. Ich danke an dieser Stelle noch einmal für die Unterstützung, die wir aus dem BMI dafür erfahren haben. Handlungsbedarf hatte der BdV angemeldet, weil die Aufnahmepraxis für Spätaussiedler ab Mitte 2022 durch unbotmäßige Auslegungen im Bereich des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum enorme Hürden aufgebaut hatte.
Die Gesetzesänderung, die auch Sie angesprochen haben, ist eine deutliche Verbesserung, auch wenn wir als Verband im Sinne der Betroffenen für weitergehende und vor allem klarere Formulierungen eingetreten sind.
Trotzdem: Mit der Novellierung ist nunmehr klar, dass ein aktuelles Bekenntnis zum deutschen Volkstum Vorrang vor historischen und von sowjetischen Behörden festgeschriebenen „Bekenntnissen“ zu einem nichtdeutschen Volkstum hat und dass ernste Änderungsbemühungen zur Glaubhaftmachung ausreichen müssen.
Ich danke noch einmal, liebe Frau Staatsekretärin Seifert, dass die Rechtsverordnung, die zur Ergänzung dieses komplexen Themas gefordert war, auf den Weg ist.
Wir haben als BdV stets betont, dass Angehörige der deutschen Minderheiten aus der Ukraine oder aus der Russischen Föderation, die aufgrund des Krieges Russlands gegen die Ukraine in die europäischen Nachbarländer, nach Deutschland oder weiter nach Westen geflüchtet sind, mit dieser Flucht keinesfalls ihren Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten endgültig aufgeben. Genau das ist pauschal unterstellt worden, sobald die Fluchtdauer sechs Monate überstieg. Es drohte der Verlust des Anspruchs auf Anerkennung als Spätaussiedler.
Ich danke ihnen noch einmal, dass Sie eine solche Rechtsverordnung auf den Weg gebracht haben. Ich hoffe, dass sie die Lebenswirklichkeit der Menschen aufnimmt. Das wird der BdV auch in der weiteren Verwaltungspraxis genau beobachten.
Meine Damen und Herren, liebe Landsleute, wie jedes Jahr spreche ich an dieser Stelle auch einen ganz herzlichen Dank aus: Ihnen persönlich, sowie allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in den Landes- und Kreisverbänden, in den Landsmannschaften in den vielfältigen Kulturgruppen.
Für die Schicksalsgemeinschaft, die sich im Bund der Vertriebenen zusammengeschlossen hat, gibt es zusehends mehr zu tun, je mehr unsere Anliegen und all das, wofür wir stehen, vermeintlich in Vergessenheit geraten.
Eines verspreche ich Ihnen: Wir bleiben ganz bestimmt dran!
Vielen Dank.
Ansprache zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 24. August 2024 in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin
Präsident der Republik Lettland a.D. Egils Levits
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin,
Sehr geehrte Herr Präsident des Bundesverbandes der Vertriebenen,
Meine Damen und Herren,
zunächst möchte ich mein tiefstes Bedauern und Mitgefühl für die Opfer des schrecklichen Anschlags in Solingen ausdrücken. Auf eine zufällige Art und Weise hat dieser Anschlag auch ein wenig mit dem Inhalt meiner heutigen Rede zu tun, denn ich werde einige Gedanken mit Ihnen über die Lage in Europa und die Lage der Demokratie teilen.
Die Vertriebenen als Teil des deutschen Volkes sind ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, der mit einem von Deutschland initiierten Angriffskrieg gegen seine Nachbarn begann. Diese tragische Geschichte hat die Vertriebenen besonders sensibilisiert für die schrecklichen Folgen von Krieg und Vertreibung. Sie sind sich der Bedeutung der Rechte von Minderheiten, wie Sie, Herr Fabritius, bereits erwähnt haben, der Bewahrung kultureller Identität und der Einigkeit in Vielfalt innerhalb des europäischen Projekts besonders bewusst. Diese Geschichte verpflichtet die Vertriebenen, sich in besonderem Maße für die Stärkung Europas auf der Grundlage der westlichen Werte einzusetzen. Für die Vertriebenen, wie für alle Europäer und Demokraten, ist es schockierend und schmerzhaft zu sehen, dass über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erneut Krieg in Europa herrscht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Vereinten Nationen mit dem Ziel gegründet, künftig keine Kriege mehr zuzulassen. Dennoch gab es seitdem über 250 bewaffnete Konflikte, von denen allerdings nur zwei als Aggressionskrieg im Sinne des Völkerrechts gelten. Der erste, der Angriff und die Annexion des Iraks auf Kuwait. Und jetzt, seit zweieinhalb Jahren, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit dem Ziel, die Ukraine zu vernichten. Seit den Nürnberger Prozessen gilt ein Angriffskrieg neben dem Genozid als das schwerste Verbrechen des Völkerrechts überhaupt. Dafür gibt es keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist zugleich der sichtbarste Ausdruck, das sichtbarstes Zeichen, eines Systemkonflikts. Eines Systemkonflikts zwischen unvereinbaren Werten. Eines Systemkonflikts zwischen Autokratie und Demokratie.
Wir alle wissen, dass sich die Demokratie seit etwa einem Jahrzehnt in einer ernsthaften Krise befindet, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Heute symbolisch, am heutigen Tag ist der 33. Unabhängigkeitstag der Ukraine, die sich für ihre Unabhängigkeit, für die Demokratie, in einem bewaffneten Kampf befindet. Und der Anschlag in Solingen erinnert uns ebenfalls an die Gefährdungen, durch die eine Demokratie, ein Rechtsstaat, ein friedliches Zusammenleben heute in Gefahr ist.
Demokratie ist eine Staats- und Gesellschaftsordnung, die auf der freiwilligen Zustimmung und Teilnahme ihrer Mitglieder beruht, die in den Vorstellungen der Mehrheit folgt, aber bei gleichzeitiger institutioneller Garantie der Rechte der Minderheiten. Doch in den letzten Jahren wächst in vielen westlichen Staaten, am linken und am rechten Rand des politischen Spektrums, die Zahl derjenigen, die der Demokratie und dem Rechtsstaat skeptisch und ablehnend gegenüberstehen. Diese Entwicklung untergräbt die Stabilität der Demokratie. Diese Tendenz zeigt sich sowohl in alten als auch in neuen Demokratien der westlichen Welt, beiderseits des Atlantiks.
Offensichtlich schützt eine lange demokratische Geschichte nicht vor Gefährdungen und dem sogenannten Backsliding. Im europäischen weltpolitischen Maßstab sehen wir diese Tendenz ganz klar in der zunehmenden Müdigkeit in der Unterstützung der Ukraine. Diese Müdigkeit schadet Europa, schadet dem Westen und schadet der Idee der Demokratie in dreifacher Weise.
Erstens, gefährdet sie die Sicherheit Europas. Ein Verrat an der Ukraine wird keinen Frieden bringen, solange in Russland ein aggressives autokratisches Regime herrscht. Die Belohnung für das Verbrechen des Aggressionskrieges – ich erinnere: des schwersten völkerrechtlichen Verbrechens überhaupt – wird nur neue Aggressionen hervorrufen.
Zweitens, würde die Niederlage der Ukraine klar die Niederlage der Idee der Demokratie bedeuten. Demokratische Bekenntnisse würden sich als hohle Rituale erweisen. Die weltweit einzigartige Anziehungskraft der Idee der Demokratie und des Rechtsstaates würde erheblich an Glanz verlieren. Was wäre denn diese Idee noch wert, wenn sie nicht in der Lage wäre, sich zu mobilisieren und einem angegriffenen, demokratischen Staat effektiv zu helfen?
Und drittens, würde die faktische Akzeptanz des Aggressionskrieges, den nach dem Zweiten Weltkrieg erreichten Standard des Völkerrechts in den Zustand davor zurückversetzen, als Kriege noch als legitimes Mittel der Politik galten, und das würde die Welt zu einem viel, viel gefährlicheren Ort machen.
Die jetzige Weltlage gibt wenig Anlass zum Optimismus, leider. Wenn wir dennoch den drohenden weiteren Niedergang der Idee der Demokratie und der demokratischen Praxis verhindern wollen, müssen wir vor allem die anhaltende Führungsschwäche des Westens überwinden, und zwar wiederum beiderseits des Atlantiks.
Die gute Nachricht dabei ist, dass es keinen objektiven Grund für diese Schwäche gibt. Global gesehen, sind die westlichen demokratischen Staaten wirtschaftlich, technologisch und militärisch weiterhin führend. Allen anderen Staaten überlegen. Das Potenzial ist da, noch da.
Die schlechte Nachricht ist, dass die Fähigkeit der politischen Elite, strategische Entscheidungen mit langfristiger Wirkung zu treffen und eine konsequente, zielorientierte Politik über die aktuelle Wahlperiode hinaus zu verfolgen, dem Ernst der Lage nicht gerecht wird.
Der bekannte liberale politische Philosoph Karl Popper sagte einmal, dass der größte Vorteil der Demokratie gegenüber einer Autokratie darin besteht, dass die Bürger für ihre Meinungen nicht ins Gefängnis kommen und eine Regierung, die Ihnen nicht gefällt, ohne Blutvergießen absetzen können. Das ist, sozusagen, die „Minimal-Demokratie“, die Demokratie leistet, in allen Fällen. Aber ob die Politik richtig oder fehlerhaft ist, ob sie das Land voranbringt oder zurückwirft, hängt von den Führungsqualitäten der politischen Elite und von der Einsicht, sowie der Werteordnung der Bürger ab. Die Demokratie als Staatsform allein garantiert noch keine gute Politik und keine zufriedenstellenden Ergebnisse.
Was uns bleibt: Wie die meisten Letten, glaube ich an die Vernunft. Und zwar an die politische Vernunft, sowohl der Bürger als auch der politischen Elite, die die gegenwärtige bedrohliche Lage realistisch erkennt und entsprechend strategisch und konsequent handelt. Wir in Lettland glauben auch an Europa, an die Europäische Union. Lettland gehört zu den am meisten proeuropäischen Nationen Europas. Als eine kleine Nation können wir uns einfach nicht leisten, politisch kurzsichtig zu sein und die Realität durch eine rosarote Brille zu sehen. Es ist klar, dass zur Überwindung der gegenwärtigen Schwächeperiode des Westens eine institutionelle und politische Stärkung der europäischen Union unerlässlich ist. Eine intelligente, nichtprovinzielle Politik würde genau dort ansetzen.
Zum Beispiel haben in den letzten Monaten etliche europäische Politiker zunehmend die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit und Integration im Bereich der Verteidigung betont. Diese Zusammenarbeit sollte nicht in Konkurrenz zur NATO stehen, sondern in enger Abstimmung mit der NATO erfolgen, insbesondere durch die Förderung der Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungsindustrie. Es gibt durchaus interessante Ansätze von Frau von der Leyen in diese Richtung, auch dass die Europäische Kommission hier eine Initiative ergreifen könnte – könnte – nach der formellen Wahl.
Ebenso sollte die Europäische Union weiterentwickelt werden, weiterentwickelt als Sozialunion, als Technologie-Union, als Gesundheitsunion. Wir lernen aus der COVID-Krise, wo die Europäische Union sich außerordentlich gut bewiesen hat. Diese Richtung sollte weiter, und zwar zielgerichtet, ausgebaut werden. In der europäischen Öffentlichkeit wird darüber diskutiert, und ich glaube, wir alle, die an die Vernunft und Demokratie glauben, müssen dafür eintreten. Und ich hoffe, dass diese Projekte von der Politik jetzt gezielt weiterverfolgt werden.
Das Wichtigste bei diesen strategischen Überlegungen für die Europäische Union ist jedoch das Naheliegendste. Das Naheliegendste ist, dass die Möglichkeit, dass einzelne Mitgliedstaaten aus egoistischen Gründen Entscheidungen – für alle notwendige Entscheidungen – blockieren können. Diese Möglichkeit muss beseitigt werden.
Mit Blick auf die mittelfristig anstehen der Erweiterung der Union sollte auch die Differenzierung der Union akzeptiert werden. Das wäre dann die Union unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Als langjähriger europäischer Richter kann ich sagen, dass dies durchaus noch im Rahmen der bestehenden Grundverträge zumindest zum Teil möglich ist. Was dafür erforderlich ist, das ist weniger politische Engstirnigkeit und mehr Weitsicht und politischer Wille.
Meine Damen und Herren, ich sagte bereits, dass die Geschichte der Vertriebenen Sie prädestiniert, sich in besonderem Maße für die Einigkeit und Stärkung Europas auf der Grundlage westlicher Werte einzusetzen. Ich sage meistens westliche Werte, weil wir schließen auch Nordamerika ein. Wir haben Unterschiede, aber das Gemeinsame verbindet uns.
Die Vertriebenen haben eine besondere Beziehung zu den Nachbarländern in Mittel- und Osteuropa. Diese Beziehung war in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einfach. Sie war – subjektiv durchaus nachvollziehbar – durch beiderseitige Bitterkeit geprägt. Doch nach dem allmählichen Übergang von der Erlebnisgeneration zur Bekenntnisgeneration – also zu einer Generation der Vertriebenen, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts als tragische, aber gemeinsame Geschichte Europas, gemeinsame Geschichte Deutschlands und seiner Nachbarländer betrachtet – sind die Vertriebenen zu einer sehr festen Brücke zwischen diesen Nationen geworden.
Das kulturelle Erbe der entsprechenden Gebiete wird von den Vertriebenen weiterhin gepflegt. Es ist eine Bereicherung für alle. Doch auch in den Gebieten, wo die Vertriebenen einst lebten, ist ihre Kultur weiterhin sichtbar. Wenn ich durch Danzig oder Gdańsk gehe, sehe ich das deutsche Erbe und die polnische Gegenwart, und beide Komponenten geben der Stadt heute einen besonderen Charakter.
Die Arbeit der Vertriebenen, mit ihren besonderen Kenntnissen und dem Verständnis für Ostmitteleuropa, ist auch wichtig für die Nachbarnationen Deutschlands. Und der Begriff Ostmitteleuropa ist ein weitgehend deutscher Begriff, der übernommen worden ist. Ich glaube, wir sollen das mehr benutzen: Ostmitteleuropa.
Zum Beispiel die Kulturstiftung der Vertriebenen leistet wichtige wissenschaftliche Arbeit, in der Erforschung der Geschichte und Kultur, aber auch der Gegenwart dieses Teils Europas. Ich kann nur persönlich als Beispiel das letzte Jahr und das von der Kulturstiftung zusammen mit dem Verband der deutschen Minderheit in Lettland organisierte Symposium in Riga erwähnen, wo lettische und deutsche Wissenschaftler und Vertreter der Öffentlichkeit über ein interessantes Thema der Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Lettland diskutieren. Und ich habe sehr interessante und für mich neue Erkenntnisse gewonnen. Also solche Art Veranstaltungen sind wichtig, sowohl für die Vertiefung der deutschen Geschichte, also dass die Geschichte nicht verloren geht, als auch für die Geschichte dieser Länder.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass es mich freut, dass heute auch hier Vertreter der deutschen Minderheit in Lettland anwesend sind. Diese Minderheit hat ihre eigene Geschichte, die ebenso komplex, aber anders ist, als die Geschichte der Vertriebenen.
Die heutige Minderheit, deutsche Minderheit in Lettland besteht eigentlich aus drei Quellen, würde ich sagen. Also die Deutschbalten, die eine 800-jährige Geschichte dort aufweisen können und das Land wesentlich geprägt haben. Dann die während der sowjetischen Besatzungszeit zugewanderten Russlanddeutschen und dann die Deutschen aus Deutschland, die zu verschiedenen Zeiten, auch in der letzten Zeit, nach Lettland gekommen sind. Und derjenige, der alle diese drei Teile integriert und so zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führt, das ist der Verband der Deutschen in Lettland und die Vorsitzende Frau Garda und Frau Šulmane und Frau Balaško sind auch heute hier. Die Vertreter der deutschen Minderheit in Lettland nehmen aktiv am demokratischen Leben Lettlands und an der Zivilgesellschaft Lettlands teil. Ihre Identität beinhaltet auch ein dreifaches Bekenntnis zu ihrem eigenen heterogenen wie kulturellen Erbe – ich erwähnte bereits – zur lettischen Nation und zu Europa.
Meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der alte Bedrohungen wieder aufleben und neue Gefahren entstehen, muss Europa geschlossen und entschlossen handeln. Die europäische Einheit ist nicht nur ein politisches Ziel, sondern eine moralische Verpflichtung, die aus unserer Vergangenheit und aus dem Heute erwächst. Europa muss sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen, und es ist unsere Pflicht, die Demokratie zu verteidigen, auch an der Wahlurne, auch in der in der Unterstützung für die Ukraine, auch in der Integration der Flüchtlinge aus verschiedenen Teilen der Welt – und das nicht nur für uns selbst, sondern für die zukünftigen Generationen. In dieser Verantwortung finden wir die wahre Bedeutung der europäischen Solidarität und Einheit.
Die Vertriebenen leisten dazu einen wertvollen Beitrag.
Vielen Dank!
Geistliches Wort zum Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen am 24. August 2024 in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin
Prälatin Dr. Anne Gidion
Jetzt fällt es mir ganz leicht zu sagen, liebe Gedenkgemeinde, danke für diese Einstimmung. Zum Schluss ein paar Gedanken in einem etwas anderen Sound.
Ich fange an mit dem Wort „Heimat“ – es ist ein warmes Wort. Ein geräumiges Wort. Ein Wort für zuhause. Für vertraute Räume und Zeiten und für Menschen. Wo Du bist, da ist Heimat für mich- manche Paare sprechen sich das zu bei der Trauung. Heimat ist, wo jemand herkommt. Wo jemand hingehört, bleibt, zurückkehrt. Was einen Menschen definiert, was seine Grenzen markiert, seine Kriterien. Heimat kann Zimtgeruch sein, Wind im Gesicht, Zitronencremegeschmack.
Saša Stanišić musste als Kind mit seiner Familie aus dem zerfallenden Bosnien-Herzegowina fliehen. Und in Heidelberg lernt er Deutsch, und auf Deutsch wird er Schriftsteller. In seinem Buch „Herkunft“ schreibt er: „Jedes Zuhause ist ein zufälliges: Dort wirst du geboren, hierhin vertrieben, (...) Glück hat, wer den Zufall beeinflussen kann. Wer sein Zuhause nicht verlässt, weil er muss, sondern weil er will.“
Wir denken heute an diesem Tag, sie haben es alle eindrücklich erlebt und gezeigt, an viele, die die diesen Zufall nicht beeinflussen konnten. Sie und viele die hier sind und ihre Eltern, ihre Großeltern, ihre Onkel und ihre Tanten sind aus der Heimat vertrieben worden, sie haben sie verloren. Landschaften, Städte, Dörfer, Häuser, ja auch Kirchen. Das Vertraute und das Bekannte.
Und ehe etwas Neues auch Heimat werden kann, braucht es Zeit. Und braucht vor allen Dingen das Gefühl, willkommen zu sein. Viele erzählen, auch wenn sie neue Orte zum Leben gefunden hatten, Häuser gebaut, den Akzent angenommen und die Kinder in die Schule geschickt: Ein Leben lang blieb dies Gefühl, nicht dazuzugehören. Niemand hat auf uns gewartet, sagen manche. Ein Leben lang und als stille Post geht dieses Gefühl weiter in die nächste und in die nächste Generation.
Sie wissen es alle: Die Bibel ist voll von Geschichten von Flucht und Vertreibung. Ob vor dem eigenen Bruder weggejagt oder sogar getötet (wie es von Kain und Jakob erzählt) oder von dem Unterdrückervolk drangsaliert (wie von Moses und den Israeliten). Ob Josef und Maria mit dem Kind im Bauch die Heimat verließen oder die ersten Christen, deren Verfolgung durch die Texte der Apokalypse schimmert: Die biblischen Geschichten erzählen alle von einem ambulanten Gott. Ein Gott, der mitgeht – auch wenn das Vaterland kein Zuhause mehr sein kann und nur die Muttersprache mitgeht. An diesen Geschichten wird deutlich, dass es Rituale braucht, Lieder – Geschichten, am Feuer erzählt, Gebete um Ernte, um Wasser, um Fruchtbarkeit.
Jedes Vertreibungsleid ist einzigartig und es verdient, gesehen und gewürdigt zu werden, immer neu. Zugleich kann die eigene Lebensgeschichte, wenn sie von anderen respektiert und bewahrt wird auch sensibel machen für das Leid von anderen. So viel Flucht und Vertreibung heute noch in Europa, es ist heut schon viel angeklungen.
So viele Menschen, die nicht das Glück haben, diesen Zufall beeinflussen zu können, der die Heimat bedeutet. Weil Krieg und Klimawandel und unmenschliche Despoten und chronische Konflikte die Menschen zwingen, die Heimat zu verlassen – oft in neue Krisen hinein. Unzählig viele Menschen werden jeden Tag in das getrieben, was ihnen dann neu zur Heimat werden muss. Und schrecklich, dann wieder aus dieser Heimat, aus der neuen, dann wieder vertrieben zu werden.
Umso stärker berührt mich das Motto Ihres heutigen Tages gerade in dieser Zeit der heißen und destruktiven Debatten: „Heimatvertriebene und Heimatverbliebene: Gemeinsam für ein friedliches Europa“. Bei allem, was unseren Kontinent erschüttert und wer immer ihn schlechtredet und den engen Blick nur auf die eigene Nation für eine Lösung hält, es bleibt doch wahr: Europa ist ein privilegierter Ort zum Leben. Demokratisch, sozial, wirtschaftsstark, innovativ, menschlich – und fast überall friedlich. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe diesen Frieden zu erhalten, auf Europa auszudehnen, immer wieder neu und Europa darin zusammenzuhalten, und der Kitt zu sein.
„Selig sind, die Frieden stiften, denn ihrer ist das Himmelreich“ (Mt. 5,9) verspricht Jesus in der Bergpredigt. Das Reich Gottes ist die uns versprochene Heimat. Das ist der Horizont des Glaubens, der mitwandert, der sich mitbewegt. Hier sind wir Gäste. Aber wir Menschen sind eben nicht nur auf der Durchreise, sondern wo wir leben, sind wir gefordert. Zum Frieden beizutragen. Zu Gerechtigkeit. Zum konstruktiven Miteinander und gegen Gewalt. Zum Zusammenhalt. Auch wenn das anstrengend ist, und in diesen Wochen spüren wir wie gefährlich es auch ist.
Was unseren Vorfahren geschehen ist, das prägt uns. Ob wir es wollen oder nicht. Ob wir uns dessen bewusst sind, oder nicht. Und umso wichtiger ist es, ein Bewusstsein für die Treibungen und Vertreibungen zu schaffen. Was in dieser Welt an Leid passiert, geht jeden und jede etwas an. Und dafür ist Gedenken so wichtig und gern trage ich deshalb die Worte vor, die in jedem Jahr an diesem Gedenktag laut werden. Sie rufen auf zu Wachsamkeit – und mit wachem Sinn sind sie auch in unserer Zeit gesprochen:
Wir gedenken hier der alten Heimat, der Heimat unserer Eltern und Großeltern mit den Kirchen und Häusern, die sie gebaut, den Bäumen, die sie gepflanzt, mit den Äckern, die sie bearbeitet haben, mit den Menschen – auch aus anderen Völkern –, deren Lieder sie gern gesungen haben, deren Sprache ihnen vertraut war, bei deren Klang ihnen heute noch die Tränen kommen. Wir wollen sie weiter in unseren Herzen bewahren, die Erinnerung an sie pflegen und weitergeben.
Wir gedenken hier der vielen Todesopfer bei Flucht und Vertreibung, bei Deportation und Zwangsarbeit. Wir gedenken der Kinder, der Frauen und Männer, die auf der Flucht mit den Trecks umkamen, auf verschneiten und verstopften Straßen, von Kälte, Entkräftung und Verzweiflung überwältigt, von Panzern überrollt, von Bomben und Granaten zerrissen; ihre Leichname blieben oft unbegraben zurück.
Wir gedenken hier derer, die auf der Flucht im winterkalten Wasser des Kurischen und des Frischen Haffs und der Flüsse versanken, weil das Eis nicht mehr hielt oder unter Beschuss zerborsten war. Wir gedenken hier derer, die in unvorstellbar großer Zahl bei Schiffsuntergängen nach Torpedo- und Fliegerangriffen in den eisigen Fluten der Ostsee ertranken.
Wir gedenken hier derer, die in den Jahren 1944-47 aus der Heimat verschleppten und seitdem verschollen sind, Frauen, Männer und Kinder, der auf den Straßen entkräftet Zusammengebrochenen, der Erschossenen und Erschlagenen, der auf den wochenlangen Bahntransporten in den Weiten Sibiriens Umgekommenen und an den Bahntrassen unbestattet Zurückgelassenen.
Wir gedenken hier derer, die in den Straf-, Internierungs- und Todeslagern der Rache für die nationalsozialistischen Verbrechen hilflos ausgeliefert waren, ohne Recht und Gerichtsverfahren blieben und dort schließlich auf elende Weise zu Tode kamen.
Wir gedenken hier all derer, die als Opfer von Massakern, von willkürlichen Vergeltungs- und sogenannten Säuberungsaktionen starben und an deren Gräber sich niemand mehr erinnert.
Wir gedenken hier der in den letzten Kriegstagen und in der ersten Nachkriegszeit in der ersten Heimat in großer Zahl an Hunger und Epidemien ohne ärztliche Hilfe Verstorbenen und in Massengräbern hastig Verscharrten.
Wir gedenken hier der verwaisten und vermissten Kinder, deren Spur sich in den Kriegswirren und Heimen verloren hat. Wir erinnern uns hier an das grausame Schicksal derer, die auch noch Jahre nach Kriegsende willkürlich und zu Unrecht, oft unter grausamen und entwürdigenden Umständen, aus ihrer seit Jahrhunderten angestammten Heimat vertrieben und abtransportiert wurden.
Wir erinnern uns in Dankbarkeit an die Männer und Frauen und Kinder anderer Völker, die aus Menschlichkeit und Nächstenliebe ungeachtet eigener Gefährdung und oft selbst große Not leidend den deutschen Deportierten, Vertriebenen und Flüchtlingen Hilfe geleistet und das karge Brot mit ihnen geteilt haben.
Im Gedenken an unsere Toten der „vorigen Zeiten“, in Erinnerung an die Grausamkeit von Flucht und Vertreibung nehmen wir mitfühlend Anteil am Schicksal der Menschen unserer Tage, die vor Krieg und Not und Religionshass auf der Flucht sind oder aus ihrer angestammten Heimat im Zuge ethnischer, politischer oder religiöser sogenannter Säuberungen vertrieben werden.
Die Erinnerung mahnt uns, zu unseren Zeiten für Wahrheit und Versöhnung einzutreten, damit dem Bösen zu rechter Zeit gewehrt werde, Recht und Gerechtigkeit gewahrt werden und Frieden das Zusammenleben der Völker bestimme.
Wir vertrauen darauf, dass Gott, der Gerechte und Barmherzige seiner Menschenkinder gedenkt, dass sie mit ihrem Namen und ihrem Schicksal in seinem Gedächtnis bewahrt bleiben und dass dies auch für unsere Verschollenen und an unbekannten Orten ruhenden Toten gilt. So vertrauen wir sie aufs Neue Gott an. Mögen sie in Frieden ruhen und das Licht des neuen Lebens in der anderen Welt schauen.
Amen.
Gedenkworte zur Kranzniederlegung am 24. August 2024 an der Ewigen Flamme
BdV-Landesvorsitzender Staatssekretär a.D. Rüdiger Jakesch
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
als Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Vertriebenen darf ich Sie zur Kranzniederlegung zum Tag der Heimat im Namen des Bundes der Vertriebenen herzlich begrüßen.
Gestatten Sie mir, einige Persönlichkeiten namentlich willkommen zu heißen. Ich begrüße für das Land Berlin Herrn Staatssekretär für Bildung, Jugend und Familie, Falko Liecke, ich begrüße weiter die Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern und für Heimat, Juliane Seifert.
Ich möchte mir zunächst eine Bemerkung erlauben. In den Jahren, seit ich Landesvorsitzender in Berlin bin, haben hier viele Vertreter des Landes Berlin gesprochen. Nicht ein einziges Mal hat es aber ein Regierender Bürgermeister für nötig befunden, hierher zu kommen und diese für Berlin und seine Geschichte auch symbolisch wichtige Kranzniederlegung mit uns zu begehen.
Lieber Herr Staatssekretär Liecke, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Information mitnehmen würden und wenn zu nächster Gelegenheit Herr Bürgermeister Wegner hier sprechen könnte.
Wie jedes Jahr versammeln wir uns hier, an der Ewigen Flamme am Theodor-Heus-Platz, um der Heimatvertriebenen zu gedenken, die damals schweres Unrecht erlitten haben.
Die Landsmannschaften, Vertriebenenverbände und die Vertriebenen wurden dazu berufen, als Mittler, Friedensstifter und Brückenbauer zwischen uns und unseren Nachbarn in ganz Europa zu agieren.
Umso schmerzhafter ist es, heute feststellen zu müssen, dass mitten in Europa seit über zwei Jahren Krieg herrscht. Schätzungsweise mussten über 10 Millionen Menschen aufgrund der Angriffe des russischen Militärs fliehen und sind aus ihren Heimatorten vertrieben. Ein Ende des Krieges ist leider nicht in Sicht.
Krieg und Vertreibung, illegale Zwangsumsiedlung und Vertreibung der Menschen in einem modernen Europa sind mehr als erschreckend.
In der Geschichte Europas sind Heimatvertriebene und Heimatverbliebene oft durch schmerzliche Erfahrungen und unterschiedliche Lebensrealitäten geprägt.
Heimatvertriebene, die aufgrund von Krieg, Verfolgung oder politischen Veränderungen ihre Heimat verlassen mussten, tragen die Erinnerungen an ihre Wurzeln und die Sehnsucht nach einem Ort, den sie einst ihr Zuhause nannten.
Auf der anderen Seite stehen die Heimatverbliebenen, die inmitten von Konflikten und Veränderungen oft mit der Herausforderung konfrontiert sind, ihre eigene Identität und Gemeinschaft zu bewahren.
Trotz dieser unterschiedlichen Perspektiven gibt es eine gemeinsame Grundlage, die beide Gruppen vereint: der Wunsch nach Frieden und Stabilität.
Unser Präsident, Dr. Bernd Fabritius, der in diesen Tagen sein 10-jähriges Amtsjubiläum feiern kann, hat dieses Zusammenspiel zwischen Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen in seiner Rede im Französischen Dom sehr gut dargestellt.
Ich möchte ihm an dieser Stelle für seinen beherzten Einsatz ausdrücklich danken. Unsere Anliegen sind bei ihm gut aufgehoben, und ich würde mich freuen, wenn er noch weitere zehn oder auch zwanzig Jahre an der BdV-Spitze tätig wäre.
In einem vereinten Europa, das von Vielfalt und kulturellem Reichtum geprägt ist, ist es entscheidend, dass wir die Vergangenheit anerkennen und die Zukunft gemeinsam gestalten. Nur dann können wir ein Europa schaffen, das auf den Prinzipien von Toleranz, Respekt und Zusammenarbeit basiert.
Sich des Vergangenen zu erinnern und dabei den Heimatgedanken zu bewahren, erfordert von jedem von uns die Bereitschaft, aus der eigenen Geschichte zu lernen und die eigene friedliche Zukunft zu gestalten.
Genau dafür haben wir uns heute hier an diesem Mahnmal zusammengefunden, nicht um anzuklagen oder um gegenseitige Schuld aufzurechnen. Das Streben nach Wahrheit gehört zur eigenen geschichtlichen Standortbestimmung.
Die Erinnerung nicht zu verdrängen, sondern sie ernst zu nehmen - dies erst schafft den Grundstock für Versöhnung und Frieden.
Ich erinnere in stillem Gedenken an alle Opfer von Flucht, Vertreibung und Gewalt aus Ost- und Westpreußen, aus Schlesien, Pommern, Ostbrandenburg, Danzig und dem Baltikum, aus dem Sudetenland, aus den deutsch besiedelten Gebiete in Südosteuropa und dem Balkan. Sowie an alle Menschen, die gegenwärtig zu den Opfern von Krieg und Vertreibung geworden sind.
Alle Teilnehmer dieser Gedenkstunde bekunden ihre Achtung vor allen Opfern, die im Glauben und der Hoffnung auf Freiheit, Recht und Frieden ihr Leben hingaben.
Gedenkworte zur Kranzniederlegung am 24. August 2024 an der Ewigen Flamme
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius
Sehr geehrter Herr Landesvorsitzender, Staatssekretär a.D., lieber Herr Jakesch,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Liecke,
sehr geehrte Frau Staatssekretärin Seifert,
liebe anwesende Landesbeauftragte,
liebe Landsleute, liebe Gäste,
wir haben uns gemeinsam an der „Ewigen Flamme“ eingefunden, um die Erinnerung wach zu halten an die Millionen Opfer aus unseren Reihen, die Flucht und Vertreibung, Deportation oder Zwangsarbeit erleiden mussten.
Wir wollen gemeinsam in Demut und stiller Andacht der bis zu 15 Millionen Landsleute gedenken, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat flüchten mussten oder aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Das Schicksal dieser Menschen ist tief in das kollektive Gedächtnis unseres Landes eingebrannt. Es erinnert uns an eine Zeit des unermesslichen Leids, aber auch an die Kraft und den Überlebenswillen, die viele auf der Flucht, während der Vertreibung und auch danach aufbringen mussten.
Flucht und Vertreibung, 1945 und danach, war ein krasser Biografiebruch, eine Zerstörung des Lebens, das man bis dahin geführt hatte. Vor den Menschen lag eine ungewisse, eine bedrohliche Zukunft. Was sie mit sich trugen, war kaum das Nötigste – von einer ungebrochenen Heimatliebe abgesehen.
(...)
Sie war in Ostpreußen zuhause. Sie könnte Martha Schmidt oder Hedwig Müller geheißen haben. Ihr Mann war bereits an der Front gefallen, und sie stand plötzlich allein mit ihren drei Kindern da. Auf ihrem mühsamen Weg gen Westen, durch Schnee und eisige Kälte, musste sie nicht nur den Schmerz des Verlustes der Heimat ertragen, sondern auch die Ungewissheit, ob sie das rettende Ziel jemals erreichen würde, mit ihren drei Kindern.
Sie waren bereits über zwei Wochen zu Fuß auf der Flucht, als sie an einen zugefrorenen Fluss mit steilen Abhängen kamen. Der Jüngste, erst sechs Jahre alt, war zu schwach, um die Anstrengung weiter zu bewältigen. Sie konnte ihn nicht mehr tragen. Die Gruppe musste weiterziehen.
Die Mutter, selbst völlig erschöpft und am Rande ihrer Kräfte, musste eine Entscheidung treffen, die kein Mensch jemals sollte treffen müssen: Sie ließ den Jüngsten zurück, um die beiden anderen Kinder zu retten. Und sie trug die Hoffnung im Herzen, dass ein Wunder geschehen möge. Doch dieses Wunder blieb aus. Ihr blieb bis an ihr Lebensende nur der quälende Schmerz.
Es ist unsere Pflicht, jenen kleinen Jungen und seine Mutter nicht zu vergessen.
Wir gedenken heute all derer, die ihr Leben verloren haben, und all derer, die die Schrecken der Flucht und Vertreibung überlebten, aber nie mehr ihre Heimat zurückerlangen konnten.
Ihre Geschichten sind Teil unserer Geschichte, und sie mahnen uns, die Bedeutung von Frieden, Menschlichkeit und Zusammenhalt stets im Blick zu behalten.
Dies gilt für die Vergangenheit, denn wir wissen auch um die Unmenschlichkeit, die unvorstellbare Grausamkeit und die Kriegstreiberei, mit der das nationalsozialistische Deutschland Europa und einen Teil der Welt vor Flucht und Vertreibung in die tiefste Finsternis geführt hat.
Dies gilt aber auch für heute, denn wir erinnern gleichzeitig daran, dass Flucht und Vertreibung auch heute weltweit mehr als hundert Millionen Menschen betreffen.
Es ist eine Aufgabe für uns alle, uns für den Schutz von Menschenrechten und für ein friedliches Miteinander einzusetzen.
Möge dieses Mahnmal ein Ort der Besinnung bleiben, an dem wir uns unserer Verantwortung bewusst werden – Verantwortung für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Möge es uns daran erinnern, dass Frieden und Heimat keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern Werte, die wir schützen und bewahren müssen.
In stillem Gedenken und mit tiefem Respekt vor den Opfern von Flucht und Vertreibung verneigen wir uns heute hier.
Ich danke im Namen des BdV für die niedergelegten Kränze und für Ihre Teilnahme an der Kranzniederlegung. Behalten wir unsere Vorfahren und unsere Toten in guter Erinnerung.
Für eine Minute der Stille darf ich nunmehr darum bitten, an die äußere Reihe der niedergelegten Kränze heranzutreten.