Grußwort zum bundesweiten Gedenktag an die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni 2017 in Berlin

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident Johannis,

sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. de Maizière

sehr geehrter Erzbischof Brauer,

Exzellenzen, liebe Landsleute,

meine Damen und Herren,

wie einfach wäre es, nahtlos anknüpfen und Geschehen schematisch in weiß oder schwarz, gut oder böse, unschuldig oder schuldig einteilen zu können: Derartige Begriffspaare sind aber ungeeignet für die Komplexität unserer heutigen Welt. Ethnische Säuberungen, Flucht und Vertreibungen von heute lassen sich mit jenen der Nachkriegszeit im Unrechtsgehalt und auf der Ebene des persönlichen Trauma-Empfindens der Opfer vergleichen.

Jeder Mensch, der vertrieben und gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen, ist ein Opfer und erlebt einen dramatischen Bruch in der eigenen Biografie. Das war 1945 so und es gilt in Gegenwart und Zukunft! Weitergehende Vergleiche offenbaren jedoch die oft wesentlichen Unterschiede zwischen damals und heute.

Vor 70 Jahren wurden Millionen unserer eigenen Landsleute vertrieben und verjagt. Sie verloren Haus und Hof, ihr Lebensumfeld, den Zugang zum letzten Ruheort der Ahnen, sie verloren alles was „Heimat“ ausmacht – über 2 Millionen fanden dabei den Tod! Und doch: Von den Überlebenden erklärten damals, noch 10 Jahre nach Flucht und Vertreibung, über drei Viertel ihre unbedingte Bereitschaft zur Rückkehr in die Heimat als vordringliches Ziel. Welchen Stellenwert hat Heimat – und das Recht darauf - heute?

Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg entfacht und mit den begangenen Verbrechen das ganze 20. Jahrhundert mit einem tiefen, weitreichenden Schatten verdunkelt. Daraus resultiert eine immerwährende Verantwortung. Auch die Vertreibungen unserer Landsleute nach dem Krieg, durch die Siegermächte und die Staaten, in denen die Heimatgebiete heute liegen, waren menschenrechtswidrige Verbrechen. Der Teufelskreis aus Rache und Vergeltung konnte erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg gestoppt werden – auch durch die Charta der deutschen Heimatvertriebenen und die darin enthaltenen, zukunftsorientierten Bekenntnisse.

Der Bund der Vertriebenen weiß wie kein anderer Verband um die Verbrechen, denen Deutsche nach dem Krieg ausgesetzt waren. Wir sind Experten geworden, die aus eigener Erfahrung heraus einer zunehmend wieder interessierten deutschen und europäischen  Zivilgesellschaft heute darüber berichten können, dass Kriege und Vertreibungen nie Mittel der Politik sein dürfen. Wir haben auch gezeigt, wie man trotz dramatischer Erfahrung dennoch immer wieder Wege zur Verständigung findet.

Ich erinnere in stillem Gedenken an die Opfer von Flucht und Vertreibung aus Ost- und Westpreußen, aus Schlesien, Pommern, Ostbrandenburg, Danzig und dem Baltikum, aus dem Sudetenland, dem Karpaten- und dem Donauraum sowie aus den deutsch besiedelten Gebieten Russlands und der Ukraine.

Wir wissen, dass es unselige Zeiten waren, damals, in den letzten Kriegsjahren und auch noch in den Jahren danach. Wir wissen auch, dass Barbarei und Unmenschlichkeit die Herzen und den Verstand vieler Menschen verroht hatten – aber wir weichen kein bisschen zurück in der Bewertung, dass Vertreibungen immer und zu jeder Zeit ein gravierendes Unrecht darstellen.

Es gehört eben nicht zu den durch Kriegs- oder Völkerrecht gedeckten Privilegien siegreicher Mächte, das im Krieg besiegte Volk aus seiner jahrhundertealten Heimat zu vertreiben. Ebenso wenig gehören die Bombardierung von Flüchtlingstrecks zu Wasser und zu Land, die massenhafte Vergewaltigung von Frauen oder die himmelschreiende Ungerechtigkeit der Zuweisung einer Kollektivschuld dazu.

Wir erinnern deswegen am heutigen Gedenktag auch daran, dass es immer und überall, im und nach dem Krieg, auch gute Menschen gegeben hat, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um den Bedrängten zu helfen. Diesen Menschen haben wir für ihre Menschlichkeit zu danken!

Wir wollen niemals vergessen, dass jede Vertreibung, jede ethnische Säuberung, gleichgültig wo, wann und warum - immer Verbrechen sind; Wir fordern alle Menschen auf, sich gegen derartiges Unrecht zu wenden, zu jeder Zeit und überall!

Ich danke Ihnen.