Ansprache zum Jahresende am 12. Dezember 2020 in Bonn

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius

Liebe Landsleute!

In wenigen Tagen geht ein Jahr zu Ende, das sich in das Kollektivgedächtnis der gesamten Weltbevölkerung wie kein anderes seit Kriegsende einbrennen wird. Wir haben es verbracht in Angst um die eigene und die Gesundheit unserer Nächsten, in Sorge um berufliche und wirtschaftliche Existenzen, unter massiven gesellschaftlichen Einschränkungen. 

Vereine und Verbände haben in Solidarität mit der Gesamtgesellschaft viele Aktivitäten ausgesetzt – so auch wir, die Vertriebenenverbände. Es war ein Jahr auf Sparflamme, das wir uns nicht zurückwünschen werden.

Gerade in diesem Jahr wäre es für uns Vertriebene, für unsere Landesverbände und die Landsmannschaften, für unsere Kreis- und Kulturgruppen so wichtig gewesen, mit zahlreichen Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam noch stärker darauf hinzuweisen, dass sich das Kriegsende und die im Osten einsetzende Flucht und völkerrechtswidrige Vertreibung der Deutschen zum 75. Mal jähren. 

Auch dem Stellenwert der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, vor 70 Jahren in Stuttgart unterzeichnet und verkündet, wurde das Jahr 2020 nur unzulänglich gerecht.

Ich erinnere aber auch an die Deutsche Einheit vor 30 Jahren, die für uns Vertriebene aus dem Osten mehr als für jede andere Bevölkerungsgruppe von Bedeutung war: Denn bei allem Schmerzhaften, das der Wiedervereinigungsprozess für viele auch mit sich brachte, bleibt der Fall des Eisernen Vorhangs doch Dreh- und Angelpunkt dafür, dass wir die Heimatgebiete, unsere dort verbliebenen Landsleute und alle ihre Bewohner heute und in Zukunft jederzeit und frei von Ängsten besuchen können.

Mit wohlgesetzten Akzenten ist es uns in diesem Jahr unter Einhaltung der restriktiven Bedingungen trotzdem gelungen, die Anliegen unserer Verbände – die Verankerung unseres Schicksals, unserer Geschichte und unserer Kultur im gesamtdeutschen historischen Gedächtnis – weiter zu verfolgen. 

Es war sicher für viele eine Enttäuschung, dass wir die geplante Jubiläumsveranstaltung am 5. August im Weißen Saal des Stuttgarter Neuen Schlosses der Pandemie wegen nicht durchführen konnten und dass somit auch unsere Auftaktveranstaltung zum diesjährigen Tag der Heimat des BdV abgesagt werden musste. Dennoch haben wir den 70. Jahrestag unseres „Grundgesetzes“ würdig begangen: mit einer Gedenkfeier am Charta-Mahnmal im Kurpark von Bad Cannstatt – in Sichtweite des Kursaals, wo die Charta 1950 von den wichtigsten Gremien der deutschen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge beraten wurde. Begleitend zur Gedenkfeier konnten wir den Jubiläumsfilm „70 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ präsentieren, der in eindrücklichen Bildern und mit ausgewählten Wortbeiträgen sowohl die Entstehungsbedingungen als auch die Wirkung unserer Charta darstellt. Dieser Film ist öffentlich und hat einen nachhaltigen Wert.

Ein wichtiges Kapitel unserer politischen Agenda konnten wir am 15. September 2020 abschließen: die letzten Bescheide für die Anerkennungsleistung an zivile deutsche Zwangsarbeiter wurden vom BVA übergeben. Mehr als vier Jahre Verwaltungsarbeit, mehr als 46.000 Anträge, mehr als 80 Prozent davon mit positivem Ergebnis: Fast ein Menschenleben nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen diese Zahlen, meine Damen und Herren, dass dieses Schicksal ein Massenphänomen war. Es war mir daher eine Ehre, zu dem Anlass auch persönlich nochmals deutlich machen zu dürfen, wie wichtig es für die Betroffenen ist, dass ihr Schicksal mit dieser symbolischen Geste nun endlich auch offiziell als Unrecht eingeordnet und anerkannt wird.

Ich weiß, dass die Anerkennungsleistung ganz überwiegend positiv empfunden wurde. Und ich bin besonders dankbar, dass alle staatlich Verantwortlichen – vom Deutschen Bundestag über das Bundesministerium des Innern bis hin zum Bundesverwaltungsamt – hier von Anfang bis Ende mit viel Empathie an einem Strang gezogen haben.

Meine Damen und Herren, liebe Landsleute, das Jahr 2020 hat uns überdeutlich vor Augen geführt, welch hohe Bedeutung Treffen und Veranstaltungen haben, bei denen man sich persönlich begegnet. Wo man sich mit Handschlag oder Umarmung begrüßt und miteinander spricht. Scherzt und lacht. Wo man Dialoge führt, die diese Bezeichnung auch verdienen. Wo man am Ende des offiziellen Teils in Geselligkeit zusammenbleibt und dem Gemeinschaftsgefühl frönt. Wir Vertriebenen verorten und definieren uns in hohem Maße über ebendieses Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Was uns verbindet, hat Bestand. Unsere Vertriebenenverbände samt ihren zahlreichen Untergliederungen haben bereits konkrete Pläne für das kommende Jahr. Mit den ersten Veranstaltungen, die hoffentlich bereits im Frühjahr durchgeführt werden können, soll auch die Lähmung weichen, zu der wir alle trotz hoher Kreativität bei Nutzung neuer Kommunikationswege und Innovationsoffenheit gezwungen waren und immer noch sind.

Es wird im neuen Jahr unsere Aufgabe sein, uns aus der solidarisch erduldenden wieder in eine optimistische, anpackende, gestaltende Gemütslage zu versetzen. Lassen Sie uns jetzt den Heimattag 2021 Ihrer Landsmannschaft in den Kalender eintragen, genauso wie den Tag der Heimat im Bund, in den Ländern, in den Kreisverbänden. 

Ich bin zuversichtlich, dass auch der Bundesverband Sie im kommenden Jahr wieder zur traditionellen Auftaktveranstaltung zu unserem Tag der Heimat einladen kann. Merken Sie sich dafür bitte schon jetzt den 28. August vor. 

An diesem Tag jährt sich zum 80. Mal der Jahrestag des Stalin-Erlasses, aufgrund dessen unsere russlanddeutschen Landsleute bereits 1941 schuldlos für Jahrzehnte in die Verbannung bzw. zur Zwangsarbeit deportiert wurden. Eine vollständige Rehabilitation hat bis heute nicht stattgefunden. Wir werden diesen Teil gesamtdeutscher Biografie im nächsten Jahr zu einem Schwerpunktthema machen.

Planen Sie in Ihren Vorständen die Sitzungen, Versammlungen und Treffen für das nächste Jahr. Denn ich vertraue auf die klugen Köpfe der Medizin weltweit, dass sie auch für die Pandemie eine Lösung finden werden.

Wie in jedem Jahr möchte ich Sie nun außerdem ermutigen, gerade auch zum Weihnachtsfest ganz bewusst und stolz die mitgebrachten Traditionen aus der Heimat in Ihren Familien zu leben. Sie tun damit aktiven Dienst am Erhalt unserer vielfältigen Bräuche und Kultur. Kinder und Enkel werden Ihnen das irgendwann danken.

Im Namen des Bundes der Vertriebenen wünsche ich Ihnen ein frohes Weihnachtsfest, alles Gute und ganz besonders viel Gesundheit für das neue Jahr. Bleiben Sie uns verbunden.