Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung

„Gewaltsamer Heimatverlust war und ist ein schweres Verbrechen“

Der diesjährige nationale Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni stand erneut unter dem Zeichen der Corona-Pandemie. Ohne die gewohnten Zeitzeugen oder weitere Gäste kamen die Redner in den Bolle Festsälen in Berlin zusammen, wohin der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, zur Gedenkstunde eingeladen hatte. Neben Seehofer sprachen die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe, Prälat Dr. Karl Jüsten, und traditionell der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius MdB. Das deutsch-polnische Jugendorchester sorgte für die musikalische Untermalung des live ins Internet übertragenen Gedenkens.

Horst Seehofer betonte, der Gedenktag sei zwar „noch sehr jung“, aber „richtig“ und „das Geschehen schon deshalb erinnerungswürdig, weil das Ausmaß von Flucht und Vertreibung so groß war, dass es ein einschneidendes, trauriges Ereignis der deutschen Geschichte mit unumkehrbaren Langzeitfolgen darstellt“. Dabei werde nicht vergessen, dass das Schicksal der Vertriebenen im Kontext der von Deutschland begangenen Verbrechen stehe. „Ihr Leid wird dadurch aber nicht relativiert. Umgekehrt wird das Leid der Opfer des NS-Regimes durch diesen Gedenktag genauso wenig relativiert. Es gibt keine Aufrechnung des Leids“, so der Bundesinnenminister. 

Die Vertriebenen seien Träger eines ausgeprägten Heimatbewusstseins und hätten „mit Pioniergeist, Eifer und beharrlicher Kraft die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“ mitgestaltet. Außerdem hätten sie sich, gemeinsam mit den deutschen Minderheiten in den Nachbarstaaten, entscheidend als „Brückenbauer für die europäische Einigung“ eingesetzt. „Um es klar zu sagen: Der gewaltsame Heimatverlust war und ist ein unmenschliches, schweres Verbrechen. Wir haben aus der Geschichte gelernt. Der heutige Gedenktag verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und macht unser Handeln fest für die Zukunft“, mahnte Bundesinnenminister Seehofer abschließend.  

„Die Wege der Heimatvertriebenen mit all ihren schmerzvollen Herausforderungen und Erfahrungen prägen die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor“, erklärte Prälat Jüsten und leitete daraus eine besondere Verantwortung für die heute von Flucht und Vertreibung betroffenen Menschen ab. Die Geschichte lehre, das individuelle Schicksal im Blick zu behalten, um Grundprinzipien wie die Menschenwürde oder den Schutz der Familie zu erhalten.

Gerda Hasselfeldt verdeutlichte zu Beginn ihrer Rede, dass Flucht und Vertreibung „immer verbunden mit unermesslichem menschlichen Leid“ seien. Dieses Leid zu lindern und Flucht und Vertreibung zu verhindern, sei eine humanitäre Pflicht, der sich das DRK von Beginn an, aber insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gründung seines Suchdienstes gestellt habe. Hunderttausende Familienzusammenführungen seien gelungen. Die Protokollberichte der damaligen Zeit sprächen auch heute noch eine deutliche Sprache.

Vor dem Hintergrund dieses Leids sei es umso wichtiger, dass die Betroffenen ihr Selbstverständnis in der Charta der Heimatvertriebenen niedergelegt haben: „Mit diesem Verzicht auf Rache und Vergeltung haben die deutschen Heimatvertriebenen einen großartigen historischen Beitrag zur Aussöhnung und zur Einigung Europas geleistet. Auch dessen sollten wir uns an einem Tag wie diesem bewusst sein“, so Hasselfeldt.
Erfrorene Kinder und Erwachsene, Fliegerangriffe auf die Flüchtlingszüge über das Frische Haff, verendete Tiere: In seinem Schlusswort ließ BdV-Präsident Bernd Fabritius einen Zeitzeugen aus dem ostpreußischen Osterode zu Wort kommen, der als Kind mit seiner Familie vor der Roten Armee flüchtete. Die schrecklichen Bilder hätten sich ihm ein Leben lang eingeprägt. 

Fabritius mahnte: „Wir müssen uns an vergangenes und gegenwärtiges Leid erinnern, und wir müssen unseren Anspruch auf Menschlichkeit formulieren und in Gegenwart und Zukunft durchsetzen.“ Es gelte, nie zu vergessen: „Jede Vertreibung, jede ethnische Säuberung – gleichgültig wo, wann und mit welcher Begründung – ist immer ein Verbrechen.“

Marc-P. Halatsch

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius spricht der Gedenkstunde zum nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni 2021 (Quelle: BMI).